Gedichte-Eiland

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Narvik 03.05.2014 08:04

Der letzte Traum
 
Der letzte Traum

Ich sehe jene schwankenden Gestalten
um mich herum im Altenpflegeheim,
kann selbst mich kaum noch auf den Beinen halten,
die müden Knochen gehen aus dem Leim,
ja, selbst mein Spiegel wirft schon tiefe Falten
und auch der Haare Pracht erstickt im Keim.
Der Zeitvertrag erfüllt die letzte Klausel,
mir wird es klar, ich bin ein alter Zausel.

Fort sind die Kräfte aus den jungen Tagen,
der scharfe Blick, hat einst die Welt fixiert,
es fehlt ein Teil von Prostata und Magen,
das Hüftgelenk ist künstlich generiert,
und Blinddarm, Mandeln sind, ich will nicht klagen,
wie auch die Zähne längst schon extrahiert.
Der Medizin war ich ein Kassenschlager,
jetzt bin ich nur noch ein Ersatzteillager.

Dort, wo mein Herz schritt, stimuliert ein Macher
den Muskelrhythmus wie ein letzter Trumpf,
elastisch, als Thrombose-Widersacher,
stützt meine Beine je ein schicker Strumpf,
und jeder noch so gutgemeinte Lacher
erschüttert äußerst schmerzhaft meinen Rumpf.
Im Grunde sinkt mein Pegelstand rapide,
gewiss ist nun, ich bin ein Invalide.

Die meisten meiner Lieben sind entschwunden
im Kreislauf, der in die Gezeiten fließt,
doch Augenblicke heilen alle Wunden,
aus denen frische Zuversicht entsprießt.
Solange ich in neuen Morgenstunden
das Blut, das sich in meinen Geist ergießt,
erspüre, weiß ich, dass ich nichts versäume,
wenn ich mein Sein in Poesie verträume.

---

Claudi 03.05.2014 08:33

Lieber Narvic,

vier flotte Stanzen zu einem so lustigen Gedicht vereint zu lesen, ist wirklich eine Freude! Einen besseren Muntermacher kann ich mir gar nicht wünschen. Danke für diesen Leckerbissen! Jetzt kann der Tag beginnen. Und sollte mich irgendein Zipperlein erwischen, werde ich an Dein Gedicht denken und versuchen, nicht zu jammern. :)

Liebe Grüße
Claudi

Cebrail 03.05.2014 11:46

Wir hatten auch noch nicht das Vergnügen uns hier zu treffen, von daher sei gegrüßt Narvik.
Ich finde es wirklich gut, dass sich einige User hier gerade entschieden haben mal den Staub aus ihren Inselferienhäusern zu kehren, ist immer wieder schön mal Zeilen aus anderer Hand zu lesen.

Da mir heute aufgrund ungewohnter Aktivitäten jeder Knochen im Leib schmerzt, passen deine Zeilen wie die Faust aufs Auge. ;-)
Direkt in der ersten Zeile schwankt mir hier irgendwie Goethes Faust entgegen und ich kann mir denken dass es wahrscheinlich einiges an Durchhaltevermögen bedarf die vorgegebene Form so strikt durchzuhalten.
In Zeile drei fällt es mir ein wenig schwer im Lesefluss zu bleiben, ansonsten ich finde dieses Gedicht gut umgesetzt und mir gefällt die Leichtigkeit und der Humor mit dem deine Worte sich mit unseren Zipperlein und Leiden befasst ohne das es jammernd wirkt.

Gern gelesen.

Einen lieben Gruß
C.

Erich Kykal 03.05.2014 15:18

Hi, Narvik!

Formidabel (aus)gestanzt!:D

Bei den "schwankenden Gestalten" musste ich unmittelbar an Goethes Vorwort zum Faust denken: "Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,...", einem der wunderbarsten seiner Gedichte, auch wenn die Thematik dort eine ganz andere ist!:rolleyes:

Hier geht ein offenbar ziemlich hinfälliges LyrIch doch recht heiter, mit etwas Zynismus kokettierend, mit seinen Gebrechen ins Gericht. Versöhnlich der harmonisch-philosophische Ausklang.

