Gedichte-Eiland

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Laie 18.11.2017 12:05

Fremd
 
Ich bin mir manchmal fremd wie eine
gewaltige und dunkle Stadt,
in deren Häuserschluchten keine
vertraute Seele Heimat hat.

Und in den ungezählten Gassen
bin ich nur noch ein scheues Kind,
das sich verliert und dem aus blassen
Gebärden ein Verzweifeln rinnt.

Erich Kykal 18.11.2017 13:31

Hi Laie!

Rilke zitierte auch gerne Gebärden ... ;)

S2Z1 - Statt den "unzählbaren" Gassen (was sie bestimmt nicht sind, da in jeder Stadt, auch in imaginären, eindeutig endlich viele!) würde ich (auch lautmalerisch harmonicher) "ungezählten" schreiben. Stimmt zwar auch nicht, weil irgendein hemdsärmeliger Beamter in dir (! ;))sie garantiert zählt, aber zumindest ist es theoretisch möglich, im Gegensatz zu deiner Wortwahl. Der menschliche Geist ist nämlich - gänzlich konträr zu seinem eigenen so gern über sich verbreiteten Postulat - höchst endlich, nicht nur temporal, sondern leider auch bezüglich seiner Vorstellungskraft! :D

Ja, das sich selber fremd Sein - ein dankbares Thema. Solche Gefühle zeigen zudem, wie wenig unserer Lebenszeit wir damit zubringen, uns selbst zu erforschen und zu durchschauen! Obwohl, "durchschauen" klingt, als wären wir zerebrale Gauner und notorische Selbstbelüger - vielleicht sollte ich "durchdringen" sagen, um der probaten Eigenlüge ebenfalls Vorschub zu leisten!
Aber verzweifle nicht - wir belügen und verbergen uns vor uns selbst aus guten Gründen! So können wir uns weiter vormachen, bessere Wesen zu sein als wir tatsächlich vom natürlichen Konzept her sein können! Dort nämlich ist alles auf Überleben und Erhaltung ausgelegt, und Begriffe wie Opfer oder Moral scheren dort keine interne Sau! ;)

Dein Gedicht des Sich-selber-fremd-Seins reflektiert den sich daraus ergebenden Konflikt mit dem Über-Ich, das wir für uns generieren, um unser Selbstbild vor den eigenen Instinkten aufzuhübschen und sozial kompatibel zu machen. Darum ist die Stadt so dunkel, unvertraut und rätselhaft für unsere "zivilisierten" Sinne ...

Ich nenne das Phänomen gern die soziale Selbstentfremdung. Im Grunde sind wir noch wie Katzen, die sich niemals fragen würden, ob es moralisch ist, mit der Maus noch zu spielen, ehe sie sie fressen! Aber wir sind sozial geworden, um besser zu überleben, und diese Selbstzivilisierung über Jahrtausende hat sich sozusagen verselbstständigt und gerät zuweilen in Konflikt mit unseren einzelgängerischen Urinstikten. Bevor wir nämlich zu Affen wurden, waren wir kleine rattenähnliche räuberische Opportunisten, denen es nie eingefallen wäre, Beute zu teilen! Unser Basisprogramm, wenn man so will, ist also hochgradig asozial und nur auf das eigene Überleben ausgerichtet, Paarungstrieb und Mutterinstinkt ausgenommen.

Sehr gern gelesen! :)

LG, eKy

Laie 20.11.2017 10:22

Hi eKy,

"Gebärden" ist aber auch ein tolles Wort! So richtig für mich "entdeckt" habe ich es jedoch, als ich es in deinen Gedichten gelesen habe ;)

Deine Ausführungen finde ich sehr interessant. Vor allem den Konflikt zwischen der verinnerlichten Moral und dem, was man gern machen würde. Und dann kommen die Zweifel. Lässt sich die Moral nicht in gewisser Weise so oder so auslegen? Oder weiß ich überhaupt sicher, was ich gern machen würde und was gut für mich ist? Betreffen die Überlegungen außer dem Selbst noch Menschen im nächsten Umfeld, wird alles noch komplizierter, da in solchen Fällen die Moral doch wieder etwas mehr Gewicht hat. So hängt das Handeln in der Schwebe zwischen den Dingen und ich bin mir fremd.

Vielen Dank auch für den Verbesserungsvorschlag! :)


Gruß,
Laie

Ophelia 20.11.2017 11:20

Lieber Laie,

dem Dauerlob Erichs zu deinen Gedichten schließe ich mich an. Deine Verse gehen direkt in mein Herz sowohl inhaltlich als auch klanglich. Ich finde ebenfalls, dass du ein Ausnahmetalent bist. Betrachte mich als deine Verehrerin.:Herz:

LG Ophelia

Laie 21.11.2017 11:10

Hallo Ophelia,

wenn die eigenen Texte Herzen berühren, dann hat man als Lyriker eigentlich alles erreicht. Ich feue mich außerordentlich über dein umwerfendes Lob! :)


Gruß,
Laie


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