Gedichte-Eiland

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Galapapa 21.07.2012 16:11

Wassergespenster
 
Am Weiher draußen, unter alten Linden,
ging sie durch morgenfeuchtes Blumengras,
den frühen Seelenfrieden dort zu finden.
Der Wasserspiegel lag wie blankes Glas
und schien im Grau der Wolken zu erblinden.

Der Wiesentau benetzte ihre Beine
mit Einsamkeit am frühen Sommertag.
Als Schleier schimmerte im Dämmerscheine
der Nebelflor, der auf dem Wasser lag;
Beklemmung fiel auf Uferkieselsteine.

Als sie sich über das Gewässer beugte,
erblasste vor Entsetzen ihr Gesicht.
Ein fremdes Antlitz, das der See ihr zeugte
in jenes Tagesanbruchs fahlem Licht,
und das sie aus dem trüben Nass beäugte.

Sie war in grauenhafter Angst gefangen,
und wandte sich vom falschen Bilde ab.
Zutiefst verwirrt ist sie davongegangen,
verlegte die Vision in tiefes Seelengrab,
verborgen, von Vergessenheit verhangen.

Doch konnte dieses Schreckgespenst entfliehen,
dann hat es ihr die alte Furcht gebracht.
Nie hat das Trugbild ihr den Blick verziehen
und oftmals in ihr trautes Sein gelacht,
als hätt es ihr den Frieden nur geliehen.

Galapapa 22.07.2012 18:12

Hallo Lipiwig,
es freut mich, dass Dir mein Gedicht gefallen hat; danke für Deinen Kommentar und Dein Lob.
Herzliche Grüße!:)
Galapapa

Dana 24.08.2012 22:58

Lieber Galapapa,

das geht tiefer; tiefer als der Weiher es sein kann - an der Realität vorbei gemessen, ob des Schlamms, des Moders, der unter der Oberfläche ist.

Ein phantastisches Gedicht, das nicht nur der Rubrik entspricht.
Wir verdrängen allzu gern, bzw. aus der Not heraus.
Manchmal scheint es zu gelingen, durch Vergessenheit (Str. 4 - "verhangen" - sehr schön) und dann holt es uns ein und fordert an.
Weil es in "Vollmond" unter Phantastisches und Science Fiction steht, zeigt es verborgene, verhangene Tiefen an, die fast eiligst einer Therapie bedürfen.;)

Nein, es sind die "umwobenen" Momente, die sicher bedeuten und doch undeutbar bleiben.
Ich würde gerne behaupten, diese "Wassergespenster" zu kennen, aber deuten kann ich sie nicht. Ich habe gelernt, mit ihnen zu leben.;)

Gefällt mir sehr.

Liebe Grüße
Dana

Galapapa 28.08.2012 10:09

Liebe Dana,
zunächst lieben Dank für Dein schönes Lob und Deinen treffenden Kommentar!
Du hast Recht, wer kennt diese Wassergespenster nicht?!
Für mich sind es auch jene gedanklichen Spiegelbilder, in denen man sich auf einmal nicht mehr wiedererkennt. Das erschreckt, das will man nicht sehen.
Diese Bilder haben wohl etwas zu tun mit einer inneren Unruhe, die man landläufig "schlechtes Gewissen" nennt.
Andererseits sind es auch Ängste schlechthin, Depression und Verfolgungwahn, die ähnliche Erscheinungen hervorrufen können.
Spätestens dann wird Hilfe erforderlich sein.
In der Regel halte ich es aber für eher harmlos, wenngleich belastend,
wenn es sich dabei um die oft lebenslange Verarbeitung verdrängter Dinge handelt und halte ich diesen Weg für richtig; Vergessen wäre falsch.

Danke nochmal und herzliche Grüße!:)

Galapapa

Erich Kykal 29.08.2012 11:06

Hi, Charly!

Fast schon eine Ballade, wie? Erst mal ein paar stilistische Kleinigkeiten:

Zitat:

Zitat von Galapapa (Beitrag 63376)
Am Weiher draußen, unter alten Linden,
ging sie durch morgenfeuchtes Blumengras,
sich frühen Seelenfrieden dort zu finden. Klingt ästhetischer.
Der Wasserspiegel lag wie blankes Glas
und schien im Grau der Wolken zu erblinden. Super ausgedrückt!

