Gedichte-Eiland

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Leier 20.03.2009 09:42

Selbsterkenntnis
 
-

Ich riech, wie alte Hexen riechen:
nach Gift, nach Fisch, nach schwarzer Galle
und nach den fiebernd siechen
Wunden, wenn ich dereinst falle.

Ich bin nur Leder, Falt', Gedärme
im Netz der dürren, brüch'gen Haut
und, was je war an frischer Wärme
in meinem Blut, ist längst verdaut.

Statt Haaren wachsen mir nun Warzen,
die Höhle meines Augs grinst fahl,
und weil die längst ergrauten Parzen
wie sie immer wirkten, wirken, bin ich kahl.

Ich bin der Spott all jener Bilder,
die Künstler farbenreich erschufen,
denn meine Fersen werden mir zu Hufen
und nur die Wünsche glühen wilder.

a.c.larin 20.03.2009 21:40

Liebe Cyparis,
ja,was soll man dazu sagen? Mens sano in corpore Sanatorium!
Wär's aber umgekehrt besser : Ein perfekter Body gefüllt mit einem desolaten Geist? Nein, glaube mir: So bist du uns schon lieber!

Aber ich kenn das auch:
Sich selbst beim Älterwerden zuzusehen ist immer wieder eine deutliche Mutprobe!
Jeder neue Zehner vor der Altersangabe musste auch von mir zunächst einmal mit großem Argwohn beäugt werden. Der letzte Zehner brauchte zweieinhalb Jahre "Vorlaufzeit" , bis ich ihn endlich "konnte" .
Ich habe aber einen Trick : Ich schreibe mir selbst einen (gereimten) Begleitbrief, als eine Art Regieanweisung und hoffe, dass mein Unterbewusstsein irgendwann seinen bockigen Widerstand fallen lässt.
Es bleibt einem ja sowieso nichts anderes übrig, als aus der alten Hülle raus und in die neue Hülle hinein zu wachsen...

liebe grüße
larin

Leier 20.03.2009 21:49

Liebe larin,


hast Du den Dichter mit mir gleichgesetzt - hihihi?
Dein erster Satz ist ein exquisit gestalteter Spott, der bei mir gut ankommt.
Im Hinterstübchen hat sich was geregt und bewegt. ( Das "o" ist oho!).

Aber es gibt die feinen Unterschiede zwischen Älterwerden und Altwerden, die in diesem Gedicht zutage treten sollten.
Ein Abschiednehmen von aller Eitelkeit.
Ohne Bitternis. Mit Selbstspott (es bleibt sonst nicht Vieles, hahaha!).
Auch wollte ich eines berühmten Dichters Sprache zu übernehmen versuchen.
Gelungen ist es mir wohl nicht.

Hab Dank für Deinen Kommentar


von
cyparis

a.c.larin 20.03.2009 22:59

liebe cyparis,
bravo - jetzt bin ich dir also auf den leim gegangen!
da steh ich jetzt da mit meiner seelischen hausapotheke ( helfersyndrom und kein ende !), ja ja, geschieht mir recht!
wieder eine lektion gelernt zum thema "was für ein depp bin ich selber?"
super, dass du über dich lachen kannst - ich kann's auch.
(dem publikum wird's gefallen, wenn sich da zwei zum narren machen)

was soll's ? klug und schön sein kann schließlich jeder!;)

larin

Leier 21.03.2009 10:07

Liebe larin,


d a s wäre was: "klug und schön sein kann schließlich jeder" ....
Da möchte ich auch mitnaschen, vor allem am Töpfchen der Klugheit!

So muß ich mich mit einem bißchen Grips, Alter, Fett und Falten bescheiden.
Darin habe ich mich aber gut eingerichtet...

