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Finstere Nacht Trauer und Düsteres

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Alt 05.12.2011, 12:48   #1
Justin
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Standard Blick nach draußen

Unter einer riesigen Halbkugel
fristen Menschen ihr Dasein -
symbolisch gesehen

natürlich nur eine Minderheit,
denn sonst würde der Aufschrei
der Masse groß sein.

Der sich wölbende Halbbogen
besteht aus dickem Glas,
ist aber immerhin durchsichtig
und erlaubt den Blick nach draußen.

Dort gewahrt man pulsierendes Leben
und würde so gern daran teilhaben,
ist aber trotzdem gefangen.

In diesen Teufelskreis
drängen sich Heilsbringer.
Ihre geschwollenen Reden
sind wie Seifenblasenzauber
und gießen viel Öl ins Feuer.

Neulich sprach meine Ärztin
von überbordenden Wortkaskaden
im Vokabular der Seelenklempner.

Sie war eine gute Psychologin,
obwohl es nicht in ihren Papieren steht.
Und ich sage mir:

GLÜCKLICHERWEISE

Geändert von Justin (09.12.2011 um 18:33 Uhr)
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Alt 05.12.2011, 18:17   #2
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Standard

Guten Abend, Justin,

ich interpretiere deine "Halbkugel aus Glas" als Synonym für "Käseglocke" - so nannte man das "früher". Immer mehr Menschen stülpen sich ein solches Exemplar über, die sich dann alle zu einer riesigen Halbkugel aus Glas "vereinen", die mittlerweile wohl wirklich die "halbe Welt" überdeckt - und die "Social Network" genannt wird.

Zitat:
Unter einer riesigen Halbkugel
fristen Menschen ihr Dasein -
symbolisch gesehen

natürlich nur eine Minderheit,
denn sonst würde der Aufschrei
der Masse groß sein.
Eine Minderheit? Das wird, wie von dir durchaus mit einer Portion Ironie beschrieben, häufig tatsächlich noch geglaubt: "Ich doch nicht, das sind doch nur diese "Nerds"! - Entschuldige, aber ich muss mal bei "Gesichtsbuch" () nachsehen, was sich bei mir getan hat."

Durchaus möglich, dass die "Masse aufschreien" würde, wenn diese "Ich-doch-nicht(s)" ihre Halbkugeln selbst sehen könnten. Leider sind die meisten "bildschirmblind" geworden.

Zitat:
Der sich wölbende Halbbogen
besteht aus dickem Glas,
ist aber immerhin durchsichtig
und erlaubt den Blick nach draußen.

Dort gewahrt man pulsierendes Leben
und würde so gern daran teilhaben,
ist aber trotzdem gefangen.
Das Problem ist: Sie sehen, aber sie "begreifen" nicht. Ich glaube, dass die wenigsten überhaupt noch teilhaben wollen - sie glauben doch, "mittendrin" zu sein, mitten im Leben des world wide web. Meiner Ansicht nach erkennen sie überhaupt nicht, dass sie "gefangen" sind und das "echte" Leben ohne sie stattfindet.

Zitat:
In diesen Teufelskreis
drängen sich Heilsbringer.
Ihre geschwollenen Reden
sind wie Seifenblasenzauber
und gießen viel Öl ins Feuer.
Ja, das ist ein echtes Problem. Ich las einmal, wirklich nur ein einziges Mal, aus Neugier in einem dieser "Esoterikforen" und dachte schon nach ein paar Minuten, dass es einfach unmöglich ist, so einen ultimativen Blödsinn zu glauben, wie er dort "besprochen" wurde. Ungezählte Hinweise und Links zu allen möglichen und unmöglichen Gurus und deren Bücher vervollständigten das "Schauer-Szenario". In einer Diskussion mit Faldi schrieb ich mal (im Scherz natürlich) von Jesu Landung in einem Ufo am Südpol und dem Drachen, der unter der Erdscheibe lauert und unvorsichtige Schiffsbesatzungen vertilgt, wenn sie vom Kurs abkommen und über den Rand plumpsen ... Aber genau derartige Absurditäten gibt es im Web mehr als genug zu lesen - nein danke. Schuster, bleib bei deinem Leisten; und Hobbydichterin, bleib in deinem Gedichteforum!!! Wobei ich jetzt vom leicht Ironischen zum wirklich Bedrohlichen wechsle, das du in deinem Werk andeutest: Terroristen und Fanatiker der unterschiedlichsten (Aber)glaubensrichtungen, die ihre Pläne online austüfteln und ihre "Heilslehren" verbreiten - willkommen im Horroraspekt der Zukunft ...