Sehr gern gelesen!

LG, eKy

Narvik 04.05.2014 08:17

Hallo Claudi,

ich freue mich, dass ich dir den Start in den Tag verschönern konnte, dann hat mein Gedicht sein Ziel erreicht. Es sollte zeigen, dass niemand den Mut sinken lassen sollte, egal wie schlimm es auch kommt.
Irgendwie geht es immer weiter. Danke für deine netten Worte.

Herzliche Inselgrüße

Narvik

---

Hallo Cebrail,

ich grüße dich auch.
In der letzten Zeit ist hier wieder etwas mehr los. Leider bin ich aber noch nicht wieder in der alten Form,. Das Dichten bereitet mir zwar nach wie vor ungeheure Freude, doch es fällt mir sehr schwer, brauchbare Zeilen zu schreiben.
Du hast es richtig erkannt, Herr Faust lässt hier grüßen, das war auch so beabsichtigt. Ich gebe zu, dass ich eine Weile für diese Stanzen gebraucht habe. Zeile drei werde ich ein wenig umstellen. Vielleicht magst du mir noch eine Rückmeldung geben, ob sie sich dann besser lesen lässt. Manchmal beschummelt man sich selbst und die eigene Lesart spielt einem einen Streich.
Auch dir sei gedankt für deinen wohlwollenden Kommentar.

Herzliche Inselgrüße

Narvik

---

Hallo Erich Kykal,

danke für das Lob, ich habe mich auch sehr bemüht, die Zeilen auszustanzen.
Auch du hast die Anspielung auf Goethes Faust richtig erkannt. Ich stimme dir zu, dass diese Zueignung eines der schönsten Gedichte vom alten Meister ist. Als mir vor vielen Jahren die Bedeutung seiner Zeilen klar geworden ist, habe ich ein paar Tränchen zerdrückt. Das war ganz große Lyrik.
Mein Gedicht verarbeitet tatsächlich die Gebrechen des Alters. Man muss sie mit Humor nehmen, sonst bringen sie um. Das wird zwar früher oder später ohnehin geschehen, doch besser wäre später.
Schönen Dank für deine freundliche Antwort.

Herzliche Inselgrüße

Narvik

poetix 04.05.2014 11:22

Hallo Narvik,
den Faust im Altersheim spielen zu lassen, ist sehr lustig. Überhaupt ist Humor sicher der beste Weg, mit der Situation fertig zu werden. Dazu noch dein Rezept: Gedichte schreiben. Dann geht es einem wieder gut. Hat mir sehr gefallen.
Viele Grüße
poetix

juli 04.05.2014 19:51

Hallo Navik
 
Auch wenn der Körper schon fast den Geist aufgibt, bist Du frohen Mutes.
Dein Gedicht ist trotz der Länge, die diese Reimform wohl hat, nie langweilig.
Ich habe so noch nie gedichtet.

Mit Interesse an dieser Dichtform, und Hut ab bei den beschriebenden Krankheiten, ( ich bin auch schon älter, da weiß ich was auf mich zukommt) da ist Dir ja eine Menge eingefallen:)

Liebe Grüße
sy

Narvik 05.05.2014 05:48

Hallo poetix,

die Lyrik ist glücklicherweise etwas, das man bis ins hohe Alter ausüben kann, sofern der Geist noch mitspielt. Und wenn ein schönes Gedicht gelingt, und sich auch noch andere daran erfreuen können, dann ist das schon eines der wenigen, kleinen Erfolgserlebnisse, die noch bleiben.
Hab Dank für deine freundlichen Worte.

Herzliche Inselgrüße

Narvik

---

Hallo syranie,

die Hauptsache ist, dass der Geist frisch bleibt. Diese Reimform mag ich sehr, vielleicht magst du das ja auch einmal versuchen. In jüngeren Jahren habe ich ganze Balladen geschrieben, die ich aber hier gar nicht mehr vorstellen mag.
Ich wünsche dir, dass du von all diesen beschriebenen Sachen verschont bleiben mögest.
DAnke für deinen wohlwollenden Kommentar.

