Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 06.01.2017 09:49

Schandfleck
 
Die Bettler stehen, wo die Menschen eilen,
am Rande ihrer Strömung wie Verfemte,
und wer sie wahrzunehmen sich bequemte,
blickt anderwärts und möchte nicht verweilen.

Sie sind der stumme Punkt in lauten Zeilen,
die gern so tun, als ob kein Satz je ende
und warten, recken heischend ihre Hände
ins Bad der Mienen, die nicht gerne teilen.

Die bleiben kalt und fühlen sich belästigt
von dieser Armut, die ihr Glück entheiligt.
Zum Schutze wird ein Vorurteil verfestigt,

das Gründe nährt, die Not zu ignorieren.
Man geht vorüber und tut unbeteiligt -
und fühlt doch tief, dass alle so verlieren.

Chavali 06.01.2017 17:15

Servus Erich,

eine Schande ist es, ja, dass es überhaupt Bettler geben muss.
Aber - es gab sie immer zu allen Zeiten, mal mehr, mal weniger, mal offener, mal versteckter.
Und nicht wenige tun es nicht aus Not...

Aber fast immer fühlt man sich peinlich berührt, egal, ob man was gibt oder sich abwendet.
Meine insgesamt 12 Jahre im Saarland haben mich auch einiges sehen und erleben lassen diesbezüglich,
was ich auch vorher nicht so in dem Maße kannte.

Insgesamt hast du die Szenerie anschaulich beschrieben.


Lieben Gruß,
Chavali

Erich Kykal 06.01.2017 18:20

Hi Chavi!

Du bringst es auf den Punkt: Das "Peinlich-berührt-Sein", egal ob man etwas gibt oder nicht - diese unangenehme Distanz zu sich selbst und zum Bild, das sich bietet, wenn wir mit dem konfrontiert werden, was wir nicht wahrnehmen wollen, weil wir uns durch das Betteln zu Unrecht genötigt fühlen, so als wäre es unsere Schuld, das dieser Mensch in so eine Lage kam, und wir verantwortlich dafür, seine Misere zu beheben!
So als zwänge er die Falschen, ihn wahrzunehmen - man ist im Moment dem Bettler geradezu böse, dass er einen mit seinem Anblick belästigt. Man fragt sich: Was hab ich damit zu tun?
Gerade in den Städten hat sich die früher selbstverständliche Solidarität unter den Menschen, das Zusammenhalten, weil ein Unglück jeden treffen kann, weitgehend aufgelöst. Man verlässt sich darauf, dass das staatliche soziale Netz die Bedürftigen schon auffangen wird und sieht sich so nicht mehr selbst in der Pflicht, Anteil daran zu nehmen. Dementsprechend empören wir uns dann, wenn "trotzdem einer so frech ist", uns die offene Hand hinzuhalten. Da gauben wir dann eher - und allzu gern - dass uns hier eine unlautere Show geboten wird, um unser Mitleid auszubeuten. Leider ist das auch immer wieder der Fall, wie man liest - wie soll man den Unterschied erkennen?
Ich selbst wurde mal von einem Mann in Lumpen angebettelt. Alles stimmte: Stinkend, unrasiert, wirres, fettiges Haar, schlechte Zähne. Nur die sauteuren neuwertigen Edelturnschuhe, die passten nicht dazu! Wäre der Mann wirklich in Geldnot gewesen, er hätte diese Nobeltreter längst verscherbelt!

Vielen Dank für deine Gedanken!

LG, eKy

Dana 10.01.2017 19:42

Lieber eKy,
Dein Sonett gibt alle Gefühle, die uns Eilende überkommen, sehr treffend wieder.
Peinlich berührt sein ist der Punkt, der stumme Punkt. Ich fühle mich nicht gut, wenn ich nichts gebe und auch nicht gut, wenn ich gebe. Beim Geben bin ich frei von Gedanken, ob da jemand wirklich in Not ist. Es ist eine ganz sonderbare Peinlichkeit eines gnädigen Wohlwollens dabei. Das, was ich gebe, erscheint mir zu wenig, ein Schein zu protzig. Es geschieht meist sehr eilig und verlegen. Ich habe noch nie gesehen, dass jemand diese Menschen anspricht und habe es selbst auch nie gemacht.
In nächster Nähe sieht man bei uns fast keine Bettler. Es fängt erst in Lübeck an. In Großstädten oder in anderen Ländern sind es beinahe "Massen". Als Tourist wirst du gemahnt, dich nicht darum zu kümmern.

