Gedichte-Eiland

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Thomas 19.07.2015 18:37

Fast nichts
 
Fast nichts

In ihrer Stimme schwingt
seit jenem Tag von Zeit zu Zeit
ein Anflug dieser Traurigkeit.
"Es geht mir gut", das klingt
wie Augen, die geöffnet scheinen
und hinter Fensterscheiben weinen.




Version von Erich Kykal

In ihrer Stimme schwingt
seit jenem Tag von Zeit zu Zeit
ein Anflug dieser Traurigkeit,

die seltsam schweigen macht
und aller Sinne sachtes Gut
erkühlt in jene Trauer tut.

"Es geht mir gut", das klingt
wie Augen, die geöffnet scheinen
und hinter trüben Scheiben weinen.

Erich Kykal 19.07.2015 19:43

Hi, Thomas!

Ein interessanter Duktus, der durch die rhythmische Heberverteilung in den Zeilen erreicht wird: 3-4-4-3-4-4

Kein Komma nach "klingt" in Z4.

Stilistischer/satzmelodischer Vorschlag für Z6: "die hinter trüben Scheiben weinen."

In Z3 wird von "dieser Traurigkeit" gesprochen, was eine spezielle Art von Traurigkeit impliziert. Leider wird nicht erklärt, worin diese spezielle Traurigkeit denn nun besteht oder wurzelt.

Also entweder die Zeile ändern: "ein Anflug sanfter Traurigkeit." oder so ...
- oder eine einleitende Strophe vor- oder zwischenstellen, die auf diese Art der Traurigkeit eingeht und sie erläutert. Am passensten erschiene mir eine Fortführung des Satzes mittels eines dreizeiligen mittigen Einschubs von der gleichen Hebungsfolge wie die Zeilen 1-3 und 4-6.

In etwa so:

In ihrer Stimme schwingt
seit jenem Tag von Zeit zu Zeit
ein Anflug dieser Traurigkeit,

die seltsam schweigen macht
und aller Sinne sachtes Gut
erkühlt in jene Trauer tut.

"Es geht mir gut", das klingt
wie Augen, die geöffnet scheinen
und hinter trüben Scheiben weinen.


Sehr gern gelesen und beklugfummelt!:)

LG, eKy

Thomas 20.07.2015 12:12

Lieber Erich,

vielen Dank. Du hast eine schöne Version geschaffen. Sie ist, wie es für dich nun mal typisch zu sein scheint, sehr schön rund. Ich würde dagegen ehr sogar noch die ersten 3 Zeilen weglassen, wenn ich nicht befürchtet, dass das Ganze dann doch etwas zu offen bliebe.

Liebe Grüße
Thomas

Erich Kykal 20.07.2015 15:58

Hi, Thomas!

Was denn, NOCH mehr weglassen?

Ei, warum bist du lyrisch derzeit gar so kurz angebunden?

Du weißt doch:

Zu wenig und zuviel,
so geht der Narren Spiel!


:D

LG, eKy

Agneta 02.09.2015 09:53

mir gefällt die erste Version in ihrer Verknappung besser, zumal es verdichtet. Das "trübe Scheiben " wäre jedoch ein sinnvoller Vorschlag, weil es noch einmal bildlich den Schluß verstärkt.
Das stille Leiden der starken Menschen hast du hier gut rübergebracht, lieber Thomas.
LG von Agneta

Thomas 02.09.2015 16:28

Liebe Agneta,

sei herzlich willkommen! Vielen Dank für deine Meinung. Ich habe mir Erichs Vorschlag genau angesehen, und auch die "trüben Scheiben". Das Bild, das ich hervorrufen möchte sein eigentlich nicht trübe Scheiben, sondern Fensterscheiben, die undurchsichtig und getrübt sind, weil sie von innen beschlagen sind, wie das in feuchten Räumen tatsächlich vorkommt.

Liebe Grüße
Thomas

Agneta 02.09.2015 16:51

ja, so hatte ich es auch empfunden. Da will ja der Prot oder die Protagonistin nicht, dass jemand reinschaut. Man stellt sich vor wie das Fenster vom Atmen, nah an der Außenwelt und doch gewollt verschlossen, seine Ruhe haben will. Sein Leid mit sich selber ausmachen. Trübe wäre mehr unbeabsichtigt...
ja, beschlagen wäre genau das richtige Wort. Vielleicht kann man, wenn man noch feilen will, noch irgendwas mir perlen; Tränen und beschlagen einbauen.
Auch der harmonische Wechsel zwischen Dreier-und Viererhebung kommt gut.

Musst du entscheiden. Nötig ist es nicht, finde ich, aber es würde den Schluß noch mehr pointieren.
Auf keinen Fall würde ich es länger machen. Es wirkt gerade durch seine Knappheit und Kürze.:Blume:
LG von Agneta

Bodo Neumann 02.09.2015 17:37

Hallo Thomas,

dank Agneta bin ich auf diese Zeilen gestoßen und finde auch, dass das von dir erstrebte Bild in den ursprünglichen sechs Versen ausreichend skizziert wurde.
Meiner Meinung nach wird im von Erich vorgeschlagenen Mittelteil zuviel erklärt, das nimmt den Reiz der Selbstentdeckung. Auch habe ich es nicht so mit Füllwörtern (hier "sachte" und "seltsam"). Dafür gefällt mir die Gliederung in "Dreierblöcke". So hat halt jeder seine Vorlieben...:)

lg Bodo

Dana 02.09.2015 21:38

Zitat:

Zitat von Thomas
Fast nichts

In ihrer Stimme schwingt
seit jenem Tag von Zeit zu Zeit
ein Anflug dieser Traurigkeit.
"Es geht mir gut", das klingt
wie Augen, die geöffnet scheinen
und hinter Fensterscheiben weinen.