Lieben Morgengruß
von
cyparis

Blaugold 21.03.2009 13:21

Hallo cyparis

Ein spassiges Gedicht von dir. Selten. Aber immer öfters. Gut.
Metrisch variabel, wie immer. ;)

Inhaltlich resumiert LI, dass die Schönheit, der Wohlgeruch und die Grazie der Jugend "zum Teufel" geht! Aber wer weiss, vielleicht gefällt dem ja ein Huf, Warzen und Modergeruch. :cool:

Ich finde allerdings, dass die selbstbeschreibende Version zu objektiv daherkommt. Denn im Falle einer klaren Erkenntnis ist die "alte Hexe" noch zu wehmütig. Das wirkt sympathisch menschlich. Mitleiderregend.

Bei the way, ich persönlich mag bei älteren Frauen, wenn sie schon grauende Haare nicht färben. Ehrlich!

Blaugold

Medusa 21.03.2009 16:11

Liebe Cyparis,

ohjemineh, muss ich das Treffen wieder absagen? Ich bin doch soooo geruchsempfindlich!:eek:

Selbstironie vom Feinsten servierst Du hier der Leserin, flotte Sprüche und leicht zu lesen. Einen "Dichtervater" vermag ich allerdings nicht zu erkennen.:o

Ich grüße Dich herzlich,:)
Medusa.

Leier 25.03.2009 09:48

Hähähä-hahaha!!

Nee, meine liebe Medusa,
Du mußt nicht absagen!
Wir überdecken meinen Gestank mit Zigarettenqualm und Rum-Buddel-Duft!

Hab Dank fürs Lob.
Daß Du das "Vorbild" nicht erkannt hast, wundert mich ein wenig.

Lieben Gruß
aus dem verschneiten Zweibrücken
von
cyparis

ruhelos 25.03.2009 16:49

hallo cyparis,

ein lustiges Gedicht im Kreuzreim, fernab von jeglicher Eitelkeit ist dir hier gelungen. Ich habe mir das Bild lieber nicht zu lebhaft vorgestell.

Eine Frage zur 3. Strophe, letzte Zeile:

wie sie imme wirkten, wirkten, bin ich fahl.


Ist die Wiederholung des Wortes wirkten Absicht?

Der Titel wirkt m. E. ein wenig trist. Wie wäre es denn z. B. mit:
Spieglein, Spieglein an der Wand? Ansonsten gerrn und schmunzelnd gelesen.

Viele Grüße
ruhelos

Leier 25.03.2009 19:16

Liebe ruhelos,

hab Dank für Deinen Kommentar!
Ich glaube, Du hast "unscharf" gelesen.
Der Titel ist ehrlich, glaub mir!


Lieben Gruß
von
cyparis

Seeräuber-Jenny 25.03.2009 20:29

Ahoi cyparis,

dein Gedicht klingt trotz all seinem Spott wirklich ein bisschen mitleiderregend. Vielleicht hat mich ja auch nur das Selbstmitleid gepackt, denn auch die proppere Jenny wird eines schönen Tages den Weg allen Fleisches gehen. :(

Zitat:

Wir überdecken meinen Gestank mit Zigarettenqualm und Rum-Buddel-Duft!
Ein weiser Entschluss, da mache ich doch gerne mit! :D

Prost!
Seeräuber-Jenny

Archimedes 26.03.2009 10:48

Liebe cyparis, ich rätsele immer noch nach deinem "Vorbild", mein Gefühl sagt mir Goethe. Aber "Selbsterkenntnis" kenne ich nur von Christian Morgenstern, der jedoch passt nicht. Gib doch mal einen Tipp, du Rätselhexe.
Gruß Archimedes ...dem auch seine Kreise nicht helfen

Leier 26.03.2009 10:55

Lieber Archimedes -

ein Franzos! Längst tot.

LG
vom kreiselnden
cyparis

Seeräuber-Jenny 26.03.2009 11:06

Ich rate mal mit: Ist es Charles Beaudelaire? Vom Stil her könnte er es sein, wenn ich auch das Gedicht nicht wiedererkenne.

Panzerknacker 26.03.2009 16:15

Hallo Cypa,

vielen dank für deine Selbsterkenntnis. Jetzt weiss ich wenigstens wer du bist, unter all den Leuten, welche ich das erste Mal sehen werde.
Mich erkennst du daran, ich schau aus wie dein Bruder.

