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Hans Beislschmidt 03.10.2019 18:58

Abgenagt
 
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Abgeagt

Was ehemals uns Schutz gewährte,
ward schnell zerfressen von Termiten.
Was immer man im Sein begehrte -
wie abgenagt gleich alten Riten.

Im größten Sturme biegsam, beugt
der Bambus sich in jedem Wind.
Das Bild gefallner Bäume zeugt
wie schwach zu hohe Türme sind.

Alleine nur, was in Bewegung bleibt,
sich ständig hält, wird überdauern.
Die Planke, die auf Wellen treibt,
gejagt von kalten Regenschauern.

Die Zeit, sie wird zerteilt von kleinen Intervallen,
und nur schon lang vergangne Taten widerhallen.


Geänderte Version nach Ekys Vorschlägen.


Abgenagt

Was ehemals uns Schutz gewährte,
ward schnell zerfressen von Termiten.
Vertrauter Heimatstrand und Sprachenwelt,
dürr und abgenagt gleich alten Riten.

Ganz biegsam bis zur Erde beugt
sich schlanker Bambus selbst bei Sturm,
hingegen ausgerissene Bäume
bloß liegen wie ein umgefallener Turm.

Nur was ständig in Bewegung,
kann uns als stetig doch erscheinen.
Gleich einer Planke auf den Wellen,
muss Zufall unsere Zeit vereinen.

So wird die Zeit zerteilt von kleinen Intervallen
und nur von fern vergangene Taten widerhallen.
.
Erste Fassung

Erich Kykal 03.10.2019 19:52

Zitat:

Zitat von Hans Beislschmidt (Beitrag 120045)
Abgenagt

Was ehemals uns Schutz gewährte,
ward schnell zerfressen von Termiten.
Vertrauter Heimatstrand und Sprachenwelt,
dürr und abgenagt gleich alten Riten.

Ganz biegsam bis zur Erde beugt
sich schlanker Bambus selbst bei Sturm,
hingegen ausgerissene Bäume
bloß liegen wie ein umgefallener Turm.

Nur was ständig in Bewegung,
kann uns als stetig doch erscheinen.
Gleich einer Planke auf den Wellen,
muss Zufall unsere Zeit vereinen.

So wird die Zeit zerteilt von kleinen Intervallen
und nur von fern vergangene Taten widerhallen.

Hi Hans!

Das Gedicht ist vierhebig und hat unbetonten Auftakt. Allerdings:

S1Z3 hat fünf Heber.
S1Z4 hat fünf Heber und beginnt betont.
S2Z3 - metrischer Fehler: Silbe zuviel bei "ausgerissene".
S2Z4 hat fünf Heber und eine Silbe zuviel bei "umgefallener". "bloß liegen wie" schreckliche Inversion!
S3Z1 beginnt betont.
S3Z2 beginnt betont.
S3Z4 - eine Silbe zuviel bei "unsere".


Vorschläge:

Was ehemals uns Schutz gewährte,
ward schnell zerfressen von Termiten.
Was immer man im Sein begehrte -
wie abgenagt gleich alten Riten.

Im größten Sturme biegsam, beugt
der Bambus sich in jedem Garten,
das Bild gefallner Bäume zeugt
von Schwäche unter allem Harten.

Alleine nur, was in Bewegung
sich ständig hält, wird überdauern
der Planke gleich auf schwanken Wellen,
und wachsend unter Regenschauern.

Die Zeit, sie wird zerteilt von kleinen Intervallen,
und nur schon lang vergangne Taten widerhallen.


So ergäbe das Gedicht auch inhaltlich mehr Sinn für mich (was sollen zB. die Zeilen S3Z3 und 4 bei dir eigentlich aussagen?), und es wäre metrisch korrekt. Nebenbei wäre auch jede Zeile gereimt.

LG, eKy

Hans Beislschmidt 03.10.2019 20:02

Hey Erich, jetzt wirst du mir langsam unheimlich. Seit zwei Tagen doktere ich mich an Jaspers Planke in den Wellen ab, bekomme nur abcb hin und du schüttelst schon wieder so ein Hammer raus. Dazu noch im abab Reim. Ich gehe mal davon aus, dass dir die metaphorische Aussage entgegen kommt, sonst hättest du ad hoc nicht so ein Ding gezaubert. Bravo, Bravo... ich würde das gerne übernehmen, weil es so umsichtig und gekonnt ist. Also gar nicht meinem Reimschema folgt. Ich muss mich erst rein finden.
Jetzt wirft die Heißluftfriteuse erst mal Pommes für die Jungs aus .... melde mich später noch mal ... Gruß vom Hans

Erich Kykal 03.10.2019 23:36

Hi Hans!

