Gedichte-Eiland

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poetix 04.04.2014 14:29

Mutter Zeit
 
Mutter Zeit


Schon rufst du wieder, Mutter Zeit,
und nimmst mich sicher an die Hand,
mich führend durch dein großes Land,
zur Einkehr, Umkehr nie bereit.

Halt, warte, eile nur nicht so,
noch will ich bleiben und nicht gehn.
Ja, kannst du das denn nicht verstehn?
Das Jetzt lieb ich, umarm es froh.

Dass du nur immer weiter reist!
Und ziehst mich ständig mit dir fort
von jedem je geliebten Ort.
Auch mich formst du in diesem Geist.

Als ob es ohne dich nicht ginge!
Doch streb ich, von dir frei zu sein;
denn einmal lässt du mich allein,
erlöst, am Ende aller Dinge.

Chavali 04.04.2014 17:54

Hallo poetix,

das gefällt mir sehr!

Du hast die Zeit gewissermaßen personalisiert und sprichst mit ihr ;)
Das kommt für mich sehr authentisch und intensiv rüber.
Zitat:

Dass du nur immer weiter reist!
Und ziehst mich mit dir weiter fort
von jedem je geliebten Ort.
Auch mich formst du in diesem Geist.
Man zieht mit der Zeit mit, ohne anzuhalten, ohne Besinnung.
Aber die ist eben auch wichtig um zu generieren.
Aber die Zeit lässt sich nicht anhalten und umkehren.

Eine schöne Betrachtung des Themas!

LG Chavali


poetix 04.04.2014 18:08

Hallo Chavali,
danke sehr für deinen freundlichen Kommentar. Manchmal wünschte ich mir schon, die Zeit anhalten zu können. Sonst ist ja alles so schnell vorbei. Aber so ist es nun einmal: Wir müssen mit ihr leben.
Viele Grüße
poetix

juli 06.04.2014 18:45

Hallo poetix
 
Dein Zeitreisegedicht gefällt mir. Die Reimenden passen gut. Mir geht es auch so, das ich mir manchmal wünsche, das die Zeit stehen bleiben soll. Besonders in schönen Momenten. Dein Gedicht macht nachdenklich.:)

Sehr gerne gelesen.
sy

poetix 06.04.2014 19:02

Hallo syranie,
danke dir für deinen Kommentar. Du hast Recht: Besonders, wenn es schön ist, wünscht man sich, die Zeit möge stehen bleiben. Das tut sie leider nicht, dafür vergeht sie aber auch, wenn es schlecht aussieht.
Viele Grüße
poetix

Dana 06.04.2014 19:58

Hallo poetix,

es scheint so zu sein, ohne SIE geht es nicht.:)
Es bleibt ein "ewiges pubertäres Strampeln" gegen ihre Führung - und irgendwann sagt man: "Sie hatte wohl doch recht.";)
Weißt du, warum ich so kommentiere? Weil ich den Titel gut und herrlich doppeldeutig finde: "Mutter Zeit".

Zitat:

Zitat von poetix
Als ob es ohne dich nicht ginge!
Doch streb ich, von dir frei zu sein;
denn einmal lässt du mich allein,
erlöst, am Ende aller Dinge.

So erging es mir beim Lesen - obwohl ich die Zeit für sich gedichtkonform sehe und die Idee gut finde.

Die Zeit hat ein eigenes Prinzip. Nichts kann man festhalten, bzw. alles ist vergänglich. Herausfiltern nach Schön und Schlecht geht nicht.:(:(

Gern gelesen und kommentiert,
liebe Grüße
Dana

poetix 06.04.2014 20:42

Hallo Dana,
danke für dein Feedback. Jetzt weiß ich nur nicht, ob ich dich recht verstanden habe. Hast du nun
HTML-Code:

erlöst, am Ende aller Dinge
auf das Lesen meines Gedichts bezogen und warst froh, dass es endlich zu Ende war? Na, vielleicht habe ich das falsch verstanden.

