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O Lenz!
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O Lenz, Du blickvoll wild betörter Freund des nahen Lichts, Du warmes, frohes, unschuldvolles Tier! Dir ist die nahe Sonne süßer Traum. Bekränz was kommt: längst zerstörter Grund, das fahle Nichts, ferne, längst verschlossne Lebenstür, weiter, kalter unheilschwangrer Raum. Deine lockren Frühlingsgaben frißt der Tod - sein Bruder kam nach Tschernobyl - frißt sich fett und grün an Sein und Haben, schweigt und droht, ruht in Märzens Cäsiumpfühl, dreht sich wild und kühn in Primula, in Knöterich und in Jasmin. Ach Mai, er frißt sich ein in Deine Wangen, der böse schwärne Feind. Da, wo einst Deine Lieder klangen - herbei, herbei! - weint Flieders Amme. Am Buchenstamme greint - vorbei, vorbei! - Erdenmutter voll Verzagen. Ach, Du! Tod frißt Dir Deine Tannenspitzen, er trinkt der jungen Birken Blut, er schmückt sein schwarzes Fell mit Veilchenglanz. Wozu soll Dir Dein Lächeln nützen, wenn glühender Verwesung Brut sich wälzt, sich windet hin zum Todestanz? Du bist allein, o Lenz, wir alle lassen das Gerippe Dir nur stehn. Wie sind wir Deinem Sterben noch so fern! Es soll so sein: Begrenz Du Arm in Arm mit Tod das Weitergehn. Doch laß uns im Verderben Deinen toten Stern . 1987 (nach Tchernobyl) |
Hallo cyparis!
Mich hat dein wunderbares Gedicht persönlich betroffen gemacht. Am Tag des Reaktorunglücks verstarb mein Vater. Ich stellte damals irgendwie eine (natürlich nicht reale) Verbindung her. Der Garten war ein einziges Blütenmeer.
LG Ingo |
Liebe Cyparis!
Dieses Gedicht hinterlässt mich wirklich ein bisschen sprachlos. Wie du die Thematik mit den Naturbeschreibungen verbindest ist wieder so schön trügerisch und dann blühen dazwischen schwarze Blumen. Was die ganze Sache aber noch viel trügerischer macht: Ich weiß nicht ob es deine Absicht war, du magst ja auch Filme sagst du. Der Rhythmus des Gedichts, so wie ich es lese, hat mich sofort an das Lied "What's this" aus "Nightmare before Christmas" erinnert: http://www.youtube.com/watch?v=ZuWD-...eature=related Natürlich nur an manchen Stellen, vor allem am Anfang... Oder rede ich da völligen Blödsinn? Liebe Grüße Feirefiz |
Lieber Ibrahim,
wie tragisch! Auch ich wäre dann versucht gewesen, einen Bezug herzustellen. Ich selbst lief halb besinnungslos (Panik) durch einen frischgepflügten Acker, verlor dort einen Schuh und einen Strumpf und dachte: Jetzt bin ich tödlich verstrahlt... Lieber Feirefiz, weder der Songtitel noch der Film sagen mir etwas. Ich bin eher im nivellierten Genre und bei Thrillern daheim, habe aber zu den allerneuesten Filmen den Anschluß verloren. Aber sicher ein interessanter Ansatz, mein Gedicht zu interpretieren. Lieben Gruß! cyparis |
Ahoi cyparis,
bittere Zeilen, die mich sehr traurig stimmen. Was ist vom mächtigen Frühling geblieben nach dem GAU von Tschernobyl? Nur noch ein Gerippe. Der laue Wind weht über kontaminierten Boden. Meine Patentante kommt aus Polen. Fast alle Verwandten fielen den Folgen des Reaktorunglücks zum Opfer. Auch in Deutschland sind heute noch Pilze, Waldbeeren und Wildtiere hoch belastet. Es ist erst dreiundzwanzig Jahre her, und schon haben wir das Geschehen verdrängt. Doch ist nichts mehr, wie es war. Dein Gedicht ist uns furchtbare Erinnerung und Mahnung. Wir dürfen die Augen nicht verschließen und müssen Widerstand leisten, solange noch AKW's in Betrieb sind. Lieben Gruß Seeräuber-Jenny |
