Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 07.03.2018 11:04

Der Entfernte
 
Er lernte früh, sich nicht zu offenbaren,
denn er begriff bereits in jungen Jahren,
dass Menschen scheuten, dass er sie nicht fühlte,
nicht lieben konnte, so wie sie es taten.
Er konnte sich verstellen, lernte raten,
was anderen das warme Herz zerwühlte.

Als Kind war er empfindlich, konnte weinen,
wenn sie ihn quälten. Unverletzlich scheinen,
das war ihm nicht von Anfang an gegeben!
Er würde immer seltsam sein, begriff er,
doch die Fassade glättete und schliff er,
um unter ihnen unerkannt zu leben.

Er glitt durch ihre wunderlichen Welten,
nahm alles hin und ließ es schweigend gelten,
bis er die Reime zu gebrauchen lernte.
So schreibt er nun aus seiner blinden Warte,
was ihm das Unerfühlende ersparte:
Der wie aus allem Wirklichen Entfernte.

Eisenvorhang 07.03.2018 12:22

Hi Erich,

wenn ich diese Zeilen lese, denke ich mir: "Meint er mich damit?"

^^

Auch wenn das LI sich damit meint und nicht mich.
Ich kann jede Zeile nachfühlen und das Gedicht lässt mich mit sonderbaren Gefühlen zurück.

Gäbe es hier Favoriten, würde ich sofort drücken!

Keine Kritik.

vlg

EV

Erich Kykal 07.03.2018 12:27

Hi EV!

Ja, von dem, was du mir von dir erzähltest, ahnte ich, dass du Parallelen sehen würdest. :o

Dies ist ein Stückchen Nabelschau - ein Versuch, das eigene Wesen, die eigene Egomanie wertfrei zu fassen und objektiv lyrisch zu beschreiben.

Vielen Dank für die prompte Replik! :)

LG, eKy

Eisenvorhang 07.03.2018 13:11

Ich finde es ist wichtig Egomanie nicht mit Sensibilität und Verletzung zu verwechseln.

Vielleicht sind wir etwas verkappt, aber nicht egomanisch - denn Egomanie impliziert eine gewisse Form von Hedonismus.

Vielleicht sind wir lyrische Hedonisten :D:Blume:

vlg

Thomas 07.03.2018 16:36

Lieber Erich,

statt "aus seiner blinden Warte," würde ich "aus distanzierter Warte," schreiben.

Am Ende müsste meiner Meinung nach zu dem "ersparen" in der vorletzten Zeile "vorenthalten" hinzukommen.

Liebe Grüße
Thomas

Erich Kykal 07.03.2018 17:07

Hi EV!

Oh - aber ich bin ganz eindeutig ein Hedonist! Da beißt die Maus keinen Faden ab!


Hi Thomas!

Allein vom Wortinhalt her gebe ich dir recht, indes, die Wörter sollen auch ins lyrische Gefüge passen. "Distanziert" erscheint mir sprachlich gefühlt zu distanziert, zu sehr wissenschaftssprachlich als fremdsprachlicher Fachterminus.

Das "Vorenthaltene" wäre unpassend, da ich mir ja nie etwas aktiv vorenthalten habe. Ich hätte mich ja ins Partnerschaftliche werfen können, wenn ich das gewollt hätte - ich wollte eben nicht, weil ich nicht das Nötige empfand für eine stabile Beziehung. Es war also das Unerfühlende in mir, das mich verhinderte - und mir so vielleicht auch vieles ersparte: Streit, Rosenkrieg, Psychoterror, Verlustangst, Eifersucht, Trennung, Scheidung, Todesfall ... :rolleyes:

So schreibe ich eben "theoretisch" über menschliche Beziehungen - ich weiß Bescheid, habe Bücher gelesen, Filme gesehen ... ;):p:Aua

LG, eKy

Chavali 07.03.2018 20:51

Servus Erich,

*blinden Warte* ist schon gut, ich würde da nix ändern, was du ja eh nicht gerne bis nie machst :o;)

Schönes Gedicht, das wieder einmal das Dilemma eines Menschen erzählt,
der durch welche Umstände auch immer
(wir kennen ja deine Texte zu dem Thema) schon als Kind zu den Ausgegrenzten zählte und
das im Erwachsensein nicht ändern wollte oder konnte.

Immer wieder eindringlich und nachdenklich, ein bisschen auch resignierend....

Immer wieder gern gelesen!
LG Chavi

Erich Kykal 07.03.2018 21:18

Hi Chavi!

