Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 23.12.2013 09:35

Ein Gutbürger
 
Er ist versorgt, der Lebensweg erkoren.
Das viele Geld trägt Zinsen auf der Bank.
Dem guten Schicksal weiß er Lob und Dank
für allen Segen, den er nie verloren.

Die Ehe: Lange schon gefühlsbereinigt,
die Kinder aus dem Hause - Gott sei Dank!
Und er noch gutaussehend, beinah schlank -
und kein Gewissen, das ihn nächtens peinigt.

Nur nach dem Beischlaf mit den jungen Dingern
ereilt ihn manchesmal Melancholie -
sein eisenhartes Weltbild kommt ins Schlingern!

Die Zweifel jucken, doch er weiß nicht wie
zu kratzen sich mit diesen blassen Fingern -
er ahnt den Himmel, doch erreicht ihn nie.

gerig1 23.12.2013 19:20

...die Idee find ich ganz spannend, der perfekte Gutmensch, der es doch schafft seinen ständigen Begleiter, das Gewissen, für kurze Zeit auszuschalten, wenn's um seine Bedürfnisbefriedigung geht - was ihn später natürlich immer wieder einholt in seiner scheinbar heilen Welt - die sich gerade durch diese angestrebte Perfektion (Karriere, Familie,...) sehr abgenutzt hat - hoff ich hab's richtig interpretiert?

Dana 23.12.2013 19:45

Lieber eKy,

das ist "verdammt" gut. :)
Ich sehe darin nicht den "Gutmenschen" seiner Zeit - eher den "Wendehals" der Zeit, den Gutbürger, der sich nie in Sichereit wiegen darf, es sein denn, er stirbt gegeben.:rolleyes:

Deine Gedichte sind programmiert für die Zeit, wo andere sagen werden: "Er (eKy) hat es gesehen."
Die Rubrik "Nachdenkliches" ist auffordernd gewählt - doch verfällt sie vorerst (für mich) in Trauer und Düsteres.
So lang wir den Himmel nicht auf Erden suchen, erreichen wir ihn nie! Es bleibt das Kratzen (Satire:cool:)

Bis zur Erkenntnis,
gutbürgerliche Grüße :o
Dana

Erich Kykal 23.12.2013 21:26

Hi, Gerig, Dana!

Ja, die Arrivierten, Konservativen, Bräsigen dieser Erde: Oft genug selbstgefällig, betriebsblind, versteinert in Abläufen und Ritualen. Sie folgen stur einem vorgefassten Lebensplan, den sie irgendwann als "erstrebenswert" begriffen haben, ohne sich je zu fragen, ob dies wirklich den wahren Kern menschlicher Existenz streift. Hauptsache abgesichert und saturiert sein, den gesellschaftlichen Vorgaben genügen, kirchlich heiraten, Nachkommen zeugen, sich in der Gemeinde engagieren, die heilige Messe besuchen, usw...
Was sich dann so alles hinter dieser sozialen Fassade abspielt, wird totgeschwiegen und tabuisiert - Hauptsache, die Nachbarn haben nichts zu tuscheln....

Danke für eure Gedanken!

LG, eKy

Hans Beislschmidt 13.12.2019 20:36

Ich schließe mich an Erich, sehr stark aber V4 fällt ein bißchen ab. Da steckt mehr drin. Ich kann mich nach den bildgestalterischen V 1 2 3 nicht mit Jucken und kratzenden, blassen Fingern anfreunden, wobei mir spontan aber nichts besseres einfällt. Der unlängst verstorbene Manfred Deix hätte seine Freude mit deinem Gedicht gehabt. Gruß vom Hans

Erich Kykal 13.12.2019 23:14

Hi Hans!

Es mag mehr drinstecken - aber das kann man meistens sagen, wenn man nicht gerade einem absolut genialen lyrischen Meisterwerk gegenübersteht ... und wie oft mag das der Fall sein?

Ich hab halt herausgeholt, was ich zu dieser Zeit konnte, und jetzt mag ich es nicht mehr ändern.

Vielen Dank für die Exhumierung dieser Mumie! :)

LG, eKy


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