Der Wiesentau benetzte ihre Beine
mit Einsamkeit am frühen Sommertag.
Wie Schleier schimmerte im Dämmerscheine Das "als" wirkt hier sprachlich eher linkisch.
der Nebelflor, der auf dem Wasser lag;
Beklemmung fiel auf Uferkieselsteine.

Als sie sich über das Gewässer beugte, Komma.
erblasste vor Entsetzen ihr Gesicht. Das "im" wirkt seltsam dort.
Ein fremdes Antlitz, das der See ihr zeigte Das "zeugte" klingt altbacken und gedrechselt. Mut zum kleinen Unterschied wirkt hier natürlicher.
in jenes Tagesanbruchs fahlem Licht,
das dunkel sie aus trübem Nass beäugte. Lyrischer, sprachmelodischer.

Sie war in grauenhafter Angst gefangen,
und wandte sich vom falschen Bilde ab.
Zutiefst verwirrt ist sie davongegangen, Runder, sprachmelodischer.
verlegte die Vision in tiefes Seelengrab,
verborgen, von Vergessenheit verhangen. Sprachmelodischer, stilvoller.

Doch konnte dieses Schreckgespenst entfliehen,
dann hat es ihr die alte Furcht gebracht.
Nie hat das Trugbild ihr den Blick verziehen
und oftmals in ihr trautes Sein gelacht,
als hätt es ihr den Frieden nur geliehen.

Eine stimmig aufgebaute Geschichte, die aber leider eine Erklärung schuldig bleibt. Der Grund für diese Begebenheit bleibt im Dunkel, ebenso eine Klärung über den etwaigen Realitätsgehalt dieser Vision.
WARUM sollte das geschehen, und WIE konnte sowas geschehen? Eine Psychose, also Einbildung, oder wahrer Spuk? Und in beiden Fällen: Warum geschieht ihr das? Eine alte Schuld? Zufall? Ein ruheloser Geist im Wasser, einst hier als Hexe ertränkt oder so?
So schön dein Gedicht ist, ich vermisse sowas wie eine Verankerung für diese Erzählung, eine Begründung irgendeiner Art für die Geschehnisse, und sei sie noch so vage oder in Anspielungen verborgen.
Nun, das ist aber mein ganz persönlicher Eindruck. Andere mögen dieses "In-der-Luft-Hängen" der Geschichte durchaus genießen.

Insgesamt eine sehr eingängig und lebhaft geschilderte Gänsehautgeschichte - nix für multiple Persönlichkeiten!;)

Sehr gern gelesen!

LG, eKy

Galapapa 31.08.2012 16:18

Hallo Erich,
herzlichen Dank für Deinen Kommentar und die Mühe, die Du Dir dabei gemacht hast!
Erst mal im Einzelnen Deine Verbesserungsvorschläge:
S1/V3: Was Du mit "ästhetischer" meinst, hab ich nicht ganz verstanden.
"Sich finden" und "etwas finden" erscheint mir inaltlich unterschiedlich. "Sich etwas finden kommt mir sogar etwas mundarlich vor.
Keine Ahnung, aber vom Gefühl her möchte ich es mal so lassen.

S2/V3: An dem "als" kann ich nichts Linkisches finden. "Wie" sagt ja auch aus, dass es nicht wirklich ein Schleier war, sondern nur so aussah.

S3/V2-2: Das Komma werde ich verbessern; danke!
Ebenso das "vor Entsetzen", obwohl ich meine, dass "mit" sinngemäß das gleiche aussagt aber eben mit Worten, die weniger alltäglich klingen. Ich möchte hier aber Deinem Rat folgen. Seltsam bin ich selber schon genug.:D

S3/V4: Hier allerdings bin ich anderer Meinung: Das "und", meine ich, kann man hier ruhig einfügen weil es zwei gleichartig aufgebaute Nebensätze voneinander besser (angenehmer) trennt. Außerdem ist mir das "trübe" hier wichtig weil solche Tümpel, so wie ich sie kenne, nie klaren Wassers sind und weil damit die Denkmöglichkeit, sie könnte sich ja getäuscht haben, mitschwingt. Im Uferbereich ist das Wasser ja meist auch nicht so tief, dass es dunkel oder gar schwarz erscheint.
Gerade dieses Detail, wie auch schon S3/V2, spiegelt halt auch etwas meinen eigenen Stil und davon möchte ich ungern abweichen.