Ich kannte mal jemanden, der konnte mit wenigen Linien ein treffendes Portrait von jedem zeichnen. Ich kann zwar selbst sehr gut zeichnen, aber so eine Lockerheit und Sicherheit aus dem Handgelenk habe ich nie geschafft, und das mit so erstaunlichem Ergebnis - den Menschen so gut zu treffen, das Wesentliche herauszuschälen, und das in wenigen Augenblicken!

Auf die Frage, wie er das macht und wie lange er gebraucht hat, um es zu lernen, sagte er sinngemaß: "Ich weiß nicht, wie ich das mache, ich mache es einfach, und ich konnte das irgendwie schon immer. Ich habe kaum dafür geübt, es liegt mir einfach in der Hand. Ist für mich nichts Besonderes!"

Mir geht es mit dem Dichten ebenso: Ich muss mich nicht bemühen, es fliegt mir einfach so zu. Die Worte und Satzkonstrukte bilden sich wie von selbst. Für die Vorschläge oben habe ich ein paar Minuten gebraucht, und es hat Spass gemacht.
Ich weiß, andere staunen, aber für mich ist es eben ein Zufallsergenbis im genetischen Roulette, eine Gabe, die ich immer schon hatte, und damit nichts weiter Besonderes. Ich musste mir das kaum erarbeiten, bestenfalls etwas schleifen und verfeinern, und das war keine Arbeit, sondern Vergnügen. Sprache ist für mich wie ein endlos großer Legobaukasten ... ;)

Von daher ist mir jedes Lob, so gern ich es auch höre, auch immer ein wenig peinlich, weil ich irgendwie immer das Gefühl habe, ich hätte mich dafür eigentlich nicht ausreichend angestrengt, um es mir ehrlich zu verdienen. Es steckt kaum Aufwand dahinter: für meine Sonette brauche ich meist zwischen 10 und 20 Minuten, und ich würde das niemals als "Arbeit" bezeichnen - eher als eine Art Liebesakt mit der Sprache selbst.

Ich hoffe, ich bin nicht zu penetrant mit meinen Kommis - manche vertragen keine "Vorschläge", fühlen sich lyrisch bevormundet oder gar erniedrigt ... :rolleyes:

LG, eKy

Hans Beislschmidt 04.10.2019 10:57

Hey Erich, nein, du bist ganz und gar nicht penetrant und ich weiß das Angebot auch zu schätzen, was nicht heißt, dass ich dich unkommentiert die Arbeit machen lasse. �� .... ich erinnere mich noch sehr gut als vor ein paar Jahren die Autoren Danse, Oliver u.a. in der Lyrikwelt herumgeisterten und jeder jedem weißmachen wollte, was er für ein toller Hecht ist. So what? Ich glaube dir gerne dass du "Dein Ding" gefunden hast. Andere finden es nie.
Ich hatte jetzt etwas mehr Zeit, um mich reinzufinden.......

V1 behandelt den augenblicklichen Wandel auf den Feldern Masseneinwanderung, Islamisierung Umkehr der Werte, Neoglobalisierung, Verlust von Heimat, Sprache, Schutz und Sicherheit.
Dein Angebot ist gut, wenn auch die Ankerwörter Heimat und Sprache geopfert wurden. Das von dir eingesetzte " Sein" ist aber auch stimmig.
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V2 behandelt die zu Verfügung stehenden Gegenmaßnahmen dieses Wandels mit der Erkenntnis, dass es für eine Abschottung längst zu spät ist und nur die sieglose Anpassung bleibt. Flexibilität vs Kampf der Fronten, wobei der am Boden liegende Baum die Hoffnungslosigkeit des Kampfes darstellt und der Bambus schon von Konfuzius diese Eigenschaften angedichtet bekam.
Dein Angebot ist gut aber die Begrifflichkeit "Garten" klingt mir zu domestiziert oder ungefährlich. Bei "Harten" schlägt bei mir der männliche Sexismus durch und ich muss grinsen. Vielleicht gibt's noch andere Reimwörter.
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V3 Karl Jaspers hat seinen Existentialismus mit einer Planke in der Meeresdünung verglichen mit der Absicht, das Unstetige zum Stetigen zu machen und diesem keinen Erklärungsversuch oder Legitimation zuzubilligen. Insofern waren Planke und Wellen die Ankerwörter.
Dein Angebot ist gut, nur bei Regenschauern hab ich Probleme. Das klingt zu freundlich, als würde ein Schirm genügen, um das Problem aus der Welt zu schaffen. Es böte sich noch lauern oder erschauern an..
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V4 behandelt die Nichtigkeit von derlei Entwicklungen, Umstürzen, Verschiebungen, gemessen an der Erdenzeit und ihren Intervallen. Hier ist auch dein Angebot eindeutig stärker und flüssiger.
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Vielleicht fällt dir zu Harten und Regenschauern noch etwas anderes ein. Besten Dank für Zeit und Gedanken. Gruß vom Hans

Erich Kykal 04.10.2019 13:24

Hi Hans!