Liebe Jenny,
ja - der GAU hat gezeigt, wie fragil unsere Natur ist. Den Schock habe ich bis heute nicht überwunden. Wenn ich bedenke, wie lange die Halbwertzeiten der damals freigesetzen tödlichen Stoffe sind - grausig! (Pilze darf man in etwa 14.000 Jahren (!) wieder sammeln). Trotzdem liebe ich den Frühling nach wie vor. Das Schlimme kann man weder sehen noch schmecken noch fühlen. Lieben Gruß von cyparis |
hallo cyparis,
ein formfreies ernstes Frühlingsgedicht anläßlich des in diesem Monat wiederkehrenden Jahrestag des Reaktorunglücks in Tschernobyl ist dir hier gelungen. In "dunklen Metaphern" umschreibst du hier, was damals geschah. Ich habe anläßlich des 20. Jahrestages damals einen Bericht gelesen. Dort wurde umschrieben, dass es Menschen,die früher in dieser Gegend gelebt haben, erlaubt wurde für wenige Stunden an den Schreckensort zurückzukehren sogar in ihr Haus. Es wurde beschrieben, wie es dort aussah, sowohl im Haus als die Gegend selbst. Der Natur sah man erstaunlicherweise nichts an, natürlich ist noch immer alles dort verstrahlt und ein Leben dort nicht möglich. Nachtrag: Übrigens fand meines Erachtens jene Katastrophe 1986 statt. Viele Grüße ruhelos |
Hi, cypi!
Mal so ganz sozialkritisch und sarkastisch angehaucht unterwegs! Am besten - weil sprachlich am reinsten und gediegensten - gefallen mir die erste und die letzte Strophe. Dazwischen verliert sich stellenweise das Reimschema, scheint mir, oder wird zumindest undeutlicher. Auch Ausdrücke wie Cäsiumpfühl konterkarieren die sonst so edle Sprachgemutung. Insgesamt aber sehr treffend und gern gelesen! LG, eKy |
Liebe ruhelos,
ja, das war 1986 - das Gedicht entstand im folgenden Frühling. Meine Informationen waren anders: Daß vor allem die Fauna (weil sofort sichtbar) entartete, Pflanzen deformiert wuchsen oder gar nicht, all dies. Das Schlimme ist: Man sieht nichts, hört nichts, riecht nichts. Nichts in der Evolution hat uns darauf vorbereitet, Warnsignale zu spüren. Danke für Deinen Kommentar! Lieber Erich Kykal, ich frage mich, wo Du Sarkasmus siehst. Eigenlich soll das Gedicht von Trauer triefen, von Wehmut und Tränen. Das hab ich wohl nicht richtig verpackt. Mag sein - es ist ein altes Gedicht, ändern mag ich nicht mehr. Daß Du es im Großen und Ganzen gelobt hast, genügt mir!! Euch liebe Grüße von cyparis |
Liebe Cyparis
noch nie gelesen und sofort erinnert. Tschernobyl. Was für eine Zäsur! Ist Dir wunderbar gelungen, diese Klage ob der gräßlichen Dinge, die passieren und dem Hoffen, dass uns unsere welt erhalten bleiben möge. Meintest du eins oder einst? bei: Zitat:
Sehr schön und bedrückend!!!! Reinhard |
Lieber ReinArt,
ich staune immer wieder über Deinen wahrhaft scharfen Blick. Selbstverständlich muß es "einst" heißen! Danke! Dein Lob erfüllt mein Herz mit sehr viel d e r Wärme, derer er es bedürftig ist. Labsal und Trost zugleich. Sehr lieben Gruß von cyparis |
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