Lieber Thomas,

ich lese sechs wunderbare Verse und erkenne ein ganzes Leben.:Blume:

Nur ganz nebenbei: (Immer wieder eine interessante Diskussion ...???)

Die tiefste Wahrheit sprechen "immer/oft/meist" Dichter aus. Dichterinnen sind darin rar. Wie kommt das nur?

Wirklich gern und berührt gelesen. Die Fragezeichen ergaben sich von selbst.

Liebe Grüße
Dana

Thomas 03.09.2015 19:39

Liebe Dana,

herzlichen Dank für deinen ermutigenden Kommentar.

Liebe Grüße
Thomas

Erich Kykal 04.09.2015 12:21

Zitat:

Zitat von Bodo Neumann (Beitrag 86441)
Auch habe ich es nicht so mit Füllwörtern (hier "sachte" und "seltsam").

gegen die - in meinen augen oberflächliche und falsche - behauptung, bei so gut wie jedem adjektiv oder adverb handele es sich um "füllwörter", deren einziger zweck (damit indirekt oder unterschwellig unterstellt) darin bestehe, einen text zu "verschwurbeln" oder über lyrisches unvermögen hinwegzuretten, möchte ich mich an dieser stelle nachhaltig verwahren!

Bodo Neumann 05.09.2015 14:11

Zitat:

gegen die [...] behauptung, bei so gut wie jedem adjektiv oder adverb handele es sich um "füllwörter", deren einziger zweck (damit indirekt oder unterschwellig unterstellt) darin bestehe, einen text zu "verschwurbeln" oder über lyrisches unvermögen hinwegzuretten, möchte ich mich an dieser stelle nachhaltig verwahren!
Hallo Erich,

ich habe nicht behauptet, dass es sich generell bei nahezu jedem Adjektiv oder Adverb um ein Füllwort handele, sondern, dass ich Füllwörter nicht gut finde. Das ist ein Unterschied.
Adjektive (oder Adverbien), die der Entwicklung und vor allem der Verdichtung des Textes dienen, halte ich nicht für Füllwörter.
Ich selbst bediene mich ihrer leider auch manchmal - meistens um im Versmaß zu bleiben. Das passiert aber eigentlich nur, wenn man keine Platzvorgaben hat. Natürlich leidet die Verdichtung darunter. In richtig guten Limericks zum Beispiel gibt es in der Regel keinen Platz für Füllwörter, der Verdichtungsgrad ist entsprechend hoch.
Dennoch kann ich in der humorvollen Dichtung eher mit Füllwörtern leben als in ernsteren Werken. Zum Beispiel sprechen mich auch sehr sehr viele Sonette hier wenig an (ich habe aber auch schon sehr schöne gelesen), weil die relativ langen Verse den Autor häufig zum "Schwafeln" einladen (meine Erklärung). Aber ich schweife ab. Zurück zum vorliegenden Beispiel:
ein Anflug dieser Traurigkeit,

die seltsam schweigen macht
Nach nochmaligem Lesen finde ich den Übergang von S1 zu S2 doch ganz ansprechend. Selbst das "seltsam", obwohl ich mir nicht sicher bin, ob das Schweigen wirklich seltsam ist. Aber okay, das kannst du ganz anders empfinden.
und aller Sinne sachtes Gut
erkühlt in jene Trauer tut.
Hier stelle ich nach erneutem Lesen fest, dass ich nicht nur das Adjektiv, sondern sogar beide Verse für Füllstoff halte.

Dessen ungeachtet gefällt mir an deiner Version der gewisse Nachhall, den die Binnenreime(?) sacht auf macht bzw. gut (S3V1) auf tut erzeugen.

In der Hoffnung, nicht allzu verschwurbelt argumentiert zu haben...

grüßt Bodo

Thomas 05.09.2015 15:58

Lieber Erich, lieber Bodo,

ich habe Erichs Version extra unter meine gestellt, weil ich sie sehr gut finde, eben anders, aber gut. Das mache ich normalerweise nicht.

Die Foren-Debatten über Füllworte, Wortwiederholungen, etc. nehme ich für mich nicht besonders ernst, da ich glaube, dass ich meistens (und Erich auch) ohne derartige Anfängerfehler auskomme. Außerdem sind die angemahnte Worte oft wichtig und gut.

Konkret sind im vorliegenden Fall natürlich die drei eingeschobenen Mittelzeilen von Erichs Version eine "Füllung", welche die in meiner Version nur angedeutet Gefühlslage erläutern. Beides geht. Es ist sicher sehr schwierig ein objektives Kriterium dafür zu finden, welches bestimmen könnte, was besser ist.

Liebe Grüße
Thomas

Bodo Neumann 05.09.2015 17:00

Zitat:

Es ist sicher sehr schwierig ein objektives Kriterium dafür zu finden, welches bestimmen könnte, was besser ist.
Hallo Thomas,

das ist zweifellos so. Wir können nur über subjektives Empfinden diskutieren - nichts anderes habe ich getan. Mir ist klar, dass Verse auf jeden anders wirken können.

lg Bodo


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