Ob du dich zuzeiten nicht ein wenig zu sehr in dieses Konzept von Ankerwörtern verrennst? Wer deine Gedankengänge dazu nicht direkt nachvollziehen kann (also eigentlich jeder andere), tut sich mitunter schwer damit, diese Begriffe in Relation zur gewollten Aussage zu setzen.
So kann ich zB als Leser beim besten Willen nicht erkennen, was eine Planke so unabänderlich mit der Thematik dieses Werkes verbindet, dass man sie unbedingt unterbringen muss. Dazu müsste ich wie der Autor Jaspers gelesen haben - und sein Buch mit genau diesem Gedicht in Verbindung setzen, und das nur mittels des einen Wortes aus einem Gleichnis, das sicher nicht für das ganze Buch steht. Zwei Gedankensprünge, die ohne das Insiderwissen des Autors selbst eigentlich völlig unmöglich sind.

Schadet die Ankerwörtertheorie der Aussagekraft von Werken also eher als dass sie nützt und unterstützt?
Wenn man Gedichte schreiben will, die für den Leser optimal verständlich und nachvollziehbar sein sollen, weil man ja einen Standpunkt oder eine Idee weitertragen möchte, sollte man sich gut überlegen, wie man so schreibt, dass es für den - eben nicht telepathiefähigen - Leser möglich ist, dem roten Faden zu folgen und die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Sonst bleibt man zwar stilistisch recht geheimnisumwittert und kryptisch als Dichter, aber keiner kapiert so recht, worauf man hinaus wollte.
Das obige Werk ist dafür ein gutes Beispiel. Nur mit deiner Erklärung im letzten Kommi ist es mir überhaupt möglich, deine Intention nachzuvollziehen. Und ich muss sagen, jede Strophe ist so überfrachtet mit Aussagen, die so drastisch herunterverdichtet sind zu wenigen Worten und Phrasen, dass man als Normaloleser beim besten Willen nicht kapiert, was das alles beinhalten soll.

Also - weniger ist mehr, möglichst klar umrissen in Aussage und Vermittlung, und Ankerwörter habe ich jedenfalls noch nie gebraucht. Dies zur Überlegung, allerdings ohne missionarischen Eifer meinerseits. Ich will nur Denkanstöße geben.

Wenn du natürlich nur für dich schreibst und dir egal ist, ob die Leser dich verstehen, dann betrachte diesen Kommi als obsolet. ;)

LG, eKy

Hans Beislschmidt 04.10.2019 14:18

Hey Erich, es ist sicher so, dass die telepathieunfähigen Leser Schwierigkeiten haben, zu erahnen oder wissen, worauf ich hinaus will.
Nachdem ich eine lyrische Pause von ein paar Jahren gemacht habe, macht es mir augenblicklich wieder Spaß. Dieser Umstand kommt durch Denkanstöße zustande, sei es jetzt ein Ärgernis, eine Erinnerung, eine Prophezeiung oder ähnliches.
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Die Ankerwörter liefern die Ausrichtung Kimme und Korn wie beim Schützen. Man verdichtet möglicherweise zu viel und glaubt jeder müsse es verstehen, was natürlich nicht der Fall ist. Der Vorwurf für sich selbst zu dichten mag wohl manchmal stimmen, andererseits erweitert sich der Interpretationsspielraum des Lesers und manch einer mag für sich eine andere Qualität entdecken, als man selbst.
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Muss leider zur Arbeit... melde mich später noch mal.... hier noch ein Wiki Link zu einem der bedeutendsten deutschen Philosophen .... Karl Jaspers

https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Jaspers

Moin moin ...
Habe V2 und V3 noch mal leicht überarbeitet- und eine gangbare Form des Kreuzreims gefunden. Ich werde die Schlussfassung in den Eingangspost stellen.
Das Umstellen hat wieder Anstöße für ein neues Poem ergeben ... ist doch was.
Ich habe in den Jahren viele Dichter kennengelernt mit jeweils unterschiedlichen Intentionen. Wenn per Saldo etwas entsteht, was sich und anderen Freude macht, ist es für mich in Ordnung. Für mich ist Schreiben eine besondere Art der Sinnstiftung, Zeit spielt plötzlich keine Rolle mehr und schnell ist ein halber Tag vorbei für ein paar Zeilen.
.
Ein Unding wäre es für mich allerdings in obiges Kollosseum zu steigen und Lyrikschaum zu schlagen. So hat eben jeder sein Faible.
Danke für Zeit, Gedanken und Anregungen. Gruß vom Hans


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