Gedichte-Eiland

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Friedhelm Götz 04.04.2013 09:58

Ausweglos
 
Zum Teufel, weicht, verdammte Schuldgefühle!
Mein Dämon will euch aus den Tiefen locken,
ergreift in wildem Zorn den Strang der Glocken
in meiner Seele morschem Turmgestühle.

Wie oft sah ich ihn schon dort oben hocken,
verzerrt die Fratze, an den Händen Schwielen,
mit Augen, die fast aus den Höhlen fielen,
in seinem Arm ein Kind mit goldnen Locken.

Sein Liebstes war es und ich hab‘s genommen.
Er klagt mich an seit Tausenden von Jahren,
lässt nachts Medusen mir in Träume fahren
und Riesenkraken aus den Meeren kommen.

Ach, könnt ich auf der Marter Ende hoffen.
Mein Therapeut hält nur die Hände offen.

Walther 11.06.2013 11:33

hi fridolin,

das ist wieder eines deiner werke, die erst auf den dritten blick ihre tiefe offenbaren. :) denn eigentlich ist es kein richtiges sonett und auch kein text für die "finsterrubrik". das abschließende verspaar verweist das gedicht eindeutig in die satirerubrik.

ich habe diese tour de force durch die christliche angstanmache genossen. wenn man den text von hinten nach vorne betrachtet erscheint auch das "e" in "Turmgestühle" nicht mehr reimgeschuldet, es paßt vielmehr perfekt in die traditionelle melodie dieser sprache, die uns vor hölle, tod und teufel warnen und zu guten werken (wie dem ablaß, der dann an den therapeuten geht) (ver)führen soll!

gerne gelesen und ausgegraben!

lg w.

Friedhelm Götz 11.06.2013 14:42

Lieber Walther,

mein Gedicht war ein Experiment, es soll eine Stimmung beschreiben, die sich in Albträumen abspielt. Hintergrund ist ein tragischer Fall, der mir von einem Bekannten geschildert wurde, dessen Freund sich nach langen Jahren der Seelenqual das Leben genommen hat. Er hatte den Tod eines Kindes verschuldet und dessen Vater verfolgte ihn in seinem abgrundtiefen Hass mit einem jahrelangen Psychoterror. Ich hatte diese Erklärung an anderer Stelle meinen Versen vorangestellt, bin aber belehrt worden, dass das Werk auch aus sich heraus verständlich ist.

Das Gedicht hatte ursprünglich auch einen anderen Schluss:

Ich will nicht länger mit der Marter leben,
der Teufel wird mir niemals Ruhe geben.

Kannst du mir bitte erklären, warum mein Gedicht eigentlich kein Sonett ist? Ich bin da noch am Lernen.

Vielen Dank für deinen Kommentar.

LG Fridolin

Walther 12.06.2013 16:59

hi fridolin,

die architektur geht ungefähr so:

s1: these oder innensicht
s2: antithese oder außensicht
s3: synthese oder schlußfolgerung
s4: moral von der geschicht / handlungsanweisung / erkenntnis

das außen- und innensicht kann auch getauscht werden. das sonett ist ursprünglich ein dialogisches lehr- und lerngedicht über die liebe zu gott und zu dem / der liebsten.

hilft das evtl. weiter?

lg w.

Friedhelm Götz 16.06.2013 07:36

Zitat:

Zitat von Walther (Beitrag 69265)
hi fridolin,

die architektur geht ungefähr so:

s1: these oder innensicht
s2: antithese oder außensicht
s3: synthese oder schlußfolgerung
s4: moral von der geschicht / handlungsanweisung / erkenntnis

das außen- und innensicht kann auch getauscht werden. das sonett ist ursprünglich ein dialogisches lehr- und lerngedicht über die liebe zu gott und zu dem / der liebsten.

hilft das evtl. weiter?

lg w.

Vielen Dank für diese Erläuterung. Du sagst aber nicht, ob diese dialektische Struktur als Erfordernis für ein Sonett unabdingbar, also zwingend ist. Ich nehme an, dass du das wie viele Sonettexperten so siehst. An andrer Stelle lese ich, dass "in der dichterischen Praxis solche überstrengen Regeln jedoch meist überspielt worden sind. Die Gefahr liegt nahe, die Form überzubewerten" (Erwin Arndt, Deutsche Verslehre).

Ich will mich bemühen, bei künftigen Sonetten auf die dialektische Struktur zu achten, mich aber nicht dazu zwingen lassen. Das gilt vor allem für Sonette in Schüttelreimen, bei denen schon die Einpassung der Reimpaare in die metrische Struktur und die Beschränkung auf 14 Zeilen, besonders bei umarmenden Reimen, eine Herausforderung darstellt. Ich verwende deshalb für Schüttelsonette lieber die Shakespearsche Form mit dem Couplet am Schluss.

LG Fridolin

Chavali 16.06.2013 15:05

Hallo Fridolin,

ob Sonett oder nicht, ob dialektische Struktur oder keine - mir gefällt dein Gedicht in jedem Falle.
Ich liebe diese düsteren Geschichten, diese Albträume, die man wunderbar verdichten kann
und die oft einen tieferen Sinn haben.

Sehr gern gelesen und gestaunt, weil ich von dir fast nur humorige Texte kenne.

LG Chavali

P.S.

übrigens, dieser Schluss gefällt mir besser:
Zitat:

Ich will nicht länger mit der Marter leben,
der Teufel wird mir niemals Ruhe geben.

Dana 03.12.2014 20:04

Hallo Fridolin,
ich lese wie Chavali - ohne Kennerblick, ob richtiges Sonett oder nicht. Die Tiefe der Aussage berührt, macht betroffen.
Jedoch schließe ich mich Walthers Kommentar in Punkto Inhalt an. Kennt man das persönliche Anliegen des Verfassers nicht, versteht man die christliche Angstmache und "genießt" die Satire.
Weil religiöse "Angstmache" nach wie vor funktioniert, betrachte ich die Pointe zum Therapeuten als äußerst gelungen.
Liebe Grüße
Dana

Friedhelm Götz 04.12.2014 11:14

Hallo Dana,

interessant, dass du dieses Gedicht nach anderthalb Jahren ausgegraben hast, zu einem Zeitpunkt, an dem es auch mir wieder in die Finger gefallen ist. Zu der Frage, Sonett ja oder nein, habe ich mir nun eine eigene Meinung gebildet, nachdem ich Tausende von Sonetten aus mehreren Jahrhunderten gelesen und studiert habe. Dabei habe ich festgestellt, dass viele Sonette der geforderten Sonettstruktur (These, Antithese, Synthese) nicht entsprechen. Ein zwingendes Erfordernis kann ich jedenfalls nicht erkennen.

Interessant finde ich, dass du wie Walther, den Inhalt als Satire verstehst. Das Gedicht ist allerdings von mir so nicht gedacht gewesen und schien auch ohne Kenntnis der Hintergründe nicht ohne weiteres verständlich. Auf Anregung von Erich Kykal auf einer anderen Plattform habe ich deshalb dem Gedicht eine Erläuterung vorausgeschickt.

Vielen Dank für die Beschäftigung mit meinem Werk und deinen Kommentar.

Liebe Grüße
Fridolin


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