Gedichte-Eiland

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Claudi 25.01.2015 22:27

Rund um die Uhr
 
.
Das Leben wäre ohne Zeitmesser
bequemer und gesünder, weit besser
als ständig dieser Knatsch mit Haarspaltern,
die viertelstündlich um ein Jahr altern,
weil sie wie eine Schweizer Uhr ticken.
Ich würd sie alle mal zur Kur schicken.

Der Alte meint, ich müsst im Trott bleiben,
sonst würd ich ihn in den Bankrott treiben,
und während ich mich hier verausgabe,
vergess ich, dass ich ein Zuhaus habe.
Da könnt ich lange schon am Herd stehen
und nach dem Essen ins Konzert gehen.

Der Zeiger rast, ich muss das Bad wischen
und schaffe schnell noch den Spagat zwischen
WC und Wäschekorb. Ich weiß, diesen
verdank ich nicht allein den Scheißfliesen.
Mein Handy klingelt: Tut mir leid, Kalle,
sie schnappte wieder zu, die Zeitfalle.

.

Bodo Neumann 26.01.2015 05:28


Hallo Claudi,

da ist es also - das fünffüßige Hinkebeinchen.:D Glückwunsch! (Ich selbst habe letzte Woche auch dran gebastelt, bin aber [noch!] zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen)
Und nicht nur einfach gereimt, sondern ausgesprochen anspruchsvoll (durchgängig dreisilbig) und kreativ (weiß, diesen - Scheißfliesen), was sich vermutlich automatisch ergibt, wenn man auf drei Silben reimt.
Und siehe da - die Reime stören nicht wirklich, oder? Ein (hier passender) Nebeneffekt ist sogar, dass dabei eine Art Rap-Sound entsteht - sowohl durch das Hinkebein als auch durch die langen Reime, findest du nicht?

Sehr geschickt finde ich den Spagat zwischen dem tatsächlichen Spagat und der zugehörigen Metapher.:D

Hab Dank für das Lehrstück.

Gruß Bodo

Claudi 26.01.2015 13:47

Hallo Bodo,

freut mich, dass Du dem Ergebnis der Studie etwas abgewinnen kannst. Ich hatte einiges ausprobiert, wollte eigentlich vierhebig bleiben, und die Doppelreime drängten sich mir förmlich auf. Ich hab es dann direkt drauf angelegt, das merkt man dem Teil natürlich an und das darf auch so sein. Länger hätte es für meinen Geschmack aber wirklich nicht sein dürfen.

Vielleicht liegt es an der Asymmetrie der fünfhebigen Verse (drei Hebungen normal und zwei gereimt), dass man hier nicht so schnell seekrank wird wie bei meinen vierhebigen Versuchen. Die vierhebigen einfach gereimten haben mir gar nicht gefallen. Fünfhebig/einfach gereimt hab ich dann gar nicht probiert, aber ich glaube fast, da müsste man dann wieder mit Zäsuren arbeiten.

Am besten fand ich die ungereimten Versuche, die allerdings schon mehr in freie Rhythmen übergehen und kaum noch an den Grundvers erinnern, dafür aber richtig schön "versig" werden. Muss noch ein bisschen daran fummeln, dann zeig ich sie mal.

Danke fürs Beschnüffeln und Begutachten! :)

Liebe Grüße
Claudi

wolo von thurland 26.01.2015 22:14

hallo claudi

es könnte eventuell sein, dass rein vom thema und der themenbehandlung her dieses werk dich nicht überdauern wird.
aber packen wir die gelegenheit, die jetzt besteht, beim schopf und geniessen wir diesen reim-daktylus in vollen zügen, der die zeilenschaltung zum spagat werden lässt, aber für den sportlichen leser reinster spass ist.

ach, da fällt mir ein: du spielsz hier am ende jeder zeile zum thema zeit mit der zeitdilatation, also wird es wohl doch ein bedeutungsvolles, langes leben haben.

spass gehabt und ehrfürchtig gestaunt
wolo

Nachteule 27.01.2015 00:22

Hallo Claudi,

die Doppelreime, die du hier verwendest, gefallen mir. Auch ich musste erst einmal an einen Raptext denken. Das liegt aber sicher auch daran, dass die zweit und dritt letzte Silbe jeweils betont sind und somit eine Zäsur entsteht, die diesen Charakter noch etwas unterstützt.

