Gedichte-Eiland

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Galapapa 08.06.2009 22:48

Schmerzen
 
Auf einen Arm gestützt, die Brauen eng gezogen,
die schmalen Lippen pressen blutleer aufeinander,
der Körper, qualversunken und im Stuhl gebogen,
so presst sie stumm die welken Hände ineinander.

Wie hinter festen Mauern, in der Pein gefangen,
durchdringt sie starr die Wände mit den stumpfen Blicken,
ist für den Augenblick dem kranken Sein entgangen,
begrüßt die heile Welt im Geist mit stummem Nicken.

Versunken ganz im Paradies vergangner Zeiten,
empfindet sie ein kleines Stück von der Befreiung,
entgleitet rasch in ferne, wohl gefühlte Weiten,
fragt schuldig den verlassnen Körper um Verzeihung.

Nur kurz verharrt sie so in diesem stillen Glück,
vergessen für den Augenblick sind alle Leiden.
Die Marter bringt sie in die Wirklichkeit zurück,
lässt sie die jetzt schon Toten um den Frieden neiden.

Mit tiefem Seufzen schleppt sie in maroder Hülle
ihr ungeliebtes Dasein an den alten Schrank;
dort liegt Erlösung, weiß, gepresst und rund in Fülle,
Sie murmelt weinend für die falsche Freiheit Dank...

Helene Harding 09.06.2009 17:59

Hallo Galapapa, was für ein hinreissendes Werk. Mir fehlen fast die Worte und das soll schon etwas heißen. Deine Verse haben bedeutungsvollen Tiefgang. In mir entstehen so viele Bilder. Selbst ich habe, fast wie zum ersten Mal, wieder den Wunsch, zu malen.
S5 ist mein absoluter Favorit. Sehr gern gelesen.

alles liebe, Helene

Galapapa 09.06.2009 18:21

Hallo Helene,
hab herzlichen Dank für Dein schönes Lob!
Es berührt mich sehr, wenn ich sehen muß, wie alte Menschen manchmal leiden und dabei oft genug ganz allein gelassen werden.
Malen ist auch für mich eine Leidenschaft, am liebsten mit dem Stift und in Worten...
Herzlichen Gruß!
Galapapa

R.Haselberger 09.06.2009 19:04

Hallo Galapapa!

Ein schönes, interessantes Gedicht und - nun spiel ich Papagei - wie Helene zu Recht schrieb mit Tiefgang!

Vielleicht könnte man die eine Zeile - nicht wegen der einen Silbe zu viel - klanglich noch mehr hervorheben?

Vorschlag:
Nur kurz verharrt sie so in diesem stillem Glück. (12 Silben, wie die dritte Zeile)

Gern gelesen
Gruß R.H.

Galapapa 10.06.2009 20:52

Hallo R. Haselberger,
ganz lieben Dank für Dein Lob! Hat mich sehr gefreut!
Ich bin auch so unverschämt, Deinen Vorschlag voll zu übernehmen, weil ich glaube, daß Du recht hast. Ganz einfach. (grins)
Auch dafür herzlichen Dank und ebensolchen Gruß!
Galapapa

Leier 10.06.2009 21:51

Lieber Galapapa ...


ein klares, schmerzendes Gedicht und doch so vielfältig interpretierbar?

***


Auf einen Arm gestützt, die Brauen eng gezogen,
die schmalen Lippen pressen blutleer aufeinander,
der Körper, qualversunken und im Stuhl gebogen,
so hält sie stumm die welken Hände aufeinander.

Wie hinter festen Mauern, in der Pein gefangen,
durchdringt sie starr die Wände mit den stumpfen Blicken,
ist für den Augenblick dem kranken Sein entgangen,
begrüßt die heile Welt im Geist mit stummem Nicken.

Versunken ganz im Paradies „vergangne Zeiten“,
empfindet sie ein kleines Stück von der Befreiung,
entgleitet rasch in ferne, wohl gefühlte Weiten,
fragt schuldig den verlassnen Körper um Verzeihung. (fragt? .. bittet den verlassnen Körper um Verzeihung...??)

