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Chavali 11.01.2017 15:54

Die Trauerweide
 


Zweige ranken tief hinab
bis zur Erde und sie legen
schmale Blätter auf das Grab.
Schnee liegt auf den Friedhofswegen.

Früher Winter im November,
später Herbst in diesem Jahr,
goldne Sonne im September,
alles ist, wie's immer war.

Doch die Weide wird bald sterben,
tausend Jahre ist sie alt.
Wer wird ihren Platz beerben?
Was kommt nach der Urgewalt?

Kreisend drehen die Gedanken
sich ums Werden und Vergehn.
Auferlegen sich uns Schranken?
Was wird nach uns auferstehn?

Neue Eiszeit, neue Wüsten,
alt bleibt nur der Kreis der Zeit.
Und so ist die alte Weide
Zeichen der Vergänglichkeit.


Die Trauerweide

(Version nach Erich Kykal)

Früher Winter im November,
später Herbst in diesem Jahr,
goldne Sonne im September,
alles ist, wie's immer war.

Doch die Weide wird bald sterben,
tausend Jahre ist sie alt.
Wer wird ihren Platz beerben?
Was kommt nach der Urgewalt?

Kreisend drehen die Gedanken
sich ums Werden und Vergehn.
Auferlegen sie uns Schranken?
Was wird nach uns auferstehn?

Neue Eiszeit, neue Wüsten,
alt bleibt nur der Kreis der Zeit.
Und so ist die sieche Weide
Zeichen der Vergänglichkeit.

Erich Kykal 11.01.2017 19:02

Hi Chavi!

Ein schönes Gedicht! :)

Die erste Strophe fällt in zweierlei Hinsicht aus dem Rahmen: Alle anderen Strophen sind durchgehend vierhebig und haben das Kadenzenschema wmwm.
S1 aber hat das Hebungsschema 5454 und das Kadenzenschema mwmw.
So fällt das doch auf, so als hätte der Autor sich beim Einstieg in das Gedicht noch nicht auf eine bestimmte Abfolge "eingeschossen" gehabt ...

Zumindest für die überlangen Zeilen 1 und 3 gibt es eine einfache Lösung:

S1 - Streiche "Ihre".

S3 - Streiche "schmale" oder "alte".


Gern gelesen!

LG, eKy

ginTon 11.01.2017 19:25

Hi chavilein...

Bäume finde ich ja immer sehr interessant, kommt einen manchmal so vor
als zeigten sich Charaktereigenschaften durch die Form ihres Wuchses,
was ich immer sehr faszinierend finde. Irgendwie ist jeder Baum in dem
Sinne einzigartig. Dies ist er natürlich auch, wie alles andere auch.
Interessant fand ich beim ersten Lesen die verschiedenen, transportierten
Stimmungen.

So klingt die erste Strophe sehr tief und erhaben. Wohingegen die zweite
Strophe das Ganze auflockert und plötzlich wie ein Refrain klingt. Die folgenden
Strophen mit ihren Fragen klingen genau dazwischen, vllt weil aufgrund der
Fragen u. weil dadurch alles in der Schwebe schwebt und man den Ausgang der Weide
nicht weiß oder erraten kann. Die letzte Strophe klingt wieder wie ein Refrain
und ist flüssig und schnell.

Ich habe mich jetzt mal nur vom Lesefluss leiten lassen und bis dahin finde
ich den Text vom Ausdruck her gut. Das einzige was mich störte war der
Schluss, da hätte ich:

Und so ist die alte Weide
schon Symbol vergangener Zeit.

geschrieben...

gerne mit beschäftigt, gefällt :) liebe Grüße ginnie

Erich Kykal 11.01.2017 19:30

Hi nochmal!

Ich stimme ginTon zu - deine letzte Zeile solltest du ändern, der Artikel fehlt schon sehr.

Denkbar wäre auch: "Zeichen der Vergangenheit." oder "Zeichen der Vergänglichkeit."

LG, eKy

Chavali 12.01.2017 12:26

Hi ginnie,

schön, wie du den Text analysiert hast, das freut mich :)

Ja, die unterschiedlichen Zeilenlängen, Hebungen und der daraus resultierende Sprachfluss:
Ist schon so, dass längere Zeilen immer getragener wirken - eigentlich sollte das ja auch so sein,
aber ohne weitere Füllwörter einzufügen, wäre mir das bei den weiteren Strophen nicht gelungen.
Daher ist es wohl besser, ich kürze Strophe 1, wie es Erich vorgeschlagen hat.

