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Pedro 30.03.2010 07:55

Ein kleiner Zwischenfall
 
Er fährt auf der Straße nach O., früh ist es, kaum Verkehr. Die Nacht ist mal wieder kurz gewesen, zu kurz.
Endlose Diskussionen und viel Wein.
Er würde gleich an einem der vielen Elendsviertel vorbeifahren, es liegt direkt neben der Straße. Hier ist er oft gewesen.
Tanken müsste er bald, der Zeiger ist nahe bei Null.

Dann sieht er einen schwarzen Kombi ohne Nummernschilder am Straßenrand stehen. Zwei Männer schlagen mit Schlagstöcken auf einen am Boden liegenden Mann ein und treten ihn mit Füßen.
Er beschleunigt und drückt auf die Hupe, die Männer springen in ihren Kombi und rasen davon.
Er hält an und steigt aus.
Der Mann ist mühsam aufgestanden und hat sich auf eine Bank gesetzt. Er keucht und umklammert seinen zerfledderten Brotbeutel, als ob dieser etwas wäre, an dem er sich festhalten könnte. Seine Kleider sind zerrissen. Aus Mund, Nase und Ohren rinnt Blut. Er hat nur noch einen Schuh an, der andere liegt auf der Straße.
Er erkennt ihn, es ist Manuel G. Vierzig Jahre ist er alt und wohnt hier mit seiner Mutter zusammen.
Etwas geistig behindert ist er. Manuel fährt jeden Tag frühmorgens in einen Supermarkt, wo er Waren aus- oder einpackt. Das kann er, hat seit Jahren nie gefehlt.
Bei nächtlichen Treffen saß er immer nur da, fast nie sagte er etwas, nur manchmal nickte er. Er war immer bereit gewesen, Aufgaben zu übernehmen, die ihm übertragen wurden.
In die Stadt war er nachts gegangen und hatte Flugblätter verteilt.

Jetzt rennen ein paar Männer aus den umliegenden Häusern auf die Straße.
Ja, gesehen und gehört hätten sie, wie diese Schweine auf Manuel einschlugen, aber was hätten sie denn tun können, das waren doch Polizisten.
Er holt den Verbandskasten aus dem Auto und läuft zu Manuel. Der sitzt immer noch auf der Bank.
Wo soll er überhaupt anfangen, ihn zu verbinden? Er würde ihn ins nächste Krankenhaus fahren.
Er fasst ihn vorsichtig am Arm und will ihn zu seinem Auto bringen. Manuel sträubt sich.
„Ich muss auf den Bus warten, ich muss zur Arbeit“, flüstert er. .
Dann fällt Manuel plötzlich nach vorne. Er rutscht auf den Boden und bleibt liegen. Seinen Brotbeutel hält er noch immer fest umklammert.
Er beugt sich hinunter und versucht Manuel aufzurichten:
„Komm, ins Krankenhaus!“
Einige Männer versuchen mit anzupacken.
Aber Manuel rührt sich nicht mehr, sagt nichts mehr, atmet nicht mehr, wird nicht mehr jeden Tag auf den Bus warten und nie mehr zur Arbeit gehen.
Morgen würde die Presse vielleicht kurz einen kleinen Zwischenfall erwähnen.

Falderwald 31.03.2010 10:52

Hallo Pedro,

weder mal eine ergreifende Geschichte von dir, die das Schicksal eines "kleinen Mannes" beschreibt, wenn auch nur diesen "kleinen Zwischenfall".

Ich denke, dies ist eine kurze Millieustudie irgendwo aus Südamerika, wo unliebsame Menschen, die sich nicht wehren können, von der Staatsgewalt drangsaliert und verfolgt werden.

Aus den nächtlichen Treffen schließe ich eine Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Bevölkerung aufzuklären, vielleicht sogar zum Widerstand aufzurufen.
Dieser Organisation hat der leicht geistig behinderte Mann angehört und musste dafür mit seinem Leben bezahlen, weil er nun mal das Pech hatte, zu den Schwächeren der Gesellschaft zu gehören.
Die Machthaber können sich solche "aufrührerischen Individuen" nicht leisten und bekämpfen dies mit Mord und Terror.
Und die örtlichen Medien können oder wollen da auch wenig tun.

Aufrüttelnd und ergreifend und auf jeden Fall lesenswert, denn es kann gar nicht oft genug auf die menschenunwürdigen Umstände in dieser Welt hingewiesen werden.


In diesem Sinnen gerne gelesen und kommentiert...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

Pedro 31.03.2010 11:05

Hallo Falderwald,

deine Textanalyse ist richtig.

Danke für deine Rückmeldung.

Gruß

Pedro


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