Nur kurz verharrt sie so in diesem stillen Glück,
vergessen für den Augenblick sind alle Leiden.
Die Marter bringt sie in die Wirklichkeit zurück,
lässt sie die jetzt schon Toten um den Frieden neiden. (um ihr Heil beneiden...?)

Mit leisem Seufzen schleppt sie in maroder Hülle
ihr ungeliebtes Dasein an den alten Schrank;
dort liegt Erlösung, weiß, gepresst und rund in Fülle,
Sie murmelt weinend für die falsche Freiheit Dank...


***

Ich habe weiß, gepreßt und rund in Fülle mit gesammelten (Schlaf-?)Tabletten assoziiert, die falsche Freiheit mit einem Suizid.
Ein sehr bedrückendes Gedicht.
Möge es mir einmal n i c h t so ergehen!

Lieben Gruß
von
cyparis

Helene Harding 10.06.2009 21:57

Lieber Galapapa, nun muss ich doch noch einen Nachtrag hinterlassen. Er betrifft insbesondere S5. Dieses "gepresste" als Schlüssel zur Erlösung muss noch warten, denkt sich hier die Betrachterin, denn es fehlen wohl Rückschlüsse. Der Qual den Spiegel vorzuhalten, scheint ohne Sinn. Er gab dieses eine Mal keine rechte Antwort.
Hab mich nochmals gern damit beschäftigt.

alles liebe, Helene

Galapapa 11.06.2009 11:44

Hallo cyparis,
danke für den lobenden Kommentar und die Anregungen!
Zu S3: Das "fragt" ist der Metrik geschuldet, es hätte sonst heißen müssen: "und bittet den verlassnen Körper um Verzeihung...".Dann hätte mir allerdings das "schuldig" gefehlt.
Ich dachte mir, um Verzeihung fragen müßte akzeptierbar sein, allzumal man ja auch oft die Bitte als Frage formuliert (z.B.:"..kannst du mir verzeihen?"). Außerdem hat man mir mal gesagt, daß das "und" (sinngemäß) ein minderwertiges Wort in der Lyrik ist (ich bin da anderer Meinung; man kann dieses Bindewort auch sehr passend und gezielt einsetzen). Seitdem versuche ich immer, es irgendwie zu umgehen. So, wie´s dasteht, ist alles drin, was ich sagen wollte, wehalb ich es gern so lassen möchte.
Sei bitte nicht enttäuscht, aber auch die Passage in S4 laß ich so stehen, weil es meiner Meinung nach nicht das Heil ist, das die Betroffene sucht, sondern vor allem Ruhe, Frieden und Erlösung von der ständig quälenden Belastung Schmerz. Dauernd vom Schmerz begleitet zu sein bedeutet ja, immer währende Unruhe durch das Unwohlsein.
Die Geschichte mit den Tabletten (es müssen nicht Schlaftabletten sein, denkbar sind hier viele Psychopharmaka) kann man genau so deuten, wie Du. Daran hatte ich, ehrlich gesagt, noch gar nicht gedacht.
Mein Gedanke war, daß die Leidende eben immer wieder zu ihren Schmerztabletten greift, um ein wenig Befreiung zu bekommen. Die Schlaftabletten kommen dann vermutlich später noch dazu...
Mit "Fülle" meinte ich eher die große Packung, die solche Patienten verordnet bekommen, um weniger Zuzahlung zu haben und nicht öfter als einmal im Quartal zur Last zu fallen.
Die "falsche Freiheit" versteht sich dann als durch das Medikament nur kurze Zeit versteckte Schmerzsymptomatik.
Deine Interpretation finde ich fast noch interessanter und Deinem Wunsch schließe ich mich ohne wenn und aber an!!
Danke fürs Lesen und Kommentieren und herzlichen Gruß!
Galapapa