Was mir nicht ganz klar ist, warum altern sie weil sie wie eine Schweizer Uhr ticken?

Wer ist zu beginn der zweiten Strophe "der Alte"? Der Chef oder der Göttergatte? Wahrscheinlich der Chef, aber das käme erst bei V4 der Strophe raus.
Das Konzert wäre ja auch Zeit und Geldverschwendung. (Bankrott)

Mir gefällt zwar auch der Spagat zwischen der Metapher und dem richtigen Spagat, aber den Metaphorischen hat das lI ja nicht wirklich geschafft. Vielleicht "und schaffe nicht noch den Spagat zwischen". Aber das wäre ist nicht notwendig, nur eine Idee, was auch ginge.

Den letzten Vers würde ich nicht mit einem Doppelpunkt einleiten. Er ist ja keine Folge dessen.

nächtlicher Gruß, gutes nächtle und carpe noctem
Nachteule

Claudi 27.01.2015 02:47

Hallo Wolo,

trotz Zeitdilatation ist diese Spielerei nur für den Augenblick gedacht. Es sind aber keine Daktylen drin, sondern die Verse sind modifizierte Hinkjamben:

x X x X x X x X X x

Der Prototyp ist eigentlich sechshebig und reimlos. Bodos Werk Kreislaufproblem hatte mich dazu animiert. Freut mich, dass Du offensichtlich der Zielgruppe "sportlicher Leser" angehörst und Spaß hattest. :D



Hallo Nachteule,

der Spagat-Witz sollte eigentlich darin bestehen, dass der Leser in S3V2 zuerst metaphorisch denken soll und in V3 überrascht wird (genau wie das Opfer). Die beiden Schlussverse sind nur eine Notlösung (hier kam die Thematik für die Autorin voll zum Tragen :D). Die Pointe ist mir zu platt und den Sani schon im vorletzten Vers zu erwähnen, nicht schlau. Da wird mir hoffentlich noch was Besseres einfallen. Am liebsten würde ich nochmal Bezug zum Thema nehmen, vielleicht so:

Mein Handy klingelt: Tut mir leid, Kalle,
sie schnappte wieder zu, die Zeitfalle


Der Alte ist der Chef, aber so genau muss das meinetwegen nicht genommen werden. Kann sein, dass Du als Student die Erfahrung der viertelstündlich zunehmenden Vergreisung bei ständigem Zeitdruck noch nicht machen konntest. Hoffen wir, dass sie Dir ganz erspart bleibt. :D


Danke für Eure Kommentare!

Liebe Grüße
Claudi

wolo von thurland 27.01.2015 14:51

danke.
hinkjambus ist ein sehr schönes wort für "haarspalter", "zeitmesser" und andere, welche sich "verausgaben". übernehme ich gerne. und hab schon den kopf voll mit "fruchtzucker", "schluchtgucker", "zuprosten", "mutlosen" usw.
gruss
w.

Lailany 28.01.2015 04:15

Liebe Claudi,
auch wenn ich mich zu den vehement, sowie permanent unsportlichen Lesern zähle, muss ich neidlos zugeben, dass mir dieses Lehrstück ausnehmend gut gefällt. Obwohl du es als Hinkebeinjambus bezeichnest, kommt es nicht lahm, sondern leichtfüßig hüpfig einher. Mag ich. Sehr sogar. :)
Das hat mich inspiriert und ich hab einen Versuch gemacht. So einfach, wie es bei Deinem Text aussieht, ists beileibe nicht.
Zumindest nicht für Unsportliche.
Die Tage, in denen ich mich zum Spagat animieren ließ, sind eben Vergangenzeit. :D

Toll gebastelt, Kompliment! :)
Sehr gern gelesen und besenft.

LG von Lai:Blume:

plotzn 28.01.2015 13:46

Hallo Claudi,

dieser Quasi-Modo-Jambus mit dem schleifenden Bein gefällt mir gut. Hat so einen erfrischenden, nicht-leiernden Rhythmus.

Liebe Grüße, Stefan

Chavali 28.01.2015 16:45

Hi Claudi,

dein Basteltalent bewundere ich auch und ich kann es gut verstehen, dass dieser Text in der Humorrubrik
so gut ankommt :D

Ein wenig wirkt es wie ein Schütteltext - soll es vielleicht auch sein?

