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Alt 30.05.2017, 21:41   #1
Thomas
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Standard Die Telefonzelle

Die Telefonzelle

Sie war noch gelb, aus einer andern Zeit,
als man noch mit dem Zeigefinger wählte,
verbunden wurde und noch Kleingeld zählte,
im Telefonbuch las; zur Sommerzeit
den Hitzestau ertrug, im Winter fror,
und meistens schrie, den Hörer dicht am Ohr.

Was waren das noch Zeiten, als bisweilen
die Menschen vor ihr wartend Schlage standen
und Zeit für Schwätzchen mit den Nachbarn fanden;
man notfalls bat, sich bitte zu beeilen;
als Liebespärchen nachts in ihr verweilten
und bei Gewitter stürmisch Küsse teilten?

Doch schließlich stand die Zelle oft verwaist
an ihrem Platz und harrte tapfer aus.
Das Mütterlein kam manchmal aus dem Haus
vor dem sie stand, und rief die Tochter meist
vergeblich an, sie weinte dann beim Gehen,
doch hat allein die Zelle das gesehen.

Und eines Morgens stand sie da – geschändet:
Die Glastür eingetreten und beschmiert,
der Apparat hing schief und demoliert,
der Hörer samt dem Geld im Schacht entwendet.
So stand sie nun herum, ein halbes Jahr.
Ein Penner nutzte sie als Pissoir.
__________________
© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller

Geändert von Thomas (03.06.2017 um 10:13 Uhr)
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Alt 30.05.2017, 21:57   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Thomas!

S1Z2 - "mit dem Zeigefinger".

Auch ich trauere diesem Stück Kindheit und Jugend nach, als es noch keine Handys und Smartphones gab und man zum Wählen Geduld haben musste.

Natürlich hatte ich eine Möglichkeit, umsonst zu telefonieren: Man baue aus einem elektronischen Feuerzeug den Funkengeber aus, elektrisiere den Schlitz des Münzeinwurfes - und schon kann man für 99 Schilling quasseln, soviel man will! Oder konnte es damals zumindest ...
So leicht war die analoge, unisolierte Technik damals zu überlisten!

Tja, schade - wenn man nicht gerade eine von den alten roten Phoneboxes aus London war, hatte man als stinknormale Durchschnittszelle wohl keine Überlebenschance!

Sehr gern gelesen - und mitgelitten!

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (31.05.2017 um 12:50 Uhr)
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Alt 30.05.2017, 22:02   #3
Thomas
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Lieber Erich,

danke für das "m". Irgend so ein "Hund" muss ja immer drin sein. Und auch für das "Mitleiden".

Liebe Grüße
Thomas
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Alt 02.06.2017, 08:25   #4
Kokochanel
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es ist einfach ein Stück Vergangenheit, das man etwas pathetisch betrauert.

Meist aber waren die Hörer eklig dreckig, ich hielt sie immer weit ab vom Ohr.
Aber du hast recht, lieber Thomas, es ist wieder etwas, was nicht zurückkommt. Ein Symbol quasi.
Ich finde die Handies schon praktisch, obwohl ich meines nur für den Notfall benutze. man kann erreichbar sein, man kann Hilfe holen. ich denke nicht, dass jemand am Anfang absehen konnte, was da für die Jugend bedeutet. Der Missbrauch, der heute damit betrieben wird, ist richtig gesundheitsschädlich, aber eben Kommerz.
Kann mich noch gut erinnern, wie ich im Studium eine Viertelstunde laufen musste, wenn ich mal mit meinen Eltern reden wollte. Da stand man dann abends allein im Dustern , hatte manchmal Schiss nach Hause zu kommen. Als Studentin wohnte man ja auch nicht gerade im besten Viertel....
Da hätte man sich ein Handy gewünscht.
Z 1 müsste es andren heißen, sonsg holperst du aus der Metrik

Gerne dran gedacht mit lG von Koko
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Alt 02.06.2017, 13:51   #5
Erich Kykal
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Ich würde "aus einer andern Zeit" präferieren.
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Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.06.2017, 10:14   #6
Thomas
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Liebe Koko, lieber Erich,

vielen Dank, das hatte ich übersehen. Es ist korrigiert.

Liebe Grüße Thomas
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Alt 04.06.2017, 06:36   #7
mallarme
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Lieber Thomas,
nostalgisch, wehmütig, man kommt sehr ins Träumen
wenn man Deine Zeilen liest. Welche Schicksale mit
diesen Häuschen verbunden waren, nicht auszudenken.
Ein Stück "Kulturgeschichte" das wir uns bewahren sollten.

Ich erinnere mich noch gut wie ich damals, immer knapp
bei Kasse, meinen Eltern meist per R-Gespräch ein Lebens-
zeichen gesendet habe. Und sie waren froh etwas zu hören
habens Geld gern verschmerzt. Würden wir ja heut bei unsern
Kindern auch gern tun, aber sie haben ja ne Flatrate aufn
Smartphon, da spielts ja keine Rolle.

Sehr gern gelesen Deine Zeile, war ein schöner Ausflug in die
"gute alte Zeit"

Beste Grüße
Mallarme
mallarme ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.06.2017, 20:09   #8
Thomas
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Liebe mallarme,

es freut mich, dass meine Telefonzelle deine Erinnerungen angeregt hat. Jedes Ding hat seine Zeit, es ist nur wichtig, denke ich, dass man mit dem "Alten" respektvoll umgeht, und ihm seine Würde lässt.

Liebe Grüße
Thomas
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Alt 06.06.2017, 09:36   #9
juli
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Standard Lieber Thomas,

Deine Ode an die Telefonzelle gefällt mir sehr. Die Technik schreitet rasant vorran, und dieses " Zuhause" ist fast verschwunden. Bei Regengüssen war sie bei mir sehr beliebt. In fester Erinnerung bleibt mir der Geruch von Metall, Ohrschmalz ( ) manchmal Parfüm oder Rasierwasser von denen, die vorher in der Zelle waren. Alter, kalter Rauch...Du merkst du hast meine Erinnerungen angezapft. Und dann ist das ein gutes Gedicht!

Liebe Grüße sy

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Alt 06.06.2017, 20:11   #10
Thomas
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Liebe syranie,

vielen Dank für den netten Kommentar.

Liebe Grüße
Thomas
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