Hallo liebe Helene,
wenn ich Dich richtig verstanden habe (da bin ich etwas unsicher), dann müßte meine Antwort der obigen an cyparis fast gleich lauten.
Ein wenig unsicher bin ich mit Deiner Aussage "dem Schmerz den Spiegel vorhalten..."
Ständige Qual zermürbt ungeheuer; eine solche Person ist wohl nicht merh in der Lage oder bereit, nach Ursachen zu fragen, sie sieht nur noch den Schmerz und blickt eher nach vorne, in Richtung Erlösung, als zurück.
Nochmals danke für Lob und Kommentar!
Herzlichen Gruß!
Galapapa

Dana 14.06.2009 00:52

Lieber Galapapa,
mit diesem Werk hast du schmerzlich einfühlsam eine nicht seltene Realität verdichtet.
Eine Freundin von mir arbeitet in einem Altenheim und hat mich einmal zum Tag der offenen Tür mitgenommen.
Dein Gedicht hat die Erinnerung daran wieder aufleben lassen.
Es war nicht so, dass man zum Beschauen in die Zimer durfte. Sie hat mir aber die traurigsten Fälle gezeigt. Trotz des "gut-aufgehoben-seins" und mit großem Respekt für die Mitarbeiter, haben mich jene Schicksale sehr mitgenommen und lange nicht losgelassen.
So wird auch dein gut umgesetztes Gedicht bei mir das Seine bewirken.

Ich scheue mich, darüber zu diskutieren, ob die "liebe Familie" mehr lindern könnte, diese Menschen bei sich zu behalten. Aber das ist auch nicht deine Absicht, denke ich. Viel mehr Nähe durch längere und regelmäßige Besuche zu schenken, wäre schon mehr.

Liebe Grüße
Dana

Galapapa 14.06.2009 12:27

Hallo Dana,
für Dein schönes Lob möchte ich mich ganz herzlich bedanken!
Die Situation, die Du ansprichst, ist eigentlich schon die nächste Stufe. In einer entsprechneden Einrichtung sind diese Menschen, so glaube ich, mit einer kompetenten medizinischen Betreuung besser gestellt und auch nicht mehr so sehr dem verstärkenden Faktor Einsamkeit ausgeliefert.
Mein Gedicht beschreibt mehr den Zustand davor, wenn die Betroffenen, wie heute oft, einsam zuhause sitzen und mit ihrem Problem selber fertig werden müssen.
Ich hatte dabei einen bestimmten Menschen vor Augen.
Nochmals danke fürs Lesen und Kommentieren!
Herzlichen Gruß!
Galapapa

Medusa 14.06.2009 13:41

Lieber Galapapa,

ein sehr, sehr trauriges, weil überaus realistisches Bild führst Du uns hier vor Augen. Du hast es in wohlklingende Worte eingefangen und in fließende Verse gesetzt.

Mir sind beim Lesen ein paar Kleinigkeiten aufgefallen. Vielleicht können Dich meine Vorschläge inspirieren:

Auf einen Arm gestützt, die Brauen eng gezogen,
Das "eng gezogen" erinnert mich ein wenig an "Visagisten", die ihren Kundinnen die Brauen "nachziehen". Vielleicht so: "Den Arm gestütz, die Brauen zusammen gezogen" (stimmt nicht ganz :o.....).
die schmalen Lippen pressen blutleer aufeinander,
der Körper, qualversunken und im Stuhl gebogen,
so hält sie stumm die welken Hände aufeinander.
Die Doppelung von "aufeinander" am Versende ist nicht sehr schön. Vorschlag: So presst sie ihre welken Hände ineinander.

Wie hinter festen Mauern, in der Pein gefangen,
durchdringt sie starr die Wände mit den stumpfen Blicken,
Was hälst Du von "die Wand"? Auch "den Raum" wäre denkbar. Oder auch "betrachtet" als Auftakt?
ist für den Augenblick dem kranken Sein entgangen,
begrüßt die heile Welt im Geist mit stummem Nicken.

Versunken ganz im Paradies „vergangne Zeiten“,
Ich würde vergangner Zeiten schreiben und die Gänsefüßchen weg lassen.
empfindet sie ein kleines Stück von der Befreiung,
......ein kleines Stückchen von Befreiung?
entgleitet rasch in ferne, wohl gefühlte Weiten,
fragt schuldig den verlassnen Körper um Verzeihung.