Und trotzdem:
Was wäre das organisierte Leben ohne Uhr, ohne Zeit - wir würden wohl alles durcheinanderbringen.
Selbst den Beginn eines Konzertes könnten wir nicht richtig einschätzen ;)

Mit Schmunzeln gelesen!

LG Chavali


Falderwald 02.02.2015 12:08

Moin Claudi,

der Text klingt wie direkt aus dem Leben einer berufstätigen Hausfrau gegriffen.
Das nötigt dem Leser schon einigen Respekt ab.

Ob es allerdings ohne Zeitmesser alles besser wäre, ist eine gute Frage, denn nur mit Uhr sind wir in der Lage, unsere Zeit auch einzuteilen, sonst würde ja u.U. alles wild durcheinander gehen und im Chaos versinken.
Ich persönlich würde ohne Uhr gar nix auf die Reihe bekommen. :D;):)

Ansonsten bin ich voll bei dir, denn ich weiß, was Haushalt und Beruf bedeuten, habe ich doch auch schon einige Zeit (da haben wir sie wieder ;)) alleine gelebt.

Deswegen weiß ich auch durchaus zu schätzen, was meine Liebste für mich so alles tut. :)

Allerdings glaube ich, dass du weißt, was ich von einem sogenannten Hinkjambus bzw Choliambus halte.
So etwas gibt es in der alternierenden Metrik nicht und Begriffe wie "Zeitmesser", "Haarspalter" etc. sind eindeutig daktylisch.
Und in diesem Zusammenhang werden auch alle anderen Kadenzen in den restlichen Zeilen daktylisch.
Da bin ich dann ganz auf wolos Seite.

Da ich aber weiß, dass wir uns darüber nicht einig sind und das hier auch keinesfalls als Fehler ansehen mag und kann (sondern nur deine diesbezügliche Aussage), finde ich deinen Text auch sehr gelungen. :)


Gern gelesen und kommentiert...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald



Claudi 11.02.2015 02:56

Hallo Ihr Lieben,

tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Ich hatte gehofft, Euch zusammen mit der endgültigen Fassung antworten zu können, aber die Alternativen, die ich bis jetzt gefunden habe, gefallen mir auch nicht besser als die Urfassung.


Liebe Lai,

danke für die Blumen! Das Hinkebein habe ich allerdings nicht erfunden, sondern ein Grieche namens Hipponax, der es für seine Spottgedichte verwendet hat. Man nennt den Vers nach ihm auch Hipponakteus. Auch die lateinischen Dichter Catull und Martial haben das Hinkebein eingesetzt.


Hallo Stefan,

freut mich, dass Dir der Quasimodo gefällt. Danke fürs Reinschnuppern!


Hi Chavi,

ja, theoretisch könnte man sowas auch mit Schüttelreimen machen. Ist halt noch eine Umdrehung schwieriger. Da müsste ich mal gaaaanz viel Zeit übrig haben. :D


Moin Faldi,

ja, ich weiß, wir haben da unsere Meinungsverschiedenheiten. Den Duden zu befragen, nützt hier allerdings nicht viel, denn er zeigt nur die Hauptbetonung in den Wörtern an. Wenn es mir aber möglich war, auf Nebenbetonungen echte Reime zu produzieren, die von Dir nicht bemängelt wurden, sagt mir das indirekt, dass Du sie unbewusst eben doch als Hebungen wahrgenommen hast. Hier mal die Gegenprobe mit echten Daktylen:

Reisende reimt auf
Preisende, aber keinesfalls auf
Greifende


Es gibt halt nicht nur Schwarz und Weiß bei der Bewertung einzelner Silben. Dazwischen liegen etliche Graustufen. Mag sein, dass Du das Grau in diesem Fall wesentlich heller wahrnimmst als ich. Die alternierende Metrik ist jedenfalls ein zu grobes Werkzeug, um solche Farbunterschiede exakt zu erfassen. Klar könnten die von mir verwendeten zusammengesetzten Substantive in einem anderen Kontext auch als Daktylen eingesetzt werden. Eindeutig daktylisch sind sie m.E. nicht.


Danke Euch allen für Eure Kommentare! :)

Liebe Grüße
Claudi


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