Vielen Dank für die lobenden Worte. Zu oft sollte man nicht über sich selbst schreiben, will man nicht in den Ruch geraten, selbstgefällig oder -fixiert zu sein.

Ich hoffe, ich übertreibe es nicht in dieser Hinsicht ... :o

LG, eKy

Laie 08.03.2018 11:19

Hi eKy,

was sollen denn dann diejenige sagen, die eine Autobiografie verfassen? Lächerlich sind nur die, die das schon mit 30 oder 40 tun :D

Dein Gedicht zeigt nur, dass du ein selbstreflektierter Mensch bist. Daran ist nichts selbstgefällig. Lauscht nicht jeder Dichter auf eine gewisse Weise in sich hinein und schreibt es heraus? Inwiefern das Bild, das man sich so von sich selbst macht, richtig ist, ist natürlich eine andere Frage.

Ich hab dein Gedicht sehr gern gelesen :)

Gruß,
Laie

juli 08.03.2018 16:57

Lieber eKy,

Hier erzählt das LI, nachdenklich über sich. Ich habe viele Gedichte von dir gelesen, znd ich finde sie berühren ALLE. Auch wenn der Dichter nicht alles erlebt hat, Es springt der Funke über!
Ein schönes Gedicht! :Blume:

LG sy

:Blume::Blume::Blume:

Erich Kykal 08.03.2018 19:27

Hi Laie!

Vielen Dank für das angebotene "Hintertürchen" - aber ich fürchte, dass ich mit diesen Zeilen über mich ziemlich richtig liege! ;):rolleyes:


Hi Sy!

In diesem Falle hat es der Dichter so erlebt und so empfunden. :Aua:o


LG euch beiden!

eKy

Kokochanel 09.03.2018 08:48

er glitt durch ihre wunderlichen Welten...-
das ist für mich der Schlüsselsatz, lieber Erich.
Eine Distanziertheit, selbstgewählt, um Schmerz und Verletzung zu vermeiden. Aber sich auch die Chance nehmend, sich selbst davon zu befreien und zu erkennen, dass nicht alle Menschen böse sind und Schmerz auslösen.
Es ist immer schwierig, diese Art Werke zu kommentieren, weil du über dich selbst schreibst und man nicht übergriffig sein möchte.
Ich halte es also allgemeiner:
Ich denke, der Rückzug ist immer unglücklich und nie alternativlos.
Einsamkeit, nie ausgeglichener Schmerz, Trauer und Wehmut umfloren das berührende Gedicht, das in einem ungewöhnlichen und sehr schönen Reimschema geschrieben ist.

Gerne mitgefühlt und gelesen mit lG von Koko

Erich Kykal 09.03.2018 14:46

Hi Koko!

Vielen Dank für deine tiefer schürfenden Ausführungen! :) Und keine Sorge - ich bin selbst- wie fremdanalytisch genug, um (böswillig gemeinte) "Übergriffigkeit" von ehrlicher Aufrichtigkeit und Offenheit unterscheiden zu können. Da bin ich ziemlich schmerzfrei und tiefenentspannt ...

Soziale Nähe überfordert mich rasch - meine Geduld wird mit der Dauer immer kürzer, ich werde unleidig und aggressiver. Ob das mangels "Übung" so ist, oder weil ich grundsätzlich inkompatibel bin, weiß ich nicht zu sagen - wahrscheinlich von beidem etwas.
So gesehen ist meine Einsiedelei eher erholsam, bekomme ich doch über das Berufliche mehr als genug "Sozialkontakt" für meine Verhältnisse!

Noch ein Grund: Wem andere mehr oder weniger nichts bedeuten, kann mit ihnen ungehemmt umgehen - es muss niemand beeindruckt, vom besseren Selbst überzeugt werden, wie es bei jemandem wäre, dessen Meinung zur eigenen Person einem etwas bedeutet.
Das bedeutet nicht, dass ich Menschen als "wertlos" erachte - bloß, dass ich ihrer Meinung zu meiner Person keinen Wert für mich selbst zumesse. Menschen sind mir nicht "egal" - ich lasse mich bloß nicht mehr von ihnen "berühren". Ich bleibe emotional bereinigt. Interessanterweise kann man sich das Lieben viel leichter abgewöhnen und aberziehen als das Zornigwerden, die Wut ist - zumindest bei mir - viel zäher!
Ist das allgemein so oder nur bei mir?

Distanz trennt nicht nur und isoliert - sie kann auch Schutz sein und Schild, und sie lehrt sehr viel darüber, dass man seinen Selbstwert nie über die Meinung anderer definieren sollte.

LG, eKy


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