Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 12.08.2016 13:35

Die letzte Einsicht
 
Erst wenn die Zeiger unserer Lebensuhren
die letzte Stunde ihrer Zeit umarmen,
als wäre Sterben gnädiges Erbarmen
in einem Stück für Heilige und Huren,

darin wir alle Jahre, die wir zählen,
nur Puppen gleichen an geheimen Schnüren,
ein kurzes Gastspiel gebend nach Allüren
der Wünsche, die uns lenken oder quälen,

erkennen wir vielleicht die dunklen Bande,
um sie mit letzter Geste zu durchtrennen
und frei von Fesseln noch vom wunden Rande

des Daseins ungebunden zu betrachten,
was uns verbleibt: Ein klares Sicherkennen
vor einem unausweichlichen Umnachten.

Wodziwob 14.08.2016 08:24

Hi eKy,

ohne Selbsterkenntnis sind wir Spielball der Gewalten, wie immer die aussehen mögen und seien es unsere eigenen und meist unerfüllten Wünsche. Abhängigkeiten wird es immer geben, Sachzwänge ebenso, das Leben hat genug an "Last" zu bieten, um es uns noch selbst durch "Umnachtungen" verschiedenster Art und Ausprägung schwer machen zu müssen. Manche Fragen bleiben unbeantwortet, was weiter kein besonderes Gewicht hat, wenn wir denn keins draus machen.

Nun ist es zu beobachtende tieftraurige Tatsache, dass die meisten Menschen erst im Angesicht des Todes beginnen, über sich und ihr Leben wirklich nachzudenken, grade so, als wäre dieser davor nicht allgegenwärtig gewesen. Die diesbezüglichen Verdrängungsmechanismen hat der ängstliche Mensch bis zur Perfektion entwickelt. Und betrügt sich so um sein Selbst. Sicher, Selbsterkenntnis kann weh tun, gar keine Frage, verdammt weh sogar. Auch ein Grund, weshalb viele davor zurückschrecken und den "ungeschminkten" Blick in den Spiegel scheuen. Weshalb sie nie zu innerer Freiheit durchdringen können.

Der Widerspruch menschlicher Existenz. Querbeet und überall zu sehen. Blindlings übereifrig sind wir dabei, auf unserer steten Flucht vor dem Tod und uns selbst unseren Planeten zu zerstören und mit ihm alles Leben, das er hervorbringt. Unausweichliche Schicksalsgemeinschaft?

Ein Gedicht, das zum Nachdenken anregt.


Lieben Morgengruß
Wozi

Erich Kykal 14.08.2016 12:25

HI Wozi!

Schön analysiert und aufgeschlüsselt!:)

Jeder, der lebt und gesund aufwuchs, geht automatisch davon aus, ein hohes Alter zu erreichen und bis zuletzt fit zu sein.
Ab dreißig, wenn die Leistungsfähigkeit anfängt nachzulassen, denkt man vielleicht zum ersten Mal wirklich darüber nach, dass Sterben nicht immer nur andern passiert und weit weg.
Aber man tröstet sich damit, das man ja noch nicht mal "Halbzeit" hat - bezogen auf die angenommene Spanne von Jahren.
Diese Halbzeit löst dann meist die erste echte Sinnkrise aus, genannt Midlifecrisis, aber man hat noch Dampf unter der Haube, also wozu zuviel grübeln!
So Mitte fünfzig kommt dann das erste Dauerleiden daher, Abnutzung oder Krankheit mit Folgen, vielleicht vermehrt OPs. Das ist für die meisten dann der Moment, sich wirklich klarzumachen, dass man eigentlich jederzeit sterben könnte. Aber man will unbedingt noch die Pension genießen!
Und dann ist die da - und vieles, was davor aufrecht und am Funktionieren hielt, bricht plötzlich und unvermittelt weg. Neue Sinnkrise!
Man beginnt zu erkennen, dass die weißhaarigen rüstigen Greise und Seniorinnen aus der Fernsehwerbung immer nur jeweils ein paar Prozent ihrer Generation ausmachen, die es bis dahin - und in gutem Zustand - geschafft haben! Alle anderen sind längst begraben oder röcheln an Schläuchen vor sich hin.
Jetzt sieht man die Zielgerade und beginnt sich ernsthaft Gedanken zu machen - für viele aber eben zu spät. :Aua Dumm gelaufen.


Vielen Dank für deine Gedanken! :)

LG, eKy

Dana 15.08.2016 21:44

Lieber eKy,

hier ist alles einmalig gut.:Blume::Blume::Blume:
Ein weises und gutes Sonett und eine Besprechung, wie sie "im Buche" steht.:)
Ich lasse für meine Sicht alles stehen und kann nur zustimmen.

Wozi unterschrieb schon mit Grüßen, die Nachdenken abverlangen.
Diesem Nachdenken füge ich meine Gedanken hinzu:

Es ist unendlich traurig, dass wir ein Leben lang die Chance haben, uns "zeitig" zu erklären und gerade davor flüchten. Das ist in uns so tief "eingefressen", dass man es fast auf die "letzte Strecke" hinausschiebt, um sich selbst vor dem "Unverständnis" zu schützen.
Wir lernen von Anbeginn gefallen zu müssen, wir lernen, was gut und böse ist, was sich gehört und nicht gehört. Viel später rebellieren wir (u.a. Pubertät;)) und uns wird verziehen - eine Phase eben. Diese bestätigt sich durch Erfahrung mit eigenen Kindern. Gut, freundlich, tüchtig und sich selbst fremd zu bleiben wird zum Muss. Ein undurchbrochener Kreislauf.
Erst, wenn die Lebensuhr die letzten Stunden anzeigt, reflektieren wir - mehr oder weniger gerecht sich selbst und den anderen gegenüber. Bemüht, sich einen "guten Abgang" zu verschaffen, erklären wir immer noch ein Sicherkennen im unausweichlichen Umnachten: "Ich war so, weil ..."

"Die letzte Einsicht" steht in der finsteren Rubrik und ist philosophisch unendlich diskutabel.
Ich meine dafür wäre eine Außenansicht als gegeben zumindest denkbar nötig, wenn man sich von Puppenschnüren mitten im Leben befreien möchte.
Das Risiko vor Strafe, Verachtung und Schuldzuweisung sind aber so stark, dass die Einsicht erst den vorgegeben Sichten folgt.

Sehr gern gelesen und besenft,
liebe Grüße
Dana

Erich Kykal 16.08.2016 02:55

Hi Dana!

Es gibt ja Philosophen, die sagen, dass der Mensch sich seine ganze Entwicklung, Geschichte, Errungenschaften und kulturelle Vielfalt nur zugelegt hat, um sich von ebendieser unerträglichen Einsicht abzulenken und ihren Ruf zu betäuben!
Dass nur die Furcht vor der eigenen unwiderruflichen Endlichkeit den Fortschritt vorantreibt, die menschliche Neugier befeuert, Interessen, Steckenpferde, Berufungen und Süchte weckt, in denen wir uns in mannigfaltigen vorgeschobenen Lebenszielen und -inhalten verlieren können.
Ja selbst die Liebe, die wir dem Tod primär entgegensetzen, hätten wir nur aus diesem Grunde "erfunden" ...

Vielen Dank für deine Gedanken! :)

LG, eKy


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