Herzliche Inselgrüße

Narvik

Lailany 06.05.2014 06:03

Lieber Narvik,
fein gebastelt, prima gelungen; trotz aller Unpässlichkeiten kein Klagelied und kein bisschen wehleidig. Ich applaudiere Deinem LI zu seinem Optimismus und Humor, die mich zu ein paar Zeilen inspiriert haben: :)

Ein 'alter Zausel' hätte das geschrieben?
Und wenn schon - frühlingsfrisch ist sein Humor,
drum ist er auch im Herzen jung geblieben,
sein Geist ist scharf und rege wie zuvor.
Er schweigt diskret, was er bei Nacht getrieben,
doch munkelt man, er ließe gern vor Tor-
schluss hübsche Puppen 'oben ohne' tanzen,
und uns hier macht er weis, er schreibe Stanzen.:cool: :D

Ich war sehr gerne hier zu Besuch. :)

LG von Lailany

Narvik 06.05.2014 14:29

Hallo Lailany,

ich freue mich, wenn dir meine kleine Stanzerei gefallen hat.
In Selbstmitleid zu baden hat noch nie richtig geholfen. Natürlich kann man sich auch nicht immer am eigenen Schopf aus dem Sumpfe ziehen, aber wenn man den Mut nicht verliert, dann ist das schon einmal die halbe Miete.
Vielen Dank für deine Antwortstanze.
Die Puppen tanzen lassen, überlasse ich allerdings (gezwungenermaßen) den anderen.
Das ist bei mir so ähnlich wie in der Muppet Show. Da sitze ich wie Statler und Waldorf in der Loge und mache mich lieber lustig.
Danke für Kommentar und Antwortgedicht.

Herzliche Inselgrüße

Narvik

Falderwald 13.05.2014 19:04

Hallo Narvik,

vier schicke Stanzen hast du da geschrieben, da könnte ich glatt vor Neid erblassen.

Und ich muss sagen, dass es Respekt verdient, wenn jemand so gekonnt und zum Teil originell die Leiden des Alters umsetzt, ohne dabei jammernd oder traurig zu klingen, sondern sich mit leicht ironischem Eigenhumor noch gezielt selbst auf den Arm zu nehmen weiß.

Und die letzte Strophe ist wunderbar tiefsinnig und poetisch gestaltet. Ein kleine Prise Traurigkeit ist dabei, doch auch die Erkenntnis, dass die Zeit alle Wunden heilt, um neue Hoffnungen wachsen zu lassen.
Cogito ergo sum, das Ziel ist hier die Poesie und die kann nie verkehrt sein.

Wann gibt es Nachschub?


Das hat mir sehr gut gefallen und ich habe deine Stanzen gerne gelesen und kommentiert...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

Sidgrani 18.05.2014 20:15

Hei Narvik,

deine stanzige Beschreibung der vielfältigen Altersbeschwerden, die allzu oft in jambischer Manier auftauchen - mal sind sie leicht zu ertragen, dann wieder schwer - passen wie die Faust aufs Auge. ;) Das hast du wirklich perfekt, gekonnt und humorvoll bedichtet. Ansonsten ist schon alles gesagt worden, dem ich mich hiermit gerne anschließe.

Eine kleine Anregung habe ich für dich. In S2V2 schreibst du

der scharfe Blick, der diese Welt fixiert, - es müsste korrekterweise "fixierte" heißen. Was hältst du hiervon?

hat einst die Welt fixiert,


Ich habe deine Stanzen mit Vergnügen gelesen und mich gerne länger damit beschäftigt. :)

Lieben Gruß
Sid

Xenia 18.05.2014 20:51

Lieber Narvik,

in Deinem Gedicht steht so vieles, das zum Nachdenken anregt, dass ich es bestimmt noch mehrmals lesen werde. Der erste Teil der letzten Strophe gefällt mir ganz besonders! Ein Leitsatz, der besonders für alte Leute eine Richtschnur bedeuten könnte, aber auch alle anderen können hier sicherlich viel Beherzigenswertes und Trostreiches finden"

