Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 25.01.2014 20:02

AgitaToren
 
So aufgeregt umflattern laute Worte
den Lauscher in der Menge, er versteht
den Furor nicht, den jener Redner sät
von geifernder, ereiferlicher Sorte.

Die Masse wogt, es heben viele Hände
sich zum verbal verordneten Beschluss,
dass nackter Zorn die Dinge ändern muss,
und nur Gewalt erzwingt die große Wende!

Der Lauscher schweigt, was sollte er auch sagen,
ein aufgeputschter Mob regiert das Feld,
begreift an Welt allein, was ihm gefällt
und will in Angst und Ärger um sich schlagen.

So sterben Herzbesonnenheit und Güte
in brausendem, ja donnerndem Applaus.
Ein Menschenhasser gibt Parolen aus
entsprechend seinem schwelenden Gemüte.

Du, Leser, glaubst, dies wäre überwunden
und käme hierzulande nicht mehr vor?
Der Mensch ist niemals klüger als zuvor,
und ewig Schuldige sind rasch gefunden!

Falderwald 26.01.2014 17:49

Servus Erich,

bei diesem Gedicht kamen mir beim Lesen automatisch Bilder aus unzähligen Nazi-Dokumentation in den Sinn.
Wie sie an ihren Rednerpulten standen und mit ihrer damals anscheinend überzeugenden Rhetorik die Massen begeistern konnten.

Und es ist letztendlich egal, wer seine Ideologie verbreiten will, denn trifft sie den Nerv der Zeit oder fällt in der richtigen Gesellschaft auf nahrhaften Boden, dann wird sie keimen, weil die Leute, vielleicht auch in Ermangelung oder Unterstützung eines eigenen, ein Weltbild fremder Gedanken annehmen und versuchen, dies umzusetzen.

Und es sind immer wieder einzelne Verführer, die ihre Ideologien verbreiten. Und wer nicht ganz davon überzeugt wird, lässt sich von der Menge mitreißen und schon ist es geschehen.

Das dies nicht alleine Bilder aus der Vergangenheit sind, zeigt die heutige Zeit ja in erschreckendem Maße.
Das geschieht auch heute noch durch jene, die durch politischen oder religiösen Wahn verblendet sind und ihren Intellekt dementsprechend einzusetzen wissen, also die AgitaToren.
Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Ethik und Moral bleiben dabei auf der Strecke, bzw. werden pervertiert, indem sie anders ausgelegt werden.

Das Gedicht ist eine kleine Mahnung an all jene, die glauben, so etwas käme heute nicht mehr vor.

In diesem Sinne hat es mir sehr gut gefallen.

Einzig in S4 / Z3 fiel mir auf, dass hier kein echter Reim verwendet wurde, den "vor" (Z2) und "zuvor (Z3) sind prinzipiell reimtechnisch und auch sinngemäß identisch.

Vorschlag (das kannst du ja noch selbst ändern, nur eine Idee):

Du, Leser, glaubst, dies wäre überwunden
und käme hierzulande nicht mehr vor?
Der Mensch bleibt ewig nur ein armer Tor,
und neue Schuldige sind rasch gefunden!

Es verändert die Aussage m. E. nur marginal, denn du willst ja an dieser Stelle aussagen, dass der Mensch niemals dazu lernt.
Hier aber hast du ganz klar einen Hinweis auf Goethes Faust, der ja im Prinzip dasselbe aussagt. "Habe, ach nun...studiert, jetzt steh ich da..."
Zudem zielt es ja auch noch auf den Titel zurück: "AgitaToren"
Und die "neuen" Schuldigen sind auch nicht von der Hand zu weisen, da in solchen Ideologien doch oft auf eine bestimmte Gruppe gezielt wird.
Das können natürlich auch "Schuldige" sein, die schon zuvor verfolgt wurden, jedoch sind wir in der letzten Strophe ja in der Gegenwart, während die anderen Strophen mehr reflektierend im Rückblick erscheinen.

Magst du dir ja einfach mal überlegen.


Das Gedicht wirft einen kritischen Blick auf die menschliche Gesellschaft, die unter bestimmten Bedingungen allzu leicht dazu neigt, verhängnisvollen, unbarmherzigen Ideologien zu folgen, wenn sie nur Besserungen oder Hoffnungen versprechen. Das ist die mögliche und egoistische Seite der Gesellschaft.


In diesem Sinne sehr gerne gelesen und kommentiert...:)


Lieeb Grüße

Bis bald

Falderwald

Erich Kykal 26.01.2014 18:55

Hi, Faldi!

In der letzten Str. hatte ich ursprünglich einen Reim auf "Tor", aber das Wort erschien mir dann allzu geziert, abgedroschen und altbacken. Der Gleichreim "vor/zuvor" war mir durchaus bewusst, er erschien mir aber erträglicher als der abgerittene "Tor". Ich werde nochmal drüber nachdenken...