Und was die letzte Zeile betrifft:
Die wird natürlich auch geändert - du hattest da eine sehr gute Idee.

Danke dir!


Servus, Erich,

liest du bitte mal meine Antwort an ginTon , die gilt auch für deinen Kommi.
Da seid ihr euch ja ausnahmsweise einig, das freut mich ;)
Ich ändere wie vorgeschlagen.

Lieben Dank auch an dich!

:Herz:lichst,
Chavali

Erich Kykal 12.01.2017 12:45

Hi nochmal!

Ich habe nochmals darüber nachgedacht und das Gedicht noch mehrmals gelesen und bin zu folgendem Schluss gekommen:

Das Werk würde in sich geschlossen am besten wirken, wenn du die erste Strophe mit den gegenläufigen Kadenzen ganz streichst!
S2 wird so zu einem wunderbaren Einstieg ins Winterbild und weist zugleich auf die immer verschiedenen und doch gleichen Abläufe der Jahreszeiten hin.

S3Z3 - Das "sich" würde ich durch "sie" (die Gedanken) ersetzen, es leist sich leichter, und der Bezug ist klar.

Und in der vorletzten Zeile würde ich die Wortwiederholung von "alt" vermeiden und "die kranke (sieche, krumme) Weide" schreiben, was auch zugleich nachdrücklicher das Bild von der Vergänglichkeit verstärken würde.

Also so:

Die Trauerweide

Früher Winter im November,
später Herbst in diesem Jahr,
goldne Sonne im September,
alles ist, wie's immer war.

Doch die Weide wird bald sterben,
tausend Jahre ist sie alt.
Wer wird ihren Platz beerben?
Was kommt nach der Urgewalt?

Kreisend drehen die Gedanken
sich ums Werden und Vergehn.
Auferlegen sie uns Schranken?
Was wird nach uns auferstehn?

Neue Eiszeit, neue Wüsten,
alt bleibt nur der Kreis der Zeit.
Und so ist die sieche Weide
Zeichen der Vergänglichkeit.


Das sind meine persönlichen Eindrücke, sie haben keinen Anspruch auf Unumstößlichkeit und stellen auch kein lyrisches Werturteil dar.

LG, eKy

Terrapin 12.01.2017 13:26

Hi Chav,

Strophe 2 würde ich, weil es auch dem natürlichen Werdegang entspräche, folgender Maßen umstellen.

Goldene Sonne im September,
später Herbst in diesem Jahr,
früher Winter im November,
alles ist, wie's immer war.

Sonst wäre es alles unnötig kompliziert durcheinander.

Erichs Vorschlag mit Strophe eins würde ich nachgehen.
Vor allem, weil das Grab über dem die Zweige der Weide baumeln, nicht weiter
in Bezug genommen wird, was ich aber beim lesen annahm.

Sonst liest es sich gut und sicher. Weiter so.

Schöne Grüße, Terrapin.

Chavali 12.01.2017 16:06

Hi Erich nochmal,
Zitat:

Ich habe nochmals darüber nachgedacht und das Gedicht noch mehrmals gelesen
und bin zu folgendem Schluss gekommen:
Das freut mich sehr und deine Version ist wunderbar und in sich geschlossen und einfach eKy-like ;)
Deshalb kommt sie auch oben mit rein.
Meine eigene Version so total umzustellen, da trau ich mich heute noch nicht 'ran, vielleicht ein wenig später -
muss alles erstmal sacken lassen.


Hi Terrapin,

auch du hast dich mit dem Text beschäftigt, das gefällt mir und auch deine Argumente sind
nicht von der Hand zu weisen.
Ich habe monatelang nix zustande gebracht - da gefiel mir die Idee mit der Trauerweide ganz gut
und ich versuchte mal einfach einen Neuanfang.
Zitat:

Sonst liest es sich gut und sicher. Weiter so.
Danke, dieses Mutmachen kann ich gut gebrauchen :)


Euch beiden ganz lieben Dank und Grüße!
Chavali



Erich Kykal 12.01.2017 19:16

Hi Pinni!

