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Frank Reich 16.12.2016 21:17

Auf dem Weihnachtsmarkt
 
Mit dem kalten Nebelwetter kam an diesem Samstag hier endlich einmal glaubhafte Weihnachtsmarktstimmung auf. Bisher war es meist zu warm oder zu sonnig gewesen, um die künstlich winterweiß gestrichenen Marktbuden nicht wie von einem anderen Stern erscheinen zu lassen. Diesmal passte es; die Leuchtgirlanden verliehen dem diesigen Nebeltag etwas von ihrer nordisch stimmungsvollen Atmosphäre. Sie standen im Kontrast zu den engen Marktgassen, die nun dunkel erschienen von den Menschenmassen, die sich dort, in einer Art „Stop and Go“ Takt, zähfließend aneinander vorbeischoben.

Ich war ein wenig im Stress, weil ich noch schnell einen dringenden Einkauf zu erledigen hatte, bevor ich, im Anschluss daran, zum Flughafen fahren musste. Ich war dabei den vorweihnachtlichen Umtrieb im Vorbeilaufen mit einem eiligen Blick zu überfliegen als ein festlich dekoriertes Pferdegespann mit seinen auf dem Pflaster hallenden Huftritten meine Aufmerksamkeit erregte. Ich dachte mir gerade noch, dass dies wohl eine der diesjährigen Neuheiten sein musste, als ich auf einmal ein dumpfes Geräusch vernahm während die Pferdekutsche, fast neben mir, jäh zum Stehen gebracht wurde.

Der Wagen hatte wohl einen Mann gestreift und zu Boden gerissen, wo er jetzt, in einer fast starren Position, lag. Einige lang erscheinende Sekunden schienen die Szene einer dornröschenschlafähnlichen momentanen Stille folgen zu lassen. Auf der einen Seite der Mann, der in seiner gekrümmten Stellung am Boden lag, auf der anderen Seite die Kinder und Erwachsenen die auf der offenen Pferdekutsche saßen und jetzt fassungslos schweigend, unfähig zur geringsten Geste, auf den Gefallenen herunterblickten.

Ich ging auf den Mann zu und streckte ihm mit einem unsicheren "ça va" meine Hand entgegen. Im gleichen Moment eilte von der anderen Seite eine Frau, die ihrer Entrüstung über die Teilnahmslosigkeit der in den Unfall Verwickelten und der Beistehenden Luft machte, herbei, griff dem Mann unter die Arme und erkundigte sich dabei über seinen Zustand. Der Mann stammelte nur etwas Unverständliches, als wir ihn gemeinsam hochzogen, aber er schien sich mit seiner Hand an meine Hand und mit seinen hilfesuchenden Blick an meine Augen zu klammern die er jetzt nicht mehr loslassen wollte.

Die ganze Szene dauerte nur wenige Sekunden. Im nächsten Augenblick nahm sich eine Gruppe von Polizisten und Sicherheitsbeamten des Kerls an, mit der Bemerkung, dass er ihnen bereits wohlbekannt sei. Auch ich hatte sofort gesehen, dass es sich bei dem Mann um einen Menschen handelte, den die Gesellschaft gemeinhin mit wohnsitzlos oder Penner zu umschreiben pflegt. Mit dem ihn umgebenden Alkoholgeruch, seinem blauen Auge und seiner geschlagenen Haltung, trug er alle Stigmata seines Standes. Genauso wie die allesamt in Nikolausmützen gekleideten Insassen des Wagens von der Hypokrisie ihrer gesellschaftlichen Normalität gezeichnet zu sein schienen.

Beide Seiten waren sich so nahe, beide Seiten waren sich so ähnlich in ihrer jeweiligen Hilflosigkeit. Der Unterschied schien nur darin zu bestehen, dass der eine unters Rad gekommen war, während die anderen oben auf dem Wagen saßen.

Kokochanel 01.01.2017 10:08

Guten Morgen, Fank,

die Erzählung gefällt mir. Sie stellt die heuchlerische Welt zusammen mit der knallharten Realität.Besonders mag ich den Schlußsatz mit dem doppelsinnigen, resümmierenden "Unter die Räder kommen".

Ein paar sprachliche Tipps:
Imp. von verleihen ist verlieh

Genitiv bei sich jemandes annehmen: Polizisten nahmen sich des Kerls an.

Ich mag solche kurzen , episodenhaften Geschichten, weil sie nicht langatmig sind und einen wie eine Kurzgeschichte plötzlich in eine bestimmte Szene versetzen.
Zum besseren Internet-Lesen würd ich mir jedoch persönlich Absätze wünschen:).

Gerne gelesen mit lieben Neujahrsgrüßen von Koko

Frank Reich 04.01.2017 21:16

Hallo Kokochanel,

herzlichen Dank für's Lesen und Deine sinnvollen Verbesserungsvorschläge. Hab mich da mal ganz schnell ans Ändern gemacht und die ganze Geschichte nebenbei noch in Absätze untergliedert - hoffe da sind jetzt nicht zu viele.

Liebe Grüße und auch Dir ein frohes neues Jahr
Frank Reich


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