Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 31.01.2015 11:38

"Moderne" Lyrik
 
Wie kam's, dass sie nicht länger Freude fanden
an edler Sprache, am erhabnen Wort?
Wer nahm die Schönheit aus Gedichten fort
und machte eine Kunst damit zuschanden?

Wer tilgte alle Größe des Gefühlten
aus zärtlich Klingendem und Harmonie
um kleinlicher Effekte willen, die
abstrakt das Ohr der Lauschenden zerwühlten?

Modern sei alle Kunst! - ging die Parole,
und man erschuf ein neues Mittelmaß,
ein krummes und verkümmertes Gejohle!

Enttäuscht, wer fürder unter Hörern saß,
denn nur dem Ehrgeiz, nicht dem Wort zum Wohle
schrieb nun ein Dichter, der den Reim vergaß.

wolo von thurland 31.01.2015 11:55

Guten Morgen Erich

Möchtest du nicht das "kleinlich" durch "peinlich" ersetzen? Einfach um der sauberen Semantik wegen.

Wenn schon, denn schon!

Der Satz "Effekte zerwühlten abstrakt das Ohr" ist so goldig "krumm" und dem "Effekt" verschrieben, dass ich ihn so stehen lassen würde als abschreckendes Beispiel. Ausserdem beinhaltet er eine grosse Hoffnung: Das hier und im weiteren gebrauchte Präteritum signalisiert, dass dieses Elend vorüber ist. Oder will es andeuten, dass die "Moderne" längst durch die noch schlimmere "Postmoderne" usw. abgelöst wurde? Beklagst du demnach quasi die schwarze Quelle dessen, was heute noch schwärzer aus den Lyrikbänden sprudelt? Schlägt die Waage mehr zur Hoffnung hin oder zum "Damals fing das alles an" hin aus?

Gruss
wolo

Erich Kykal 31.01.2015 12:35

Hi, wolo!

Wie (fast) gewohnt erkenne ich in deinen Worten nicht so recht, ob du mir eigentlich nun beipflichten, mich verarschen und herabwürdigen - oder beides zugleich willst!

Willst du dich so rechtlich gegen Einsprüche absichern? Nun, deinem Gedicht vom Schnörkelmonster entnehme ich mal frech, dass dein Kommi sich eher zynisch negativ über mein Gedicht äußern will. Verzeih, wenn ich mich täuschen sollte, aber im nämlichen Fälle fände ich eher deine obige Reaktion sowohl "kleinlich" als auch "peinlich".

Achselzuckende Grüße, eKy

Dana 31.01.2015 20:13

Lieber eKy,

vorab zum Anliegen:
Sehr schön lyrisch in Sonettform dargebracht und alle angesprochen, die Poesie lieben bestätigt. :Blume:
Ob jene Schönheit denn veraltet ist und einer Moderne bedarf, soll die Moderne erst beweisen. Nichts ist so wandelbar wie Schönheit in/zur Zeit, im Gegesatz zur Poesie, die es vermag, länger darüber zu stehen.

Ich fände eine "Geschmacksdiskussion" darüber auch viel besser und konstruktiver, wenn zumindest wir hier (du, wolo) nicht so bedeckt arbeiten würden. Traurig ist, dass ich auch nicht weiß, ob du es wirklich so meinst, wie eKy es entziffert. (Ein Zeichen der Moderne?)

Ich höre oft Radio mit Vorträgen und Kommentaren zu moderner Lyrik. Darunter gibt es einige, die mir wirklich gefallen. Ich habe allerdings aufgrund der "Berichterstattung" für mich selbst nicht erkannt (evtl. nicht erkennen können), was mich mehr beeinflußt hat. Solche "Probleme" hatte und habe ich bei einem Gedicht "herkömmlicher" Art nicht.
Beim Darstellen und Hinterfragen scheint es mir einfacher, Sätze in Verse zu stellen. Eine Reimnotwendigkeit wird eh nicht beansprucht. Darum geht es nicht.

