Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 08.02.2012 20:24

Winterabend auf dem Lande
 
Nacht legt ihre schwarzen Arme
kühl auf Waldessaum und Flur.
Menschen flüchten sich ins Warme,
und die Erde wird Natur.

Dunkel wächst im Tannengrunde
wie ein Wesen voller Macht.
Wispernd, wie von Mund zu Munde,
hebt sich Windesraunen sacht

von den schattentiefen Zweigen
nach des Lauschers stillem Gang,
dessen Sinne heimwärts zeigen
wie ein Zittern, zag und bang.

Ferne, wie verstreute Sterne,
locken Lichter nach den Seinen
ihn mit Macht, und er folgt gerne
ihrem losgelösten Scheinen.

Alles Menschenwerk, so denkt er,
es wird nächtens gar so klein,
und den Blick in Demut senkt er,
und die Stirne hinterdrein.

Falderwald 09.02.2012 19:18

Servus Erich,

das ist ein sehr schöner und eleganter, schmaler Text, der sich auch leichtfüßig durch den verwendeten Trochäus lesen lässt.

Auch daß die zweite und dritte Strophe sich verbinden, ist ein schönes Stilmittel.
Der Leser legt danach unwillkürlich eine kleine Pause ein und die braucht es auch, weil hier quasi ein Abschnitt erfolgt.

In den ersten drei Strophen erfolgt in schönen Bildern mehr eine Beschreibung des Zustandes der Umwelt.
Der "Lauscher" in S3 erscheint noch gar nicht als Individuum, sondern ganz allgemein, wie die "Menschen" in S1 und die "Wesen" in S2.

Ab S4 ändert sich das dann, weil hier etwas passiert mit "ihm", dem Lauscher, er wird nämlich angelockt.

Und in S5 schließlich zieht er ein persönliches Fazit.

Gut, dieses Fazit bedeutet ja nun nichts Neues, denn das Bild vom Menschen, der sich unter dem weiten Himmelszelt dank seiner Vorstellungskraft als klein und nichtig empfindet, gibt es seit Menschengedenken, aber, das will ich ausdrücklich betonen, es ist hier in einem wunderschönen lyrischen Gewande präsentiert worden, in einem fast perfekten Gedicht.

Ich schreibe fast perfekt, weil es nichts Perfektes gibt. ;)

Und weil Gedichte eben auch nur Menschenwerk sind, sollte diese Aussage auch nicht verdrießlich machen, sondern nur im Sinne der Conclusio des vorliegenden Textes gesehen werden.

Also sagen wir mal so: Ich könnte es nicht besser machen. :D

Anders ja, aber besser nicht...;)


Gerne gelesen und ein schönes Stück Lyrik besenft...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

Chavali 09.02.2012 19:25

Hallo Erich,

das ist wieder ein sehr sehr schönes Gedicht.
Der Kreuzreim fließt und man kann nix anderes dabei fühlen als Lesegenuss :)
Zitat:

Alles Menschenwerk, so denkt er,
wird des Nächtens gar so klein,
und den Blick in Demut senkt er,
und die Stirne hinterdrein.
Ja, manchmal sollte der Mensch ein wenig demütiger sein ob der Fülle der Natur und sich nicht über sie erheben -
das könnte sich eines Tages rächen.


Lobende Grüße!
Chavali

Erich Kykal 09.02.2012 22:46

Hi, Faldi, Chavali!

Vielen Dank für eure wohlgesonnenen Beiträge!

Dieses Gedicht entstand fast fließend, fast so, wie es da steht, gleich in das "Neues Thema" - Feld getippt, innerhalb von ca. 10 Minuten. Da sieht man, was geht, wenn man den richtigen Moment innerer Konzentration, Kontemplation und Stimmung abpasst.

Das Thema ergab sich beim Blick aus dem Fenster in eine dunkelnde Winterlandschaft. Diese Aussicht erinnerte mich an Nachtspaziergänge aus meiner Jugend, eine intensive und lebendige Erinnerung.

LG, eKy

Dana 11.02.2012 21:14

Lieber eKy,

es liest sich, als würde man einem Romantiker lauschen und einem Maler zuschauen.;)
Die Krönung und Bestätigung für diese "Beiden" zeigt sich im gesenkten Demutblick.
Dichtung, wie ich sie liebe.

Ich streue dir Sternengrüße,
Dana

Erich Kykal 12.02.2012 00:32

Hi, Dana!

Romantiker und Maler...das hast du schön gesagt, liebe Dana! Da grüßt wohl der Eichendorff in mir...;)

LG, eKy

a.c.larin 12.02.2012 08:28

hi erich,

am liebsten würde ich jetzt "ja, stimmt" dazu sagen - aber das klänge dann zu schnoddrig. also muss ich mir etwas gediegeneres einfallen lassen.
also:
den ländlichen winterabend hast du genau so beschrieben, wie ich ihn einige tage lang im urlaub erlebt habe, grade so, als hättest du meine inneren kopfbilder bedichtet! und worüber soll ,bitte, jetzt ich noch schreiben? :rolleyes:


Zitat:

Dunkel wächst im Tannengrunde wie ein Wesen voller Macht..
an der stelle musste ich dreimal lesen, bis ich wusste, wer oder was da eigentlich wächst. :p ( hab "dunkel" immer wieder als adjektiv gelesen. )

Zitat:

und den Blick in Demut senkt er,
und die Stirne hinterdrein.
und der schluss gefällt mir auch vorzüglich: da erlebt man, wie das lyrich nach außen blickt und dann, nach verinnerlichung des wahrgenommenen -wieder in sich selbst hinein.

wahrscheinlich bildet sich dann das gesehene im inneren wieder ab - so wie mir dein gedicht die schöne landschaft umrahmt, in der ich mich einige tage lang bewegen durfte....


gerne gelesen!
lg, larin

Erich Kykal 12.02.2012 11:38

Hi, larin!

Sorry, dass ich dir bezüglich deiner Urlaubsimpressionen sozusagen den Wind aus den Segeln deiner Inspiration genommen habe. Obwohl, bei deinem Talent kann das bestenfalls eine Herausforderung darstellen!;):)

Das mit dem missverständlichen "Dunkel" ist mir gleich beim Schreiben aufgefallen, aber jede andere Version war entweder zu lang, zu unmelodisch oder stilistisch weniger lyrisch. Daher bin ich das Risiko eingegangen, dass der Leser da erst mal Pause macht, um sich zu orientieren.

Winterlandschaften sind im Grunde nicht so "meins" - ich bin ein Frühlings- und Sommerfan! Wenn alles blüht und grünt, wenn tausend Schattierungen von Grün die Hänge sprenkeln, wenn Düfte und Bachrauschen sich zu einer Sinfonie der Sinne vereinigen - DANN bin ich gerne draußen!
Auch hier war es nur eine Erinnerung, die mich lockte, obendrein eine aus den Sommern meiner Jugend. Den Winter dichtete ich beim Blick aus dem Fenster sozusagen freiflottierend dazu, weil es eben grade so ist.

Vielen Dank für deine Gedanken!

LG, eKy


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