Dein Gedicht kommt deshalb sehr gut an, weil es nicht wertet. Es gibt die Tatsache wieder und stimmt nachdenklich.

(Die teuren Schuhe würde ich nicht überbewerten. Die wurden ihm vielleicht von einem Wohlhabenden vermacht oder er hat sie im Container gefunden, ohne den Wert zu ermessen.;))

Liebe Grüße
Dana

juli 10.01.2017 21:03

Lieber eKy,
 
Die meisten Bettler möchten am liebsten unsichtbar sein. Ich weiß, dass es professionelle Bettler gibt, doch die meisten sind Obdachlos und durch alle Netze der Gesellschaft hindurchgefallen. Die Gründe dafür können die unterschiedlichsten sein. Und ich weiß von meiner Arbeit her, dass der Weg auf die Straße manchmal rasant gehen kann.

Meist gucken die Vorübergehenden durch die Armen hindurch, so als wenn diese nicht da sind. Und sie fühlen sich in ihrer Heilen Welt berührt oder gar angegriffen. Du hast die Situation der Bettler und der "Angesprochenen" genau beobachtet und sehr gut beschrieben.

Bei mir gibt es in der Nähe eine kleine Stadt. Früher kam ein Bettler immer mit seinem Schifferklavier und spielte in der Einkaufzone. Es kommt aus dem Osteuropäischen Raum, und er kam immer zur Winterzeit so um Weihnachten herum. Er wurde wohlwollend von der kleinen Stadt aufgenommen. Bekam ein kleines Holzhaus, dass offen war mit seinem Namen drauf. Seitdem ist er Angestellter der Stadt,und er musiziert offiziell für alle Vorübergehenden. Sein Hut steht als Kasse dort. Die meisten kennen ihn und nennen ihn beim Namen. Ich weiß, das ist die Ausnahme. Ich kenne auch Köln, dort gibt es Gebiete für Bettler und die verjagen sich, wenn einer nicht in seinem Areal ist. Bettler mit Kindern, da bin ich hilflos, und es rührt mich immer.

Ein Sonett, das die Situation beim Namen nennt, und dein Titel
" Schandfleck" macht wach und ich sage mir, wir leben in einer reichen Gesellschaft. Nun ja man kann nicht allen helfen und dann gehe ich weiter, manchmal mit einem mulmigen Gefühl und entscheide mich spontan für geben oder Nicht geben, mit dem Wissen, dass das Leben eines Bettlers ein Lotteriespiel ist und die Kreterien der Gebenden von deren Launen abhängt.

Liebe Grüße sy

:Blume::Blume::Blume:

Erich Kykal 10.01.2017 23:35

Hi Dana, Sy!

Beide tragt ihr mit euren Zeilen weitere Facetten der Problematik zum Gesamtbild bei!

Mir sind auch die Musikantenbettler am liebsten, da hat man wenigstens das Gefühl, eine Leistung zu bezahlen, auch wenn man sie nicht bestellt hat (was bei manchen Darbietungen auch nicht vorstellbar wäre).

Am unsympathischsten hingegen sind mir diese aufdringlichen, meist betrunkenen In-den-Weg-Steller, die nicht von Verzweiflung getrieben, sondern regelrecht aggressiv fordernd daherkommen, so als hätten sie ein Recht auf eine Zuwendung, und es macht sie regelrecht wütend, wenn man ihnen das ihnen aus ihrer Sicht Zustehende vorenthält! In schmerzfreier Distanzlosigkeit tatschen sie einen sogar noch an, verfolgen einen oder fluchen dem Spendenunwilligen auch noch lautstark und ordinär hinterher!

In solchen Momenten bedaure ich, kein Samurai im alten Japan zu sein: Da hätte sich sowas mit einem einzigen gnädigen Schwerthieb, der den Gescheiterten von seiner unhöflich aufdringlichen Jämmerlichkeit erlöst, erledigt! :rolleyes: - Okay, nur eine fiese kleine Rachefantasie für solche Belästiger, ich gebe es zu - aber in so einer Lage tut es unheimlich gut, an sowas zu denken, egal wie arm das Schwein sein mag, das einen da angrunzt und mit Schlamm spritzt!

Tja, auch diese Sorte Bettler gibt es nun mal ... da fällt es schwer, Ruhe zu bewahren und "menschlich" zu bleiben! :Aua

LG, eKy


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