S4: Hier möchte ich gern beide Deiner Vorschläge übernehmen.

Die Erklärung, die Du für Deine Geschichte suchst, musst Du selber finden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang an Märchen erinnern; denk doch mal so herum. Außerdem steht der Text ja auch unter "Phantastisches".
Du sagst ja selber

Zitat:

Andere mögen dieses "In-der-Luft-Hängen" der Geschichte durchaus genießen
und zu diesen "Anderen" gehöre ich auf jeden Fall. Ich liebe diese große Freiheit der Interpretation, die mir die Möglichkeit gibt, den Text meinen Bedürfnissen, Erinnerungen, Erfahrungen und meiner Art anzupassen.

Das hat auch etwas damit zu tun, dass mich Geheimnissvolles, nicht Erklärbares fasziniert.
Nüchtern betrachtet ist natürlich die ganze Geschichte eine Metapher, deren Hintergrund auf verschiedene Arten verstanden werden kann.
Sind es Erscheinungen einer Depression oder vielleicht Symptome einer Psychose?
Mit anderen Worten: Man sollte hier nicht nach einer logischen Erklärung suchen.
Ich hab mich gefreut über Deinen Kommentar und danke Dir nochmals
Herzliche Grüße!:)
Galapapa

Erich Kykal 01.09.2012 13:53

HI, Charly!

2 Sachen:

Mit ästhetischer meinte ich: Sprachlich schöner, elaborierter.
"sich...zu finden" im Sinne von "für sich...finden", eine Dativkonstruktion, empfinde ich als lyrisch angenehmer als das schlichte, vergleichsweise etwas platt klingende "den...zu finden".
Aber ich respektiere natürlich wie immer deine Präferenzen.

Märchen haben immer einen Grund, aus dem heraus jemandem etwas geschieht, denn so vermitteln sie ihre Moral - und jeder Hörer/Leser WEISS genau, WARUM dieser Person dies zustößt, sei sie gut oder böse, sei es Ungerechtigkeit, die im Lauf der Geschichte gesühnt/gerächt werden muss oder gerechte Strafe für Untat und Lüge. Und man weiß immer, WER schuld ist. Und selbst in den seltenen Fällen, wo ein Märchen eingangs die Ursachen und Motive aus spannungstechnischen oder erzählungsdynamischen Gründen verschweigt, wird es irgendwann doch geklärt und aufgelöst - auf diesen Aha-Effekt verzichtet kein guter Geschichtenerzähler, denn er weiß: Die Menschen WOLLEN wissen, WARUM!
Ich möchte sogar behaupten, so gesehen verhält sich dein Gedicht eher entgegengesetzt zur klassischen Märchentradition.

Das wollte ich noch loswerden.:rolleyes:

LG, eKy

a.c.larin 02.09.2012 08:00

Hallo galapapa,

das ist ein sehr gänsehautverdächtiger Blick in die Tiefen der Unbewussten - sprachlich märchenhaft-mythisch-poesievoll umgestzt!

Was ich schön finde, ist, dass sich dabei die Spannung allmählich aufbaut:

Das "morgenfeuchte Blumengras" und der "schimmernde Schleier" beginnen noch ganz harmlos, kippen aber bald in "Beklemmung", "Entsetzen" und "grauenhafte Angst". Dem allen kann sich das Lyrich nur duch die Flucht entziehen - trotzdem bleibt das Unbehagen am Schluss.....:eek:

Altmeister Hitchcock hätte seine helle Freude daran gehabt.

