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Thomas 12.07.2011 12:32

Mein Engel - Eine Ballade
 
Ballade

Mein Engel

Mein Körper war von der Seele geschieden,
ich sah ihn am Boden liegen,
den Zebrastreifen, das Auto daneben,
und die Seele aufwärts fliegen.

Verwunderlich, wie ruhig ich war.
Den Kopf aufs Pflaster geschlagen.
Der Fahrer saß starrt und leichenblass
noch immer in seinem Wagen.

Es standen Menschen im Kreis herum,
begafften mich interessiert.
Ein Mädchen trat aus der Gruppe hervor
und hat meinen Körper berührt.

Ich sah sie fühlen an Hals und Brust.
Sie kniete sich zu mir nieder.
Sie strich mir sacht über die Stirn
und öffnete meine Lider.

Da kam ein Licht, so warm und hell,
wie ich es nie gesehen.
Ich sah, überstrahlend das warme Hell,
ein herrliches Wesen stehen.

Das Strahlenwesen rührte mich an,
da stand mein ganzes Leben
als Bilderbuch, alle Seiten zugleich,
ich sah es und stand daneben.

Das Wesen sprach mich freundlich an:
„Es ist noch nicht an der Zeit.
Geh wieder zurück.“ Doch es war mir so wohl
in der warmen Helligkeit.

Mein Körper war plötzlich wieder mir,
auch die Augen wurden mein.
Durch sie hindurch, da blickte ich nun
in zwei grüne Augen hinein.

Ich sah ihr Gesicht, es war durch das Haar
von rötlichen Strahlen umgeben.
Ein Lächeln, mit Sommersprossen geschmückt.
„Willkommen zurück im Leben.“

Die Füße der Gaffer standen herum.
Es kam der Krankenwagen.
Es kamen die Schmerzen. Es war sehr laut.
Ich wurde weggetragen.

Seit Tagen träum ich im Krankenhaus
von diesem schönen Gesicht,
vom Engel, der mir das Leben gab,
von grünen Augen und Licht.

Thomas 27.07.2011 10:20

Hallo Ida,

dein zustimmendes 'Ja' hat mich sehr gefreut. Mir selbst liegt das Gedicht am Herzen, weil es ein großes Problem unserer Zeit (informierte Teilnahmslosigkeit) auf eine eindringliche Weise anspricht, die manchen vielleicht doch ein wenig nachdenklich macht. Vielen Dank für deinen Kommentar.

Liebe Grüße
Thomas

fee 10.03.2012 13:01

grade im balladen-fieber, bin ich auf diese kleine perle gestoßen, lieber thomas,

und kann gar nicht verstehen, warum hier so gut wie nicht kommentiert wurde.
mich hat deine geschichte gepackt!
besonders toll diese strophe hier:

Zitat:

Zitat von Thomas (Beitrag 52699)
Die Füße der Gaffer standen herum.
Es kam der Krankenwagen.
Es kamen die Schmerzen. Es war sehr laut.
Ich wurde weggetragen.


erzählgedichte hinzubekommen ist gar nicht so einfach, finde ich (nachdem ich mich zwei-, dreimal daran versucht habe inzwischen). das hier ist dir sehr gelungen! stimmungsvoll und reich an bildern und mit feinem spannungsbogen.


sehr gerne gelesen!!!!


liebe grüße,


fee

Thomas 10.03.2012 17:35

Liebe fee,

vielen Dank, dass du meinen Engel gefunden, schön gefunden und durch deinen Kommentar aus der Versenkung gehoben hast. Der Stoff hält wahrscheinlich davon ab, dazu etwas zu sagen. Außerdem sind Balladen ziemlich out, was meiner Meinung nach an einer Verschiebung der Vorstellung von Lyrik liegt, welche den Lyriker zunehmend als einen in seiner Seele kramenden Einsiedler sieht, während Lyrik doch eigentlich die sozialste Form der Dichtkunst ist, und die Ballade gar nicht anders zu denken ist, als gesungene Minitragödie oder Märchen. Sie bedarf der Zuhörer und bringt sie implizit mit sich mit. Man schreibt bei Balladen also etwas gegen den Zeitgeist.

Liebe Grüße
Thomas

fee 10.03.2012 19:50

Zitat:

Zitat von Thomas (Beitrag 60807)
Man schreibt bei Balladen also etwas gegen den Zeitgeist.


da bin ich mir nicht so sicher, lieber thomas.


grade heutzutage, wo fantasy boomt, wird sich auch der märchen und der fabulierkunst wieder erinnert. die ballade ist nur inzwischen fast schon ausgestorben. man findet kaum welche unter forendichtern. und wenn, dann sind es oft halblustige teilchen, bei denen ich manchmal das gefühl habe, der autor wagte nicht, "allen ernstes" zu seiner ballade zu stehen - aus schlechtem gewissen? weil eigentlich viel zu lang? sozusagen eine zumutung für den lyrik-leser von heute? ich weiß es nicht.

sieht man aber, welchen absatz hörbücher mit vorgetragenen balladen finden, spricht das m.E. eine andere sprache.

vielleicht haben wir auch verlernt, heute noch beim gedichte-lesen uns selbst die dramatik dazuzuintonieren. wer hätte dazu auch noch die ruhe und die zeit, sich dermaßen auf ein gedicht einzulassen, das dann auch noch die vier-, fünf-strophen-grenze locker sprengt...

zeitgeist - überlässt man es ihm, das maß allen tuns zu sein, sähe die welt nicht so aus, wie sie heute aussieht, behaupte ich. ihm etwas entgegenzuhalten, in den strom der breiten, trägen masse steine zu platzieren, an denen sich wahrnehmung und denken verwirbelt, halte ich für eine wertvolle, wenn auch kaum lohnende betätigung. ;)


ich gestehe - mir ist ziemlich egal, ob ich mit einer ballade im "trend" liege oder völlig abseits. und - wie man sieht - es gibt sie: die menschen, die sie zu schätzen wissen - die balladen.


liebe grüße in den abend


fee

Thomas 10.03.2012 21:15

Liebe fee,

du hast recht, ich habe mich nicht klar genug ausgedrückt. Mein 'Zeitgeist' hatte sich mich auf die Poeten-Gemeinde bezogen. In der realen Welt ist es so, wie du sagst. Ist das nicht ein lustiges Paradox. Es erklärt einiges Bauchgrimmen der Poeten, danke dass du mich wieder daran erinnert hast.

Liebe Grüße
Thomas

fee 10.03.2012 21:21

Zitat:

Zitat von Thomas (Beitrag 60817)
Ist das nicht ein lustiges Paradox.



allerdings, thomas.

als solches empfinde ich es auch. :D


liebe grüße


fee


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