Ist die Auseinandersetzung mit der Zeit pubertär? "Pubertär" würde bedeuten "vor der Reife". Was ist aber die Reife? So, wie es in meinem Gedicht endet, ist der Endzustand im Tod erreicht und die Hypothese ist, dass in dem dann erreichten Zustand die Zeit nicht mehr existiert. Sie gehört ja zu den reinen Anschauungsformen und ist somit unlösbar mit unserem Menschsein verknüpft. Sich das bewusst zu machen, ist Teil der Auseinandersetzung mit der Zeit und eine philosophische Aufgabe, nicht pubertär.

Mich freut auf jeden Fall, dass dir das Lesen Spaß gemacht hat.
Viele Grüße
poetix

Falderwald 08.04.2014 19:14

Hallo poetix,

das ist ein sehr schönes Gedicht, dass mir ausgesprochen gut gefallen hat.
Das entsprang jetzt keinem Anstandslob, sondern ganz ehrlich gemeinter Überzeugung.

Es ist ein sehr tiefgängiger und nachvollziehbarer Text und zieht den Leser immer tiefer hinein.
Ja, so ist es, ist man geneigt zu sagen, denn es spiegelt die eigenen Erfahrungen in anschaulicher Weise und einer natürlichen Sprache.
Metrik, Reime, Sprachfluss, Interpunktion alles wunderbar.
So stelle ich mir geistreiche, formvollendete Lyrik mit einem logischen Gesichtspunkt vor.

Wir "kennen" uns noch nicht lange und ich weiß nicht, wie alt du bist und wie lange du schon schreibst, was auch eigentlich gar nichts zur Sache tut, aber das Gedicht zeugt von einer beachtlichen Reife, das möchte ich an dieser Stelle auch noch anmerken.

Allerdings bin ich ein anspruchsvoller Gast und finde meistens doch noch das ein oder andere Haar in der Suppe und so hoffe ich, dass du mit zweieinhalb kleinen Anmerkungen richtig umzugehen weißt.
Die eine ist eine formale und die andere eine inhaltliche, besser gesagt eine Aussage in einer ganz bestimmten Zeile, über die ich gerne diskutieren würde und die halbe kommt zum Schluss. ;)

1. In Strophe drei doppelt sich in den ersten beiden Zeilen der Ausdruck "weiter". Das ist unschön und wirkt auch nicht als Binnenreim, weil die richtigen Reimendungen nicht zusammengehören.

Dass du nur immer stetig reist!
Und ziehst mich mit dir weiter fort
von jedem je geliebten Ort.
Auch mich formst du in diesem Geist.


Ersetz es durch "stetig" oder "ständig" oder ein anderes, dir passend erscheinendes Adjektiv, und das Problem ist gelöst. Falls es für dich jetzt auch eines ist. ;)

2. Jetzt kommt die Zeile, bei der es mir sehr mulmig wird, weil da alles in mir schreit: Halt! Halt!

"Als ob es ohne dich nicht ginge!"

Das wäre ja schön, aber nicht praktikabel, so dass sich diese Frage eigentlich gar nicht stellt, bzw. diese Aussage eigentlich erübrigt.
Wir leben in einem Kontinuum, was ein kontinuierlich, lückenlos Zusammenhängendes heißt, besser gesagt in einem Raum-Zeit-Kontinuum.
So werden also Raum und Zeit sozusagen zu Eigenschaften dieses Kontinuums, indem alles (uns bekannte) Sein existiert.
Das eine kann ohne das andere gar nicht sein, weil sie erst zusammen die Grundlage für alles Sein bilden.
Das ergibt also im wahrsten Sinne des Wortes, dass ohne die Zeit tatsächlich nichts ginge.
Auch der Protagonist könnte ohne die Zeit nicht sein, er würde ihre Abwesenheit nicht einmal mehr merken.
Es wäre eine starre Welt in der sich nichts mehr bewegen könnte, weil es keine Zeit mehr dazu hätte.
Nichts würde sich rühren, nicht einmal ein Gedanke.