Schaurig schön zu lesen!
Lg, larin

Galapapa 02.09.2012 10:42

Liebe larin,
danke für Deinen Kommentar zu meinem Gedicht und Dein Lob!
Dieser Text ist die Überarbeitung eines Gedichtes, das ich vor drei Jahren, als ich anfing zu schreiben, verfasste. Es war mit den ganzen Schwächen des Anfängers behaftet und bedurfte einer neuen Auflage.
Dabei habe ich dann dieses phantastische Element benutzt, um, wie im Märchen, dem Beschriebenen einen breit interpretierbaren Hintergrund zu geben.
Natürlich freue ich mich sehr, dass das so gut anzukommen scheint.
Phantastisches in Verbindung mit der Natur, das ist die romantische Abteilung, in der ich mich am wohlsten fühle, zumal wenn's dann auch noch gruselig wird.:D
Ich danke Dir nochmals und grüße Dich herzlich!:)
Galapapa

Hallo Erich,
da muss ich nochmal nachhaken denn Du hast meinen Bezug zu den Märchen völlig falsch verstanden.
Natürlich haben Märchen alle einen konkreten Hintergrund; es wird anhand von Geschichten und Vorgängen versucht zu erklären, warum der Wolf böse ist und sterben und die böse Hexe verbrennen musste.
Bei meinem Hinweis auf Märchen ging es mir darum, dass auch hier Phantastisches, Dinge die gar nicht wirklich sind oder geschehen, benutzt werden um einen Hintergrund für das Erzählte zu schaffen.
In meinem Text bietet sich hier das mysteriöse, unwirkliche Element geradezu an, um den Leser in die Tiefen des Unbewussten zu führen, um es mit den Worten von larin zu sagen.
Man kann diese Stimmung, die das Gedicht innehat auch kaputtreden und sagen: Warum sieht die Frau ein fremdes Spiegelbild? Weil sie unter einem Verfolgungswahn leidet oder weil .....
Lyrik wäre dann meiner Meinung nach fehl am Platze.
Ich grüße Dich herzlich!:)
Galapapa

Falderwald 04.10.2012 09:20

Hallo Galapapa,

ich hatte dieses Gedicht schon vor ein paar Tagen gelesen und meinen Kommentar dazu fast fertig, als ich ihn mit einem falschen Klick ins Nichts schoss...:rolleyes:

Das kann zwar jedem mal passieren, aber ich war so sauer, daß ich mich einfach nicht mehr zu einem neuen aufraffen konnte.
Das will ich aber jetzt nachholen. :)

Bei einer solchen Geschichte fragt sich der Leser willkürlich, was hat die Protagonistin denn nun wirklich dort im See gesehen, wenn nicht ihr eigenes Antlitz?

Aber alles Übernatürliche findet sich in einer realen Ursache, auch wenn man diese nicht immer zu benennen vermag.

Wer kennt das Gesicht im Spiegel (auch im Wasserspiegel) besser, als der, der sich selbst darin betrachtet?
Liegen nicht alle Erfahrungen eines Lebens darin vereinigt?
Niemand weiß um die Gesamtheit dieser Erfahrungen, nur der Betrachter selbst kann diese darin entdecken.
Und wer hat in seinem Leben, sei es aus jugendlicher Unerfahrenheit, Fahrlässigkeit oder Unbedachtheit (oder Altersstarrsinn :D), nicht schon einmal ein Unrecht begangen, dessen er sich bei entsprechender Einsicht schämt, freilich ohne es je rückgängig machen zu können?

Wenn man daraus gelernt hat, hat es allerdings auch seinen Zweck erfüllt und ich glaube Ludwig Feuerbach hat gesagt, der Mensch kann durchaus ein schlechtes Gewissen haben, ohne sich dafür verachten zu müssen.

Welche Erfahrungen die Protagonistin gesammelt hatte und was sie dort im See erblickte, wird sie wohl nur selbst wissen, denn das wahre innere Wesen eines Menschen bleibt allen anderen auf ewig verschlossen, weil jeder eine eigene Sicht auf die Dinge besitzt.

So können wir also nur hoffen, daß sie sich von den Geistern, die sie rief, eines Tages doch noch befreien kann...:)


Sehr schöner lyrischer Text, den ich gerne gelesen und kommentiert habe...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald


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