Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 09.02.2017 16:48

Der Becher des Lebens
 
Der Oberflächliche muss immer kreisen
entlang des Randes seines vollen Bechers,
versagt sich die Erfüllung jedes Zechers,
die Tiefe des Getränkes zu bereisen.

Die volle Traube wird er niemals schmecken,
verliert sich in Vermutung. Die Genüsse
erlebt er nur wie nie getrunkne Küsse:
Sie können sein Begehren nicht erwecken.

Er stößt zwar an und lacht mit froher Runde,
doch ahnt er nichts vom trunkenen Erleben,
das nur die Trinkenden einander geben!

So bleibt er durstig nur zurück und nüchtern
und gibt von brav Gelerntem knöchern Kunde
und bleibt sein Leben lang allein und schüchtern.

Dana 09.02.2017 19:39

Lieber eKy,

das ist sehr, sehr schön. Die Metaphern hätten nicht passender sein können, zumal auch eine kleine Doppeldeutigkeit am Rande erscheint.
Ich hatte gleich jene mir bekannten Menschen im Kopf. Für sie ist alles eine Art Qual. Sie balancieren mechanisch durchs Leben und bleiben leer.
Wahrhaft traurig und düster für sie.

Liebe Grüße
Dana

Erich Kykal 09.02.2017 20:19

Hi Dana!

Eigentlich wollte ich ein Gedicht über oberflächliche Menschen schreiben, und so beginnt es denn ja auch. Aber mit Fortgang des Prozesses wollte mein Unterbewusstes wohl anderwo hin und verlieh der eingangs erwähnten Oberflächlichkeit einen anderen Kontext, nämlich das Nicht-Eintauchen-Können ins Intensive des Lebens, das Sich-einfach-Hineinwerfen-Können in Erleben und Ausleben!
Vielleicht weil man Angst hat vor Verletzung, vielleicht weil man gehemmt ist, von rigider Erziehung indoktriniert oder unsicher bezüglich möglicher Folgen. Manche fürchten jeden noch so kleinen Kontrollverlust, andere ekeln sich vor zuviel Nähe, sowohl geistiger wie auch körperlicher. Und manche gibt es wohl, da ist es all das zusammen! :rolleyes::Aua:o
So verbringen sie ein Leben sozusagen im Warteschleifenmodus, wohl wissend, dass es nie einen Kontakt geben wird, weil sie selbst die Verbindung zum Tower gekappt haben ...

Vielen Dank für deine einfühlenden Gedanken! :)

LG, eKy

Laie 10.02.2017 10:33

Hallo eKy,

sehr gut beschrieben!

Ich finde mich an vielen Stellen deines Gedichts und deines Kommentares wieder. Einige Erlebnisse zu Beginn meiner Gymnasialzeit haben dazu geführt, dass ich lange Zeit sehr schüchtern und unsicher war. Mittlerweile kann ich schon ein paar Runden in meinem Becher schwimmen :D


Gruß,
Laie

Terrapin 10.02.2017 11:50

Hey Erich!

Hier hast du eine tolle Metapher gelungen im ganzen Sonett ausbreitend dargestellt und zielführen zu Ende genutzt. Sowas mag ich. Ganz kykalsch!
Sprache und sonstige Qualitäten bei Dir müssen wohl kaum unter die
Lupe genommen werden.
Gern gehabt. Terrapin.

Erich Kykal 10.02.2017 12:36

Hi Laie, Pinni!

Es geht wohl (fast?) jedem so, dass er eine Zeit im Leben hatte, da er sich unvollkommen und mangelhaft empfand und darob scheu und zurückhaltend war.
Manchen bleibt dies ein Leben lang, und sie müssen um jeden Schritt ins Erleben kämpfen, vor allem, wenn sie von Menschen verraten oder sonstwie enttäuscht wurden.

Ich bin ein solcher Mensch: isoliertes Einzelkind mit sozialen Defiziten, immer der kleinste und dickste in der Klasse, Brillenträger, gekleidet in den Modegeschmack von Pensionisten (alte Eltern) - ein echter Freak/Nerd, nur dass man diese Worte damals noch nicht kannte.
Entsprechend niederschmetternd war dann über die Jahre meiner Schulzeit auch mein sozialer Werdegang. Das perfekte Opfer: trotz aller äußerlichen Mängel war ich mir meiner Klugheit und geistigen Überlegenheit über die meisten meiner Mitschüler bewusst (auch wenn meine Noten das nie bestätigten) und ließ sie, die mich über Jahre quälten, dies auch spüren, wo ich konnte: meine einzige Möglichkeit, Selbstwertgefühl aufzubauen in diesem täglichen Spießrutenlauf der Demütigungen und Gehässigkeiten.
Mein Zynismus machte mich bald zum "Klassenkasper", und mein Mundwerk war gefürchtet. Dennoch blieb ich immer - bis zum Abitur! - der verachtete Sonderling, der kleine Fettsack mit Brille in Omaklamotten, der im Turnunterricht immer als letzter gewählt wurde (unter Augenrollen und Gestöhne), und dem man seine Arroganz neben den üblichen Erniedrigungen auch gern mit Prügeln heimzahlen konnte.
Sowas kann einen schon für's Leben prägen, und Teile davon schleppe ich bis heute mit mir herum. Es hat Jahrzehnte gedauert, mich endlich aus dieser Umklammerung der Niederlage zu lösen. Vertrauen zu den Menschen habe ich nie wieder in dem Maße gefunden, dass ich enge Bindungen eingegangen wäre. Zu tief saß mir das fingerzeigende schallende Gelächter meiner Kindheit und Jugend in der Seele.