Noch (es mag einzig an mir liegen) liebe ich Gedichte, die solche sind. Deine und Deines sind eins davon.
Die Geschichte lehrt uns je: Wir überdauern uns in Sichtweisen, indem wir uns immer und immer wieder überholen und überdauern. Poesie ist darin die kleinste Ausnahme.

Liebe Grüße
Dana

Erich Kykal 01.02.2015 01:51

Hi, Dana!

Ein Auszug:

Hugo Friedrich: Die Struktur der modernen Lyrik, 1956

"Moderne Lyrik nötigt die Sprache zu der paradoxen Aufgabe, einen Sinn gleichzeitig auszusagen wie zu verbergen. Dunkelheit ist zum vorherrschenden ästhetischen Prinzip geworden. Sie ist es, die das Gedicht übermäßig absondert von der üblichen Mitteilungsfunktion der Sprache, um es in der Schwebe zu halten." (, 1956 S.178)

"Die Deutung eines modernen Gedichtes sieht sich genötigt, sehr viel länger bei seiner Aussagetechnik zu verweilen als bei seinen Inhalten, Motiven, Themen. (...) Die Energien drängen vollständig in den Stil. (...) Mit seinen Unruhen, Brüchen, Befremdungen zieht der abnorme Stil die Aufmerksamkeit auf sich selber." (S.149)

"Mit dem Willen zur Dunkelheit stellt sich das Problem des Verstehens ein (...), das Gedicht gerät durch den Leser in ein neues Bedeutungsspiel, das sein eigenes Recht hat. (...) Der Begriff des Verstehens ist dem Begriff des Weiterdichtens gewichen - Weiterdichten durch den Leser." (a.a.O.)


Ich gebe zu, dieses Wissenschaftsdeutsch hört sich NOCH schlimmer an als das von ihm Beschriebene, aber darüber sollte man in diesem Fall hinwegsehen.:D

LG, eKy

Thomas 01.02.2015 10:04

Lieber Erich,

es gibt viele solcher Zitate. Warum sollte man sie lesen? Wenn man wissen will, wie das mit dem Menschenmachen geht, dann sucht man doch besser nach einem, der sein Instrument zu gebrauchen weiß, als nach einem, der mit seinem kalten Skalpell Leichen zerlegt. Oder anders, wenn ich einen gut gemachten Songtext höre, lerne ich mehr über Lyrik, als aus tausend Seite solcher akademischen Literaturfurzereien.

Liebe Grüße
Thomas

P.S.:
"Mit dem Verzicht auf... die Singbarkeit ihrer Texte haben sich die modernen rein literarischen Lyriker in ein künstlerisches Getto von bewundernswert hohem Niveau und sprachlicher Sensibilität begeben und sich zugleich den Markt weitgehend abgeschnitten." Bernhard Asmuth, Aspekte der Lyrik, 1972

(Unter "Singbarkeit" versteht er wohl etwa das, was du an lyrischer Sprach schön findest.)

P.P.S.: Ich lese Wolos Schnörkel-Spaß nicht als gegen dich gerichtet. Mir selbst begegnet das Moster auch bisweilen.;)

Erich Kykal 01.02.2015 12:01

Hi, Thomas!

Ich habe es nicht als "gegen mich gerichtet" empfunden (bestenfalls gegen meine Überzeugung), bloß daraus geschlossen, dass sein mehrdeutig formulierter Text hier in diesem Faden eher sarkastisch als beipflichtend gemeint war, also im Endeffekt abwertend. Ob er sich durch mein Werk angegriffen gefühlt hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Vielleicht missinterpretiere ich seinen Kommi auch, aber dann liegt es wohl daran, dass er ihn so verschiedentlich auslegbar gestaltet hat.

Klar gibt es viele solche Zitate auf beiden Seiten der Medaille, und ich habe den Text in meinem Kommi ja darob schon relativiert. Mir persönlich genügt, dass ich an der modernen Lyrik nichts finden kann, was mein Herz erwärmt oder meinen Geist beflügelt. Es mag an meiner Musikalität liegen oder an meiner Art, Sprache wahrzunehmen - Klang, auch Gleichklang, und Melodie der Sