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Feirefiz 17.05.2009 11:48

Nach: Die Wand
 
Die Wand
(nach: "Die Wand", Marlen Haushofer, 1968; der Text enthält wortwörtliche Zitate)


Die Zeit ist das einzige, das die Wand durchdringt.
Sie fällt wie die Sonne auf das Gesicht der Frau. Sie ist das erste Grollen über ihr.
Zeit kriecht ins Ofenloch, schmiegt sich an und legt sich schlafen.
Die Zeit und die Frau sind sich Katz´ und Hund: Sie haben sich arrangiert.
Die Zeit ist ein junger Stier, der über den Wiesen im feuchten Morgen glänzt.
Zeit ist die Milch der Welt und die Frau wagt es nicht, sie zu verschütten.
Die Zeit ist eine nutzlose Quälerei und ein rascher, schmerzloser Tod.
Zeit fliegt vorbei und findet sich wochenweise, wortweise auf dem Papier wieder, wo sie von
Katzen schnurrend aufgesogen wird.
Dadurch hält sie an, die Zeit.
Und dahinter gibt es sie nicht einmal mehr.
Da ist nur Asche, wo das unbeschreiblich Befreiende geschah.

Die Frau kann die Natur nicht kontrollieren und beherrscht doch mehr sie als sich selbst.
Die Natur ist es nämlich, die das Tier erschlägt, graugelb und hässlich.
Und der Schrecken der Nacht ist nur für heute verflogen.
Schon Morgen wird sich sein wucherndes Haupt wieder über den Bergen zeigen.
Die Natur ist sich selbst zugleich Rätsel und Beute.
Morgen nimmt sie, was sie heute gegeben.
Aber sie hinterlässt nicht Asche, sondern, unter dem Laub des Herbstes,
den neuen Tag.
Wer in der Natur lebt, ohn´ Schutz vor ihren zweifelhaften Geschenken und Gestirnen,
der vergeht an ihr.
So, wie sich die Frau verjährt und vergibt.
So, wie sie aufhört, ein Mensch, ein Held zu sein.

Sie hat sich einst selbst mit frischen Zweigen abgesteckt.
In ihr wohnen nur Dinge, denen sie Namen geben kann.
Dahinter ist Asche, aber das Feuer brennt in ihr.
Weil sie sich nicht rechtzeitig erschossen hat, leistet sie jetzt Anderer Gewähr.
Ihr bringt das Heu nichts ein, aber diese Bürde muss sie ziehn!
Denn NIEMAND kann hier fortgehen mit wehendem Haar!
NIEMAND kann sich unter dem Boot durchgraben, in dem sie sitzt!
...
Sie zündet eine Kerze an und schließt die Läden,
müde und froh.
Ihr Leben teilt sich und findet sich wochenweise, wortweise auf dem Papier wieder, wo es von
Katzen schnurrend aufgesogen wird.
Doch sie lebt weiter.
Und das Unglück bleibt weiter ungeteilt.


(Dieser Text darf verschoben werden!)

a.c.larin 17.05.2009 18:19

lieber feire,

Als ich zum ersten Mal "Die Wand" las, hinterließ das in mir auch einen bleibenden Eindruck! Diese Totalität des Zurückgeworfenseins auf sich selber
berührte mich in einer sehr eigentümlichen Weise!
Es gibt mittlerweile noch ein Buch , in dem eine einzelne Person so auf sich selbst gestellt zurückbleibt: "Die Arbeit der Nacht" von Thomas Glavinic.
Man kommt ins Grübeln.
Der Mensch als soziales Wesen WILL sein Glück oder Unglück geteilt wissen.
Das liegt schon einmal daran, dass wir, biologisch betrachet - Säugtiere sind.
Und das Säugetiergehirn ist von Anfang an auf das Du hin programmiert.

Kein Wunder, dass die Dichterforen boomen - bei uns Schreiberlingen ist ja die kommunikative Ader besonders dick angeschwollen....

gerne gelesen und geantwortet
larin

Feirefiz 18.05.2009 08:28

Liebe larin!

Es freut mich sehr, dass dir mein "Gedicht" gefallen hat - es reimt sich ja nicht einmal!
Außerdem finde ich es wirklich beeindruckend, dass du hier Glavinic´ "Arbeit der Nacht" ansprichst, denn bei diesem Buch handelt es sich so ziemlich um meinen Favoriten der letzten 5-10 Jahre!
Jetzt wo du es erwähnst fallen mir auch die Parallelen ein bisschen schärfer ins Auge, aber vor allem muss ich an diese eine totgruselige Szene denken, in der Jonas aufeinmal im Schlaf aufsteht und....dann passiert wieder - Nichts!

Uuuuuuuh!
Schlotternde Grüße
Fürchtefiz

Chavali 18.05.2009 08:50

Lieber fiz,

eine interessante Abhandlung über den Umgang mit der Zeit, die immer ein literarisches Thema wert ist,
habe ich hier von dir gelesen.
An der Umsetzung habe ich nix auszusetzen, entscheidet doch immer der Leser, ob ihm solche Stücke gefallen.
Dennoch erlaube ich mir einige Anmerkungen:
1. ein wenig zu oft das Wort ZEIT verwendet.
2.
Zitat:

haupt
wird großgeschrieben.
3.
Zitat:

ohn´
Elision weglassen - ist ohnehin unbedeutend, da du nicht auf Silben achten musst.

4. falsche Rubrik - kein Gedicht.
Deshalb nehme ich deine Bitte zun Anlass
Zitat:

(Dieser Text darf verschoben werden!)
diesen Text zu den Kurzgeschichten zu verschieben.


Lieben Gruß,
Chavali

Feirefiz 18.05.2009 09:17

Liebe Chavali,

vielen Dank fürs lesen und fürs Verschieben (und fürs Verbessern!)

Dein "Haupt" habe ich selbstverständlich gleich übernommen!

Dass "Zeit" so oft genannt wird, ist kein Zufall, außerdem ist die Zeit nicht das einzige Thema meines Textes.
Während die erste "Strophe" von "Zeit+Frau" beherrscht wird,
sind es in der zweiten "Natur+Frau".
In der dritten wird dann nur noch "Sie" gesagt. Das soll kryptisch wirken.:)

Auf die Elision, es wundert mich selbst, kann ich nicht verzichten. Frag mich nicht warum.

Danke für deine Hilfe und liebe Grüße
Fehlerfiz


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