Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 22.03.2017 12:32

Der selbstgefällige und der bescheidene Dichter
 
Des Sektes Perlensprudel muss vergehen,
wie es ein Wind in lauer Nachtluft tut,
sobald die Flasche offen ist, ihr Blut
in hohe Flöten gießt, die wartend stehen.

Der Sprudel und das Blut, sie beide säen
sich aus in alle jene, die noch gut
und willig sind, in ihren Gläsern Mut
für das zu finden, was sie kommen sehen.

Der Sprudel sieht nur eigne Süße kommen
und hebt der Zunge prickelnd sie hervor!
Dem Blute aber will solch Drang nicht frommen,

es huldigt nicht schon lang besiegten Geistern,
und was an Stolz dereinst in ihm vergor,
ward Demut ihm, sein Reifen zu bemeistern.

Thomas 22.03.2017 15:08

Lieber Erich,

wieder eines deiner schönen Sonette. Du triffst auf den Punkt. Für alle wirklich großen Dichter die ich kenne (vielleicht allen voran Dante) ist große Demut ein Charakteristikum.

Liebe Grüße
Thomas

bobo 22.03.2017 15:18

Hallo Erich,

sind in einem Sonett die mittleren Verse der Quartette immer 10 silbig?

Und ich hörte einst, mein unwissender Geist, dass das Wort "tut" niemanden gut "täte".
Ist das in der Lyrik anders oder nur dem Reimen geschuldet?

Kann Demut Ungerechtigkeit mit vollster Mündigkeit entgegentreten, ohne dabei den Anspruch auf Demütigkeit zu verlieren?

Dein Sonett wirft einige Fragen auf!

lg!

Erich Kykal 22.03.2017 15:20

Hi Thomas!

Erneut ein "Schnellschuss" aus dem Kolosseum, als eigenständiges Thema überarbeitet. Warum Gelungenes verschwenden? ;)

Vielen Dank für deine Lobesworte! :)

Wie weit es mit meiner Demut allerdings tatsächlich her ist, möge die Nachwelt entscheiden - sofern sie mich denn überhaupt als "großen Dicher" erachtet.

LG, eKy



PS: Für den Fall, dass jemand die Symbolik nicht versteht:

Die Flöten sind natürlich die Sektgläser. Der Sekt wird aus Wein gemacht, und Wein nennt man auch Traubenblut. Zudem "vergießt" die offene Flasche ihr "Blut" wie aus einer Wunde. Das Blut ist also der Sekt, die goldene Flüssigkeit.

Das Gleichnis beschreibt den demütigen Dichter als den Sekt, den selbstgefälligen Dichter als den Sprudel, die aufsteigende Kohlensäure, die schäumt und Raum einnimmt, sobald die Flasche geöffnet und eingeschenkt wird. Das steht für die Welle, die Show, die der selbstgefällige, selbstdarstellende Poet macht, um sich in Szene zu setzen.

Beide ergießen sich in die Gläser - sprich in die Zuhörer oder Leser ihrer Gedichte. Aus derselben Flasche: der Poesie.

Während der selbstverliebte Sprudel nur oberflächlich auf der Zunge tanzt und prickelt, aber nur sich selber damit feiert, ist es der Sekt(das Blut der Trauben), der berauschend auf die Trinker wirkt, sie also wirklich erreicht und beeinflusst. Der oberflächliche Sprudel wird ausgerülpst.

Der Gärungsprozess des Weines wird mit der charakterlichen Reifung des bescheidenen Dichters gleichgesetzt, gibt er doch auch dem Wein/Sekt Charakter und Geschmack.

Das Bild wird dadurch noch vertieft, dass Blut gemeinhin etwas Lebenswichtiges, Lebenserhaltendes ist, also etwas von großem Gehalt, während der Sprudel eigentlich nur aus Luft besteht, die man nicht mal atmen kann (CO2): wie die heiße Luft, die jeder Blender und Angeber absondert.


Ich hoffe, damit ist das Gleichnis erklärt. :)

LG, eKy

fee_reloaded 22.03.2017 18:39

Auf den Punkt, lieber Erich!

Das Thema Dichter- oder überhaupt Künstler-Demut ist gar nicht so einfach. Zuviel davon macht dich ebensowenig zum guten Künstler, dessen Werk bleibt. Aber zuwenig davon auch nicht. :cool:

Gern gelesen! :Blume:

fee

Erich Kykal 22.03.2017 19:40

Hi Bobo!

Sorry, hatte dich vorhin irgendwie übersehen.

Ich spiele gern mit der Sonettform. Zum einen, weil mir manche der "klassischen" Regeln sprachlich zu einschränkend sind, zum anderen, weil "saubere" Sonette zu schreiben mit der Zeit langweilig werden kann, und zuletzt, weil ich manchmal in Eile bin und es schnell gehen soll - besonders im Kolosseum (wo das Gedicht in leicht anderer Form ursprünglich geschrieben wurde) gebe ich mir nicht die allerletzte Mühe damit, da geht es mir mehr um das Messen des Intellekts, weniger um exakten Formengehorsam.
Aber auch sonst gibt es von mir so manche Abweichungen: vierhebige Sonette, welche mit betontem Auftakt, welche mit gemischten oder ganz und gar männlichen Kadenzen, welche mit sechs Hebern und welche, die Paarreim als Conclusio haben.
Zudem halte ich mich nie bewusst an die in meine Augen überkandidelte Einteilung in These, Antithese und Synthese.

Mir ist ehrlich gesagt herzlich egal, ob die Puristen darob wutentbrannt im Dreieck springen - keiner zwingt sie dazu. :D Ich fessele meinen Geist nicht mit einer angenommenen Unumstößlichkeit von Regeln, wenn sie mir unlogisch erscheinen. Nicht vergessen: Ich bin ein autodidaktischer Gefühlsdichter, hab nie das wissenschaftlich fundierte Handwerk gelernt - und verweigere mich ihm bis heute.
Mag sein, ich weiß manches - aber ich entscheide immer selbst, inwiefern ich mich an diese Reglen halte, und zwar ganz nach eigenem Ermessen. ;)

Was an "tut" so schlecht sein soll, wenn man es richtig anwendet, weiß ich nicht. Kümmert mich auch nicht, WEIL ich es richtig anwende. Oder erscheint dir die besagte Zeile unlyrisch oder sprachlich ungelenk? ;)

Und ALLE möglichen Gedanken zu allen möglichen Fragen bezüglich möglicher philosophischer Implikationen meiner Textaussagen habe ich mir natürlich nicht gemacht, bevor ich sie schrieb. :D


Hi Fee!

Danke für deine Gedanken. In der Conclusio erschließt sich, dass es vor allem um das eigene Reifen geht, und das verträgt sich jedenfalls keineswegs mit zu wenig Demut: In diesem Falle wäre man nämlich der Ansicht, ohnehin nichts jemals falsch gemacht zu haben. ;)


LG, eKy


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