Deshalb habe ich da einen Vorschlag:

Ich weiß, dass ohne dich nichts ginge!
Doch streb ich, von dir frei zu sein;
denn einmal lässt du mich allein,
erlöst, am Ende aller (?) Dinge.


Ich finde, das verstärkt sogar noch die Schlussaussage.

Du magst vielleicht einmal darüber nachdenken. :)

Das Fragezeichen ist jetzt der halbe Punkt, eigentlich Peanuts.
Man könnte jetzt darüber diskutieren, ob das Ende des Protagonisten auch das Ende aller Dinge bedeuten soll und zwar in dem Sinne, dass er dorthin strebt, wo alle Dinge einmal enden werden oder, zeitlich bezogen, eben auf "seine" hier "meine" Dinge?

Das Gedicht hat mich auf jeden Fall zum Nachdenken angeregt und ich hoffe, dass mein Kommentar den gleichen Anstoß bei dir finden wird.


Gerne gelesen und kommentiert...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

Dana 08.04.2014 19:59

Hallo poetix,

pubertär habe ich nur auf den Bezug zum Titel gemeint. Mutter Zeit und die Loslösung der "Halberwachsenen" von ihr. Darin lag für mich eine Art "Humorbetrachtung".
Ansonsten sollte schon herüberkommen, dass ich mit der philosophischen Betrachtung der Zeit einverstanden bin und ihre Verdichtung gut fand.:)

Ebenso betrachte ich die Reife - jede hat zu ihrer Zeit eine eigene Berechtigung. (Ein Rat der Weisen mag wertvoll sein, doch der Wert wird erst über die eigene Erfahrung erkannt.;))

Liebe Grüße
Dana

poetix 08.04.2014 20:26

Hallo Falderwald,

vielen Dank für deinen freundlichen und ausführlichen Kommentar. Zunächst zu deiner Frage nach meiner Person: Ich bin schon ein älteres Semester, aber habe erst vor nicht allzu langer Zeit begonnen, intensiv Gedichte zu schreiben (sporadisch auch schon früher).

Jetzt zum Text: Die Dopplung von "weiter" habe ich in Anlehnung an deinen Vorschlag behoben. Auf den Satz
HTML-Code:

Als ob es ohne dich nicht ginge!
möchte ich allerdings nicht verzichten. Natürlich gehört die Zeit zu den reinen Anschauungsformen und ist somit unlösbar mit unserem Menschsein verknüpft. Deshalb der Ausruf: Es scheint tatsächlich so zu sein! Dann aber die Hypothese: Am Ende (Tod oder Harmageddon oder was auch immer) ist unser Menschsein beendet und (Hypothese) es gibt keine Zeit mehr. Gibt es uns dann noch? Der Text suggeriert dies, aber auch dies ist natürlich eine persönliche Hypothese. Ich hoffe, diese Freiheit, Hypothesen zu äußern und als wahr hinzustellen, durfte ich mir nehmen. Es ist ja nur meine Meinung. Insofern sollte der Aufruf auch ein wenig provokativ darauf hinleiten. Die Frage, ob sich die Zeit auch durch lebende Menschen überlisten lässt, z.B. durch gewisse Meditationstechniken, bliebe auch noch offen. Diese beiden Aufhebungen der Zeit begegnen sich wiederum im Buddhismus und im Yoga, wo sich der Mensch durch die Meditationstechniken aus seinem irdischen Menschsein zu befreien strebt. Das wird in angedeutet in der Zeile
HTML-Code:

Doch streb ich, von dir frei zu sein
Ich hoffe, meinen Standpunkt halbwegs klar zum Ausdruck gebracht zu haben und bedanke mich nochmals für deine Anregungen.

Viele Grüße
poetix

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Hallo Dana,
danke sehr, dass du dir die Mühe gemacht hast, mein Missverständnis aufzuklären. Jetzt bin ich froh, dass wir in unserer Einstellung zum Thema so harmonieren.
Viele Grüße
poetix


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