Gedichte-Eiland

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charis 12.02.2016 19:25

Die Wand
 
Dunkel kühlt die Sternenflut

Schlafend such ich deine Hand
Weiche Wangen an der Wand
Unsre wunden Fingerspitzen
spüren sich durch Mauerritzen
Willenloses Zu-dir-Streben

Willenloses Zu-dir-Streben
Weiche Wangen an der Wand
Spüren sich durch Mauerritzen
Schlafend such ich deine Hand
Unsre wunden Fingerspitzen

Unsre wunden Fingerspitzen
Schlafend such ich deine Hand
Willenloses Zu-dir-Streben
Weiche Wangen an der Wand
spüren sich durch Mauerritzen

Spüren sich durch Mauerritzen
Weiche Wangen an der Wand
Willenloses Zu-dir-Streben
Unsre wunden Fingerspitzen
Schlafend such ich deine Hand

Gleißend helle Sehnsuchtsglut

wolo von thurland 13.02.2016 08:18

Das rankt sich wie Jugendstil durch pastellfarbenen Stuck. Stil, nicht Kitsch, weil es einer strengen Ordnung unterliegt und sich auch im Ausdruck und thematisch einer strengen Selbstbeschränkung befleissigt. Ich suche aber noch vergeblich nach einem Schema in der Reimverschiebung von Strophe zu Strophe. Es könnte vielleicht ein Sinn darin liegen, dass die einzelnen Verse in der letzten Strophe sich am stärksten voneinander gelöst haben, eine gewisse Abkühlung, ein Zurücksinken in den Schlaf erfolgt oder auch im Gegenteil die Sehnsuchtsglut so sehr siedet, dass sich die Gedicht-Moleküle trennen...
Naja, was es für mich wirklich lesenswert macht, ist ausser dieser Unsicherheit über den "Schlussstand der Dinge" die völlige Unklarheit darüber, ob da ein Du überhaupt fassbar ist, ob es (örtlich oder ideell) anwesend oder unerreichbar ist, welche Mauern die Fingerspitzen wund machen, welche Wand von welchen Wangen berührt wird....
Bilanz: Ich mag den Jugendstil vor allem, wenn er sich in Ornamentik ergeht, mit Gustav Klimt kann ich weniger anfangen. Dein üppig-schlanker Text erinnert mich an eine sorgfältig geformte und bemalte (Jugendstil-)Blumenvase mit Ranken und Nymphe, welche in meinem Elternhaus stand. Das ist vielleicht ein weiterer Grund dafür, dass es mich anspricht.
Gelesen, gern gelesen, sehr gern gelesen... Such dir was aus.
Wolo

Erich Kykal 13.02.2016 12:54

Hi, Charis!

Ein guter Text, wunderbare, frische und erfrischend surreale Sprachbilder.

Allerdings nur für EINE STrophe. Warum es lyrisch sein soll, denselben Text in unterschiedlicher Zeilenabfolge noch dreimal zu wiederholen, anstatt sich neues anregendes Kopfkino einfallen zu lassen - was beim Verfasser so schöner Zeilen kein Problem sein kann - erklärt sich mir nicht, sorry.

Mag sein, dass dies eine anerkannte lyrische Form ist, mir allerdings sagt und gibt sie nichts. Ich las aber mit Genuss die eine Strophe, die dann leider von diesem eigenwilligen Schema durchgekaut und wiedergekäut wird.

Einstiegs- und Ausklangszeile sind auch sehr gut!:)

Gern gelesen - aber nicht alles!;)

LG, eKy

Agneta 13.02.2016 17:06

poetisch verfremdet, liebe Charis, denn durch eine Wand kann man ja nichts erfühlen oder ertasten.
Unpoetisch die Wand vielleicht zum Nachbarn,
poetischer gedacht die Unmöglichkeit, zueinander zu kommen als metaphorische Wand.
Die eine Strophe ist sehr stark, soll sicherlich durch die Wiederholung gewichtet werden.
Dennoch scheint mir das zu lang, da es auch keinem Schema folgt und teilweise die Subjekte als Bezüge mehrere Zeilen weit entfernt liegen.
So wirkt es auf mich eher nicht gewichtend, sondern befremdend.
Auch die Schlusszeile folgt nicht auf ein Spüren, sondern wie ein Knall auf das Schlafen.
Vielleicht ein Traum...
Ich hätte es kürzer gemacht oder mit einmal tauschen bewenden lassen.
Nun, vielleicht Geschmacksache.:Blume:
LG von Agneta