Dein Eindruck von Nazireden trügt dich nicht. Der eigentliche Auslöser aber war eine Rede des aktuellen FPÖ-Parteichefs zu den Ausschreitungen zum sog. Wiener Akademikerball (Dieser Name ist eine Frechheit, denn früher hieß er "Burschenschaftsball", und das sagt eigentlich schon alles. Als die Demonstrationen gegen diese rechte Verbindungsbörse heftiger wurden, benannte man den Ball um.)
Keine Frage, die Autonomen und Stänkerer unter den Demonstranten hatten wieder mal deutlich über die Stränge geschlagen, vor allem nach Beendigung der offiziellen Demos kam es zu regelrechten Straßenschlachten mit der Polizei, die den Veranstaltungsort des Balles weiträumig abgesperrt hatte, wobei hoher Sachschaden in der Innenstadt entstand.
Die Zornrede des Parteifuzzis vor seinen Mit"freiheitlichen" am nächsten Tag aber erinnerte mich in Zügen an manche Hitlerrede aus den Dreißigern, sowohl inhaltlich wie im Tonfall! (Wirr wärrden diesäs Gäzücht im Namen derr gerrächten Sache hinwägfägen...usw.)
Gerade zum Ende der Ansprache hin steigerte er sich in seinen Furor hinein über diese frechen Demonstranten und überhaupt - und er hörte sich schon fast wie ein Adolfklon an! Nun, die FPÖ war nach dem 2. WK das Sammelbecken für alle ehemaligen Nazis (auch mein Vater gehörte dazu!), von daher ist dies vielleicht auch nicht weiter verwunderlich.
Die Diskrepanz von seinem Gerede von "demokratischen Werten" und dem dabei angeschlagenen Tonfall aggressiven Bessermenschentums veranlasste mich zu diesem Werk. Anderswo interpretierte es ein Leser als ein Gedicht gegen islamische Hassprediger - die Verwandtschaft liegt wohl nahe....:rolleyes:

Vielen Dank für deine Gedanken!

LG, eKy

Dana 27.01.2014 18:15

Lieber eKy,

die "AgitaToren" agieren wie eh und je.

Dein Gedicht gibt Geschichte und Gegenwart bestens umgesetzt wieder. Beim Lesen laufen beinahe "Tonfilme" ab.

Ja, sie agieren. Es muss nicht immer ein scharfer Ton sein.
Das "liebliche Werben" mit leeren Versprechungen und Wichtigkeiten, die "Besserwisserei" in Perioden des "Nichtdranseins" - sind nur neue "Mäntelchen".
Es geht immer nur um Macht und Geld. Nicht für das eigene Land, einzig für das Ego und das eigne Konto.
Man könnte an manchen Reden,Diskussionen oder besser gesagt an allen Plänkeleien verzweifeln.

Dickes Lob und liebe Grüße
Dana

Erich Kykal 27.01.2014 20:41

Hi, Dana!

Wie immer siegelst du den Faden mit der schlichten Wahrheit hinter all den Fassaden!:)

Vielen Dank für das Lob!

LG, eKy

Narvik 10.05.2014 07:26

Hallo Erich Kykal,

seien wir mal ehrlich. Was sind denn unsere heutigen Politiker?
Sie nennen es heute politische Aufklärungsarbeit und trotzdem ist dies oft nur Propaganda für bestimmte politische oder soziale Ziele.
Ich denke mir zwar, dass du hier eine andere Zielgruppe im Auge hattest, doch was ich eben schrieb, ist nicht von der Hand zu weisen.
Der einzige Unterschied zwischen jenen und jenen ist, dass die einen ihre widerlichen Parolen unverblümt ausgeben, so dass man sofort weiß, wessen Geistes Kind sie sind und die anderen sich hinter einer parlamentarischen Demokratie verstecken, um ihre Ziele an der Bevölkerung und am Wähler vorbei durchzusetzen. Das soll natürlich die Erstgenannten nicht in Schutz nehmen.
Ich wollte nur darauf hinweisen, dass der Begriff "Agitatoren" auch durchaus auf die anderen zutreffen kann.
Ein wichtiges Gedicht mit einer prägnanten Aussage.

Herzliche Inselgrüße

Narvik

Erich Kykal 10.05.2014 09:35

Hi, Narvik!

Vielen Dank für diese Ergänzung.

Du hast ja durchaus recht, aber mal ehrlich: Die sich bloß an mir bereichern wollenden Agitatoren sind mir am Arsch lieber als jene von vorn, die mich und meine Kinder lieber gleich abschlachten wollen, nur weil ich nicht denselben Blödsinn glauben will wie sie!!!:rolleyes:
Hier geht es um Extremismus der dümmsten und schlimmsten Sorte, um das Recht-haben-Wollen-und-Müssen um jeden Preis, um geifernde, vergiftende Hasstiraden, Aufrufe zu Massenmord, heulendes Gekreisch der Intoleranz und des religiösen Wahnsinns, aber auch darum, dass all dies letztlich nur Fassade und Bauernfängerei der Machtbesessenen ist, um die Unbedarften und leicht Beeinflußbaren (= nützliche Idioten!) in ihrem Sinne zu manipulieren.
Echt, da ist mir ein auf zu hohe Steuern schimpfender Politikus (wir alle wissen ja, dass er lügt und im Falle seiner Wahl die Steuern selbst erhöhen möchte!) wirklich lieber...;)

LG, eKy


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