Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 12.11.2014 13:08

Lebenwollen
 
Ein warmes Licht erglüht im letzten Laube,
das, gilbend schon, ein kahler Ast bewacht,
als wäre seine Pflicht noch nicht vollbracht
und Wirklichkeit nicht stärker als der Glaube.

Am alten Weinstock hängt die letzte Traube,
der heute eine letzte Sonne lacht,
beinahe so, als rege kein Verdacht
auf Winter sich, und keine weiße Haube

bedeckte bald die Zweige und die Reben,
so wie es kommen muss. Im Lauf der Zeit
will das Lebendige nur weiter leben

und wirft sein Atemholen nach den Tagen,
solang es möglich ist, und trägt sein Kleid
bis in den Sarg hinein, den sie ihm tragen.

Mr. @ 14.11.2014 07:21

Hallo Erich,

na, du traust dich was.

Herbst, Lebensherbst, Melancholie des Vergehens, alles schon so oft bedichtet. Gibt es denn da immer noch Platz für Neues, Unverbrauchtes? Na, die Aussage bleibt doch wohl immer dieselbe.
Aber der Pool an Möglichkeiten, daraus feine Poesie zu fischen, ist scheinbar unerschöpflich.
Dein schönes Sonett ist ein feines Beispiel hierfür. Obwohl es ja eigentlich ein trauriges, deprimierendes Thema ist, dieses Lebenwollen und Ignorieren des nahen Endes, so hast du es doch so schön in weiche Watte gepackt, als müsse man sich nicht allzu sehr davor fürchten. Will sagen, man könnte es auch viel krasser beschreiben: „Mach dir nix vor, lass dich nicht täuschen! Dein Ende ist nahe. Punkt! Aus! Basta!“
Ein paar Kleinigkeiten, an denen ein wenig ins Holpern kam:
Du bist der Fachmann in Grammatik aber hier kann man mit bösem Willen etwas falsch verstehen:

Ein warmes Licht erglüht im letzten Laube,
das, gilbend schon, ein kahler Ast bewacht,


bezieht sich das „gilbend“, so wie du es in den Satz eingebaut hast, nicht auf den Ast?

Würde ich beispielsweise "gilbend schon" durch "knorrig morsch" ersetzen, käme keiner drauf, dass das Laub gemeint ist.

will das Lebendige nur weiter leben

Hier hab ich arge Probleme mit der Betonung.

Ein Beispiel, wie es mir, nur „betonungstechnisch“ gesehen, flüssiger erschiene

will Lebendes nur immer weiter leben

Aber alles nur Kleinkram, der möglicherweise nur mich ein wenig störte, in einem ansonsten sehr feinen Sonett.

LG, Mr. @

Erich Kykal 14.11.2014 10:14

Hi, Mr.@!

Vielen Dank für deinen positiven Zuspruch!

Zu deinen Vorschlägen:

Der Einschub "gilbend schon" bezieht sich eindeutig auf das Laub: Blätter gilben, Äste nicht. Hier gebietet die Logik durchaus den korrekten Bezug.
Man könnte bestenfalls das "Licht" als Bezugswort missdeuten, aber das steht noch früher in der Vorzeile - da sehe ich weniger Gefahr.
Ich gebe zu, der Satz ist nicht optimal formuliert, aber ich musste das Reimwort eben irgendwie ans Zeilenende bringen.:rolleyes:

S3Z3 ist sicher auch nicht perfekt gestaltet, aber sie passt so in die Sprachmelodie des Textes, auch wenn man sozusagen einen Heber quasi verschucken muss (4.Silbe von "Lebendige").
Dein Vorschlag für S3Z3 hat leider einen betonten Auftakt, was für ein Sonett mit unbetonten Auftakten - na, sagen wir mal - suboptimal wäre!;):D

Dennoch vielen Dank für die Einwände - es findet sich immer eine Seite, von der man die eigenen Zeilen noch nicht betrachtet hat.:)

LG, eKy

Mr. @ 14.11.2014 11:59

Lieber eKy,

kann deine Anmerkungen gut nachvollziehen. Waren ja auch nur Lapalien.
Mit gutem Willen liest es sich auf jeden Fall rund und ohne Holpern.

Aber diese Erklärung finde ich putzig:

Hier gebietet die Logik durchaus den korrekten Bezug.

Lass dir das mal von deinen Pennälern sagen, wenn sie mal wieder haarsträubende Satzkonstrukte zu Papier gebracht haben. :D

Zu S3Z3 hatte ich keinen Vorschlag gemacht. Mein Beispiel ist nicht ansatzweise so poetisch schön formuliert, als dass es herein passen könnte. Bei dem Auftakt meines Beispiels hatte ich allerdings keine Schwierigkeiten. Ich lese ihn unbetont.

Ich hoffe doch nicht, dass dein letzter Satz im Kommentar so gemeint war: "Man kommt gar nicht drauf, wie blöd mancher Leser einen Text interpretiert!" ;)

LG Mr. @

Erich Kykal 14.11.2014 14:31

Zitat:

Zitat von Mr. @ (Beitrag 81883)
Lieber eKy,
Ich hoffe doch nicht, dass dein letzter Satz im Kommentar so gemeint war: "Man kommt gar nicht drauf, wie blöd mancher Leser einen Text interpretiert!" ;)

Durchaus nicht - ich meine das so wie gesagt: Zuweilen ist man selbst betriebsblind oder es fehlt ein spezieller Wahrnehmungsfilter - ich erfahre oft erst über die Rückmeldungen von Deutungsparallelen oder Metaebenen, an die ich selbst beim Schreiben gar nicht gedacht hatte.
Ich finde das gut, denn es erweitert den lyrischen Horizont.:)

LG, eKy


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