Harr, harr,
der Knacki Michael

Leier 26.03.2009 16:50

Liebe Piratin,

der Baudelaire ist es (natürlich) nicht, der nahm sein Wannenbad in den Blumen des Bösen, hahaha -
obwohl ich die "Fleurs du Mal" anders übersetzt hätte (lediglich den Titel).
Meiner is viel länger doht!

Aber ich dank Dir sehr für dies Kompliment! Du als Absinth-Freundin wirst dem Vin-ami noch auf die Spur kommen. In Verliesen.


Lieber Panzerknacker,

da muß ich wiehern!

D U bist der sehr viel jüngere, weil gewiß freiwillig nachgeboren wordene Bruder.
Ich bin aber erleichtert, daß Du ich unter all den Dichtern erkennst.
So ein Dichtervölkchen ist ja nicht so leicht auseinanderzuhalten!

Ich freu mich über Dich in diesem Faden und a u f Euch!

Pfüat Eahna!

wünscht

cyparis

Seeräuber-Jenny 27.03.2009 01:10

In Verliesen? Dann kann es doch nur der große François Villon sein.

Leier 27.03.2009 01:21

hahaha, wer sonst???


Der über die Lästerzungen gar fein gespottet hat, wie das heutzutage kein Dichter kann!


Umarmung
von
cyparis

Findling 27.03.2009 01:22

Selbsterkenntnis ist kein Spaß,
am besten ist man spart sich das!;)

Dana 28.03.2009 20:51

Liebe Cypi,
welch eine tragischkomische, fast "provozierende", Selbsterkenntnis - die in den letzten Versen den Leser antickt. Man behält das "Grinsen" noch bei und wird "schief" melancholisch.
Das Besondere, man wird automatisch auf den ersten Kommentar neugierig und dann geht es richtig ab.:D
Die Hexe wird direkt sympathisch. ES ZÄHLEN NUR DIE INNEREN WERTE!:o

Der gesamte Faden hat mich vereinnahmt und begeistert.

Liebe Grüße
Dana

ReinART 28.03.2009 21:46

Liebe Cyapris
ich liebe diesen Sarkasmus!
Sehr gut umgesetzt und nun weiß ich endlich, wie Du aussiehst.
Kleine Ändersungsvorschläge habe ich:
Zitat:

die Höhle meines Augs grinst fahl,
die Höhlen meiner Augen grinsen fahl,
Das ist metrisch , biologisch und grammatikalisch besser-finde ich.
Und:
Zitat:

Wunden, wenn ich dereinst falle.
Satzbau ändern, dann stimmts: Wunden, wenn dereinst ich falle.

Lieben Gruß
Reinhard der mit mit jedem Jahr schöner wird ;)

Ich riech, wie alte Hexen riechen:
nach Gift, nach Fisch, nach schwarzer Galle
und nach den fiebernd siechen
Wunden, wenn ich dereinst falle.

Ich bin nur Leder, Falt', Gedärme
im Netz der dürren, brüch'gen Haut
und, was je war an frischer Wärme
in meinem Blut, ist längst verdaut.

Statt Haaren wachsen mir nun Warzen,
die Höhle meines Augs grinst fahl,
und weil die längst ergrauten Parzen
wie sie immer wirkten, wirken, bin ich kahl.

Ich bin der Spott all jener Bilder,
die Künstler farbenreich erschufen,
denn meine Fersen werden mir zu Hufen
und nur die Wünsche glühen wilder.

Leier 29.03.2009 13:52

Lieber ReinArt,


hab Dank für Deinen Kommentar, der mir einmal mehr zeigt, wie aufmerksam Du liest!
Ja, Deine Anregungen sind gut.
Wenn auch die Melodie verändert wird...
Bei Uraltgedichten modifiziere ich nicht so gerne, aber hier steht dem nichts entgegen.

Hab Dank für Deinen Kommentar
von
cyparis!


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