Zitat:
Neulich sprach meine Ärztin
von einer Modeerscheinung.
Sie war eine gute Psychologin,
obwohl es nicht in ihren Papieren steht.
Und ich sage mir:

GLÜCKLICHERWEISE
Ich persönlich fürchte, dass sie sich, mag sie auch eine gute Psychologin sein, diesbezüglich irrt. Das ist keine Modeerscheinung mehr. Und von daher ist es gut, dass diese Tatsache und auch die Bemerkung nicht in ihren Papieren stehen - denn bis zum "gläsernen Menschen" ist es nicht mehr weit. Wir sind zwar noch nicht ganz "durchsichtig" (glücklicherweise!), aber mittlerweile fehlt dazu nicht mehr viel. Allein die "Schlupflöcher" in den Datenschutzgesetzen, derer sich BND und Staat bedienen, erlauben den Zugriff in die Privatsphäre der Bürger bereits unter den fadenscheinigsten Gründen.

Was mich betrifft, ich bin sehr, sehr vorsichtig. Kein online-banking, ich wechsle meine komplizierten und langen Passworte regelmäßig und bin in keinem sozialen Netzwerk - ich habe nicht einmal ein Konto bei meinem Browser. Wie sagte meine Großmutter schon: "Trau, schau, wem!"

Und ich gehe "raus", denn im echten Leben bin ich "zu Hause". Das Forum hier ist die Ausnahme, denn mir geht es hier um Lyrik und Gedichte, und das ist etwas ganz anderes als "zwischenmenschliche Kontakte" in die virtuelle Welt zu verlegen. Videos, Filme und Bilder sind ja ganz hübsch, aber einen "realen" Spaziergang durch Wald und Feld können sie nicht "ersetzen", denn ich weiß: Das, was auf dem Bildschirm erscheint, ist immer nur ein "Faksimile", es ist nicht real.

Mehr und mehr Menschen verlieren jedoch, und das ist schlimm, die Fähigkeit, das zu unterscheiden.

Lieber Justin, dass du in freien Versen schreibst, ist klar. Ich kann mir auch keine vernünftigen Gründe dafür "zusammen reimen". Es ist nichts "Schönes" daran.

GLÜCKLICHERWEISE bin ich nicht mehr jung genug, um in diesen "virtuellen Strudel" hineingesaugt zu werden.

Gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
__________________
.

Im Forum findet sich in unserer "Eiland-Bibliothek" jetzt ein "Virtueller Schiller-Salon" mit einer Einladung zur "Offenen Tafel".

Dieser Salon entstammt einer Idee von unserem Forenmitglied Thomas, der sich über jeden Beitrag sehr freuen würde.


Stimme der Zeit ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.12.2011, 19:46   #3
Chavali
ADäquat
 
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Beiträge: 12.994
Standard

Lieber Justin,

ich lese ein anderes Problem als Stimme aus deinen Versen:
Einem Menschen, der nicht gesund ist, vielleicht geistig oder körperlich behindert,
kommt die Welt der Gesunden und Mobilen und Tatkräftigen unerreichbar vor und er fühlt
sich ausgegrenzt und wie unter einer Glocke.

Der letzte Vers:
Zitat:
Neulich sprach meine Ärztin
von einer Modeerscheinung.
Sie war eine gute Psychologin,
obwohl es nicht in ihren Papieren steht.
Und ich sage mir:

GLÜCKLICHERWEISE
scheint mir der Pferdefuß zu sein:
Wir glauben den Göttern in Weiß allzu schnell und allzu viel - weil sie selber überfordert sind
und Krankheiten verharmlosen.
Depressionen zum Beispiel oder die Vorstufe Burn out werden als Modeerscheinung abgewertet.


Dein Text zeigt eindringlich das Problem der Menschen, die unserer ganzen Pflege und Aufmerksamkeit bedürfen:
Einsamkeit.


Berührt gelesen hat
Chavali, dich herzlich grüßt

__________________
.
© auf alle meine Texte
Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

*
Chavali ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.12.2011, 14:41   #4
Justin
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Liebe Stimme,

Deine Ausführungen waren sehr interessant und ich muß Dir in allen Dingen recht geben. Die inhaltliche Ausrichtung des Gedichtes war aber anders angedacht. Nämlich so, wie es Chavali erfaßt hat. Unter dieser Halbkugel oder Käseglocke, wie Du es nennst, befinden sich Menschen in Notsituationen - sei es durch Krankheit oder Behinderung gleich welcher Art. Je schwerer das Ausmaß, um so weniger wahrscheinlich ist es, diesem Teufelskreis zu entfliehen. Der Mißbrauch der Psychologie besteht darin, sich in gefälligen Phrasen immer aufs Neue zu wiederholen. So als hätte man von sich aus nie etwas unternommen und müsse nur anders herangehen: durch Überwinden, Aufklären usw. Das alles ist heiße Luft, weil sich Menschen dem Aufklären am liebsten entziehen. Ich käme nicht zum Ende, wenn ich alles aufzählen wollte. Hilfe ist dann möglich, wenn dadurch die Wurzel des Übels behoben werden kann. Ist das aber nicht der Fall, liegt also eine Art Unheilbarkeit vor, dreht sich alles nur im Kreis. Und trotzdem geht das Lavieren weiter. Das mißfällt vielen Betroffenen und sie haben keine Lust mehr, sich einem solchen Apparat auszusetzen...