Die zerworfene Zeitlinie in S2 ist auch mir aufgefallen, allerdings dachte ich, dies wären beliebig angeführte Bespiele aus verschiedenen Jahren, um zu verdeutlichen, dass alles immer anders ist und doch irgendwie gleich bleibt, während die Zeit verstreicht.

Geht man davon aus, dass all in S2 im selben Jahr geschieht, ist deine Version sicherlich die nachvollziehbarere.

Wie es letztlich gemeint war, muss die Autorin entscheiden. ;)

LG, eKy

Dana 12.01.2017 19:19

Liebe Chavali,
Du hast die "Leerzeit" überwunden und zwar sehr, sehr schön. :)
Vom Baumbild zur Nachdenklichkeit über Werden und Vergehen.
Gut finde ich auch, dass Du beide Versionen stehen lässt, weil dadurch die unterschiedlichen Bilder der ersten Strophe erhalten bleiben.:)
Mir gefällt das Bild mit Grab und Friedhof nämlich besonders gut, zumal das Gedicht im Sterben (Vergänglichkeit) mündet.

Liebe Grüße
Dana

juli 13.01.2017 11:04

Liebe Uschi,

Dein nachdenkliches Naturgedicht gefällt mir.:)

Es beschreibt den Kreis des Lebens und Vergehen anhand einer Trauerweide.Du beginnst mit einer Szene auf dem Friedhof, und der Schnee mit seiner farblichen Schlichtheit tröstet und verstärkt Zugleich das Bild der Zrauer. Die eigene Vergänglichkeit und das zu kurze Verweilen auf unserem Planeten kommt mir in den Sinn. Und der Baum wird seine letzten Jahre, Monate vielleicht Stunden bald erleben. Vielleicht genügt ein Sturm? Diese zwei Themen: Ein Baum stirbt und die Vergänglichkeit des Lebens verbindest du hier in deinem Gedicht. Die letzte S. Verbindet den Kreis zur Ersten und somit ist es rund.

Ich freue mich wieder etwas von dir zu lesen.:Kuss

Liebe Grüße sy

:Blume::Blume::Blume:

Chavali 15.01.2017 13:39

Servus, Erich nochmal,

man kann den Text doch interpretieren wie man möchte.
Einer liest die Gegenwart heraus, der andere Vergangenheit und wieder ein anderer bezieht ihn auf
allgemeines Geschehen und allgemeine Zeitabfolge.

Allzuviel hast du ja auch nicht geändert, bis auf die erste Strophe, die du ganz weggelassen hast.
So geht es sicher auch und das Friedhofsbild ist verschwunden.
Ich wollte das aber gern dabei haben, denn erst das Bild der Trauerweide dort hat diese Gedanken produziert.

Danke nochmals!



Liebe Dana,
Zitat:

Du hast die "Leerzeit" überwunden und zwar sehr, sehr schön.

Ja, ich habs mal wieder versucht :o
Zitat:

Gut finde ich auch, dass Du beide Versionen stehen lässt, weil dadurch die unterschiedlichen Bilder der ersten Strophe erhalten bleiben.:)
Mir gefällt das Bild mit Grab und Friedhof nämlich besonders gut, zumal das Gedicht im Sterben (Vergänglichkeit) mündet.
Das freut mich und war auch meine Absicht :)
Vielen Dank dir!


Liebe sy,
Zitat:

es beschreibt den Kreis des Lebens und Vergehen anhand einer Trauerweide.
Du beginnst mit einer Szene auf dem Friedhof,[...] Die eigene Vergänglichkeit und das zu kurze Verweilen auf unserem Planeten kommt mir in den Sinn. Und der Baum wird seine letzten Jahre, Monate vielleicht Stunden bald erleben. [...]Diese zwei Themen: Ein Baum stirbt und die Vergänglichkeit des Lebens verbindest du hier in deinem Gedicht.
Die letzte S. Verbindet den Kreis zur Ersten und somit ist es rund.
du hast eine sehr schöne Interpretation gebracht!
Zitat:


Dein nachdenkliches Naturgedicht gefällt mir.
Danke dir! Freut mich sehr! :)


Euch dreien einen schönen Sonntag und liebe Grüße,
Chavali


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