Als Teenager führte ich eine "schwarze Liste" mit einer stets aktualisierten Rangliste all jener, denen ich später eine hochnotpeinliche Todesart durch meine Hände zugedachte, weil sie sich meinen glühenden Hass redlich verdient hatten!
Heute trage ich niemandem mehr etwas nach - wir waren jung und stocherten erst unwissend im Leben herum, und so etwas wie Gnade der Weisheit war unbekannt und wurde auch nicht erwartet. Zum Teil war es ja auch meine eigene Schuld, dass ich nie aus diesem Teufelskreis herausfand.

Fazit bleibt jedenfalls, dass ich prädestiniert bin, derlei zu verstehen. Zuweilen begegnet mir ein Schüler, der dieselben - oder sehr ähnliche - Fehler macht wie ich damals. Bist du erst mal in dieser Rolle des allumfassenden Sündenbocks, bleibt dir kaum etwas anderes übrig als allumfassende Verachtung im Gegenzug, und solch aufgesetzte Selbstverteidigungs-Hybris schmeckt natürlich den anderen nicht - und schon ist man auf der Spirale abwärts!
Die schulischen Leistungen rasseln dann ähnlich in den Keller, denn wozu sollte sich jemand mit zerschmettertem Selbstwertgefühl um sich selbst bemühen? Und alles, schlechte Noten und Verachtung, der Kummer, den man den Eltern macht, die Enttäuschung in ihren Augen und in denen der Lehrer - all das gerinnt irgendwann zu einer täglichen Hölle aus Depression, Tränen, Selbstisolation und Selbstverachtung, die einem irgendwann wie selbstverständlich wird, so als könnte das Leben gar nichts anderes sein, wenn man groß wird.

So kann es denn geschehen, dass man ein Leben lang lieber an der Oberfläche bleibt - vielleicht bestenfalls mal den Zeh reinsteckt oder - wenn man geschubst wird, pflichtschuldigst mal ne Runde im Becher schwimmt. Aber letztlich bleibt man lieber trocken, weil das weniger weh tut.

Wie gesagt - derlei kenne ich aus erster Hand. Darum bemerke ich es auch oft an anderen und kann es verstehen. Die Gründe mögen andere sein - kein Schicksal ist das gleiche, aber die Konsequenzen ähneln sich. Ein Sprichwort sagt: Nur der leidende Dichter kann Großes schaffen!
Vielleicht - nur vielleicht - stimmt das sogar ...


LG, eKy

Falderwald 11.02.2017 21:02

Servus Erich,

das ist gut und lyrisch geschrieben und es gibt an Form und Sprachhandhabung nicht das Geringste auszusetzen, aber mir persönlich erscheint dieser Text so grundlegend negativ.

Er bleibt zwar treffend beschreibend für einen bestimmten Typen und Protagonisten, doch ich habe eine ganz andere Lebenseinstellung, weil ich glaube, da ist nichts und niemand, was unser Schicksal steuert, bzw. wenn doch, so kann das nur das Zusammenspiel aller Kräfte des bekannten Universums sein und daran kann ich sowieso nichts ändern.

Dieser Text klingt quasi wie ein Hilferuf: Seht diesen armen Protagonisten! Er ist zwar dabei, aber eben nicht richtig, denn während alle anderen aus dem vollen Becher des Lebens trinken, gelingt es ihm nicht, ein paar ordentliche Schlucke davon zu nehmen. So muss er ewig darben.

Immerhin erkennt er sich selbst als oberflächlich, was jedoch nicht als Entschuldigung dienen kann, denn die Selbsterkenntnis ist der erste Schritt, wenn man nicht mit seinem Schicksal zufrieden ist und die anderen beneidend betrachtet.
Jeder hat es selbst in der Hand und selbst wenn bisher alle Versuche gescheitert sind, so sollte man nicht aufgeben, denn aufgeben heißt in diesem Falle sich selbst aufgeben und dann ist das Leben sowieso sinnlos.

Aber wie gesagt, das ist meine Sicht auf die Dinge, jeder ist da anders.

Also, das ist ein düsterer Text, der somit sein Ziel erreicht, allerdings auch meinen kleinen persönlichen Widerspruch geweckt hat, weil ich das Leben niemals so betrachten könnte und ich immer denke, dass ich zwar die Welt nicht aber mich selbst schon verändern kann.
Und mit einem anderen Blickwinkel sieht die Welt manchmal ganz anders aus.

Meine Erfahrung...;)


In diesem Sinne gern gelesen und kommentiert...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald



Erich Kykal 11.02.2017 21:26

Hi Faldi!

Bezüglich deiner Sicht des Textes muss ich hier fragen: Hast du meine Antworten auf die Kommentare der anderen hier gelesen?

LG, eKy


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