Die virtuelle Welt war also nicht gemeint. Sie ist trotzdem aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken und hat auch ihre guten Seiten. An anderer Stelle habe ich schon von einem offenen Fenster gesprochen, das Kommunikation zuläßt, die es vorher nicht gab. Für einen Personenkreis wenigstens ein kleiner Ausgleich für viele Entbehrungen. Natürlich muß man auch an Auswüchse denken, die in Zukunft entstehen und weniger schön sind. Die Vernetzung von Mensch-Maschine wird auch auf die medizinische Seite übergreifen und viele ethische Probleme heraufbeschwören. Aus eigener Erfahrung habe ich so etwas schon erlebt und weiß, was sich da entwickelt. Die PID-Diskussion ist ein gutes Beispiel dafür. Jede Frau möchte Behinderung ausschließen und ein gesundes Kind zur Welt bringen. Das ist verständlich. Doch zweifle ich manchmal am Rüstzeug dieser Personen, wenn sie wirklich damit konfrontiert würden. Denn sie übersehen, daß die meisten Behinderungen erst im späteren Leben eintreten. Es gibt somit durch die PID keine Garantie auf lebenslängliche Gesundheit. Ich gehe noch weiter und behaupte, daß eines Tages Versicherungen Leistungen verweigern könnten mit dem Verweis, man hätte sich ja operieren lassen können. Sogar ein möglicher Zwang zur Operation ist denkbar. Wir erleben eine angestrebte Perfektion des Menschen, die nicht nur wohl tut und immer eine Utopie bleiben wird. Leider wird das noch zu wenig erkannt. Die Gegenseite muß es so empfinden, als ob bestehende Behinderung, die nicht behoben werden kann, gar nicht mehr gewollt ist. Trotz aller Beteuerungen, daß es so nicht sei, drängt sich dieser Eindruck geradezu auf.

So wie Du, liebe Stimme, bin auch ich nicht mehr so jung, und darin kann auch ein Vorteil liegen. Es bleibt einem erspart, was noch so alles kommen könnte. Weil sich die Lebensspanne verkürzt, trifft einen hoffentlich nicht das Schlimmste.


Liebe Chavali,

wie Du schon lesen konntest, lagst Du richtig in Deiner Annahme. Die Ausgrenzung, von der Du sprichst ist durch Gegebenheiten vorprogrammiert. Man kann sie nur schwer von sich weisen, weil es die Umstände einfach nicht zulassen. Die Wand unter der Glocke ist zu dick, um sie durchbrechen. Darin stimmen wir überein.

Dich und Stimme muß ich aber in einer Sache korrigieren. Und das betrifft den vermeintlichen Pferdefuß mit der Äußerung von der "Modeerscheinung". Im Gespräch mit meiner Ärztin war der Begriff auf eine andere Situation zugeschnitten. Die Ernsthaftigkeit von Burnout und Depressionen sollte nicht infrage gestellt werden. Stattdessen ging es beim Wasserkopf um das Übermaß an psychologischen Ergüssen, einem Eiertanz, der zu nichts führt und unerträglich sein kann (Geschwätz vom Therapeuten etc). So wie ich es an einer neurologischen Klinik erlebt hatte, als es um streßbedingte Schlaflosigkeit ging. Dieser Aufenthalt hat so gut wie nichts gebracht und ich werde mich nie wieder dort hinbegeben.

Ab und an wird bei Depressionen und Burnout trotzdem von Modeerscheinung gesprochen. Nicht immer ist es ganz von der Hand zu weisen. So ähnlich wie bei Alzheimer. Was früher unter Vergeßlichkeit des Alters fiel, wird heute manchmal vorschnell als Alzheimer bezeichnet. Das kann scih dann als falsch herausstellen. Meine Ärztin ist aber zu erfahren, um das eine und andere nicht unterscheiden zu können. Ein einseitiges Klischee bedient sie aber wirklich nicht.

Chavali, wenn mit dem Begriff "Modeerscheinung" ein Mißverständnis aufgetreten ist, müßte ich unter Umständen nach einer neuen Formulierung suchen - zumal es ja Stimme auch anders aufgefaßt hat als es gemeint war.

Ich danke Euch beiden für Eure Einträge, über die ich mich sehr gefreut habe.

Liebe Grüße

Justin
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