Bodo Neumann 13.02.2016 19:36

Hallo charis,

die Wiederholungen sind für mich gerade das Interessante an deinen Zeilen. Die einzelnen Verse für sich genommen sind gut, aber erst durch das Sich-im-Kreise-drehen der Gedanken kann der Leser begreifen, wie sehr und bedingungslos das LI begehrt. Und wenn man verstanden hat, dass sich alles Denken nur um den/die Eine(n) und um nichts anderes mehr dreht, dann muss man erkennen, dass man Jemanden auch durch geschlossene Wände ertasten und spüren kann (selbst wenn das Gegenüber noch nicht einmal von dieser Sehnsucht weiß).

Insofern stehe ich mit meiner Interpretation eher bei Wolo als bei Erich oder Agneta. Meiner Meinung nach sind deine Verse ein sehr, sehr gelungenes Beispiel für die den Inhalt unterstützende Kraft der Form in der Lyrik. Sowas hab ich mal gebraucht.:)

Über die Anzahl der Wiederholungen kann man sicher streiten. Aber bei insgesamt 120 verschiedenen Möglichkeiten, die fünf Verse anzuordnen, würde ich die vier vorliegenden Varianten auf jeden Fall maßvoll nennen. :D

lg Bodo


charis 14.02.2016 09:37

Liebe Wolo, lieber Eky, liebe Agneta, lieber Bodo,

Da hält sich die Kritik ja schön die Waage - wie ein umarmender Reim.;)

Ehrlich gesagt habe gedacht, dieser Text sei zu unzugänglich und würde gar keine Kommentare bekommen. Deshalb freue ich mich umso mehr über die große Aufmerksamkeit und die intensive Beschäftigung damit.

Herlichen Dank!

@wolo: In deinem Kommentar gibt es so einiges, was mich erfreut, , zb. "strenge Selbstbeschränkung", "...sich die Gedicht-Molküle trennen", "Unsicherheit über den Schlusstand der Dinge, ob das Du überhaupt fassbar ist". Ja, es stellt sich sogar die Frage, ob es da überhaupt zwei Protagonisten gibt.

Der Vergleich mit Jugendstil überrascht mich; ich mag diesen klare Ästethik der Alltagsgegenstände, Möbel und auch der Archithektur des Jugendstil sehr - noch mehr mag ich aber Art Deco; das ist also schon ein ganz wunderbares Kompliment. Danke!

Viel mehr als ihr kann ich auch nicht dazu sagen: Man kann es lesen wie man es will, ob es den eigenen Vorlieben entspricht oder nicht, in welcher Stimmung man ist, welche Erfahrungen mitspielen - wie jedes Gedicht eben.

Man kann sich darauf einlassen, sich angesprochen fühlen - wie wolo und Bodo - oder man kann es ablehnen - wie Eky und Agneta -, es als fade Wiederholung ohne Sinngehalt empfinden.

Alles ist hier möglich. zB auch wenn du, wolo, ein schema für die "Reimverschiebung" suchst. Die Form verführt dazu, ich weiß, es soll aber nicht aufgehen, (aber man darf/soll ruhig suchen bis man ansteht, was eine Art Befreiung sein kann - wenn der Intellekt an seine Grenzen kommt ;)) Nichts muss/soll hier aufgehen oder eine Conclusio finden. So ist doch das Leben und vor allem die Liebe letztlich oder?

Bodo, du hast da fein nachgespürt: "das Sich-im-Kreise-drehen der Gedanken kann der Leser begreifen, wie sehr und bedingungslos das LI begehrt. Und wenn man verstanden hat, dass sich alles Denken nur um den/die Eine(n) und um nichts anderes mehr dreht, dann muss man erkennen, dass man Jemanden auch durch geschlossene Wände ertasten und spüren kann (selbst wenn das Gegenüber noch nicht einmal von dieser Sehnsucht weiß)."
Ob man es kürzen könnte, weiß ich nicht. Ich habe aufgehört, als es für mich "fertig" war.

Zur Form noch eine Überlegung: Es ist eine Art Labyrinth. Ich habe hier wirklich versucht einerseits zu schreiben und andererseits zu "formen" (mit der von wolo erwähnten strengen Selbstbeschränkung); man muss es daher (also jetzt von der Absicht des Schreibers her) als Ganzes betrachten, vielleicht so wie wenn man von oben auf ein Labyrinth schaut, sonst endet man immer wieder an der Wand.

Lieben Gruß
charis


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