Liebe Grüße, Xenia :)

Narvik 19.05.2014 05:53

Hallo Falderwald,

ich freue mich über das tolle Lob aus deinem Munde.
Vieles ist leichter zu ertragen, wenn man sich selbst nicht zu ernst nimmt und ab und an auf den Arm nimmt.
Den Nachschub habe ich ja schon geliefert. Das klappt zwar nicht mehr so schnell, aber ich habe noch einiges in der Schublade, das ich überarbeiten muss.
Eile mit Weile.
Danke für deinen netten Kommentar.

Herzliche Inselgrüße

Narvik

---

Hallo Sidgrani,

auch dir vielen Dank für das Beschäftigen mit meinem Gedicht. Diese Stanzen liegen mir auch sehr am Herzen, denn sie helfen mir, all die kleinen und großen Zipperlein, die das Alter so mit sich bringt, zu ertragen.
Deinem Vorschlag stimme ich zu. So kann es manchmal gehen, wenn man vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht.
Hab Dank für deine netten Worte und die berechtigte Kritik.

Herzliche Inselgrüße

Narvik

---

Hallo Xenia,

es wäre schön, wenn dieses Gedicht allen alten und kranken Menschen ein wenig Trost und Hoffnung geben könnte. Es sollte ein kleines Zeichen setzen, den Mut nicht sinken zu lassen, auch wenn es noch schlimmer kommt.
Ich bedanke mich für deinen lieben Kommentar.

Herzliche Inselgrüße

Narvik

Dana 19.05.2014 19:56

Hallo Narvik,

wahrlich toll gestanzt.
Ich las ebenso begeistert alle Kommentare und Antworten.

Die Einstellung zum "Alter" und seinen Wehwehchen machen hier direkt fröhlich.
(Ich kann mich über dieses Werk direkt auf die 40 freuen.:D)

Einfach nur gut, sehr gut. Wobei ich überzeugt bin, dass jene Sichtweisen nicht erst mit der Zeit eintraten - sie waren von Anbeginn zur jeder Zeit positiv da - für den Protagonisten als auch für den Autor.:)

Liebe Grüße
Dana

Narvik 21.05.2014 05:55

Hallo Dana,

ich stimme dir zu, ab einem gewissen Alter hilft Gelassenheit über viele Gebrechen hinweg. Man muss sie nehmen, wie sie kommen.
Wichtig ist es dabei, den Kopf nicht in den Sand zu stecken und sich hängen zu lassen.
Da man eine Dame nicht nach ihrem Alter fragt, wünsche ich dir, die 40 ebenfalls mit Gelassenheit zu nehmen und sie bei Erreichen einfach gebührend zu feiern.
Sei bedankt für deine freundlichen Worte.

Herzliche Inselgrüße

Narvik

Untergrund 26.06.2014 05:39

Ja soll es denn das sagen was es versucht zu meinen? sehe die Poesie als Elixier gegen den Blues. allerdings ist die gebrechliche Vorlaufphase humorvoller. Beides mag sich ergänzen aber Jahre hätten zu Worten werden können und die Jahreszeiten deines Lebens Strophenform annehmen können. Aber ich weiß es soll nur was kleines sein.

MFG

Narvik 27.06.2014 12:49

Hallo Glasfeder,

genau das soll es aussagen. Humor scheint mir das beste Mittel gegen den Blues zu sein und diesen in Versen zu transportieren, ist m.M.n. eine der Aufgaben der Poesie.
Um die Jahreszeiten meines Lebens ging es in diesen Stanzen nicht, sie beschreiben lediglich den letzten Abschnitt und das, was aus dem Menschen bis dahin geworden ist. Und schließlich findet die alte Weisheit "cogito ergo sum" hier ebenfalls seine Anwendung.
ich bedanke mich für deinen netten Kommentar.

Herzliche Inselgrüße

Narvik


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