Nur kurz verharrt sie so in diesem stillen Glück,
vergessen für den Augenblick sind alle Leiden.
Die Marter bringt sie in die Wirklichkeit zurück,
lässt sie die jetzt schon Toten um den Frieden neiden.
Diese Zeile empfinde ich als etwas ungeschickt ausgedrückt, vor allem das "die jetzt schon Toten". Mein Vorschlag: "Lässt sie die Toten jetzt schon um den Frieden neiden". Oder ganz anders: "Um ihren Frieden kann sie Tote nur beneiden".

Mit leisem Seufzen schleppt sie in maroder Hülle
Die "marode Hülle" gefällt mir auch nicht. Vielleicht so: "Mit tiefem Seufzen schleppt sie die geschwächte Hülle"?
ihr ungeliebtes Dasein an den alten Schrank;
das kümmerliche Leben zum wohl gefüllten Schrank.
dort liegt Erlösung, weiß, gepresst und rund in Fülle,
Sie murmelt weinend für die falsche Freiheit Dank...


Ohjeh, nun ist es doch mehr Kritik, als ich eigentlich wollte! Aber ich war grad so schön dabei .....:o!

Vielleicht kannst Du ja den einen oder anderen Vorschlag für Dich verwenden?

Ich habe Dein Gedicht sehr gerne gelesen, mich damit beschäftigt und die Bilder mit Schaudern gesehen.

Herzliche Sonntagsgrüße,
Medusa.

Galapapa 14.06.2009 17:49

Hallo Medusa,
es hat mich sehr gefreut, wieder von Dir zu hören. Danke schön für Dein Lob und Deine Mühe mit den Vorschlägen!
Ich will sie im Enzelnen durchgehen:
Das mit den Brauen hat mich lang beschäftigt, allerdings ist mir nichts Passendes eingefallen, ohne die ganze Strophe umzugestalten. Da werde ich nochmal darüber nachdenken...
Dankbar bin ich Dir für den Hinweis "aufeinander". Glaub mir, das war mir bis dahin gar nicht aufgefallen, sonst hätte ich es nie stehen lassen. Ist schon eigenartig, aber es liegt vielleicht daran, daß ich beim Lesen meist fest den Inhalt im Visier habe und auf den Reim nicht mehr so achte. Den Vorschlag "ineinander" will ich gerne übernehmen, wenngleich auch das kein ganz sauberer Reim ist, allerdings wesentlich besser, als zuvor.
Die 2. Strophe möchte ich gerne so lassen, wie sie ist, weil ich glaube, nur so ausdrücken zu können, was ich wirklich will: Einen starren Blick auf eine Wand, der die Wand nicht wirklich trifft, sondern sie durchdringt, als ob sie gar nicht da wäre.
Bei Strophe 3 gebe ich Dir recht; das klingt irgendwie ein wenig nach "Disney World". Den vorschlag übernehme ich dankbar. Ebenso klingt "von der Befreiung" besser. Hab Dank!
"Die jetzt schon Toten" in Strophe 4 möchte ich allerdings so beibehalten. "Die Toten jetzt schon" hat ja eine andere Bedeutung. Das würde mir dann zu sehr nach Todessehnsucht klingen, und die wollte ich hier nicht zum Ausdruck bringen. Allenfalls "um ihren Frieden kann sie Tote nur beneiden" würde gut klingen. Laß mich nochmal drüber nachdenken; ich will nicht zu viel verändern; ich denke Du verstehst mich.
Strophe 5: Sei mir nicht böse, aber auch da will ich nicht viel verändern, weil mir diese Strophe mit am besten gefällt. Gerade das harte Wort "marode" war ganz gezielt eingesetzt. Ist halt auch Geschmacksache. Gerne übernehme den "tiefen" Seufzer, eine passende Verstärkung.
Nochmals vielen Dank für Dein Interesse und die Hilfe!
Mit einem ganz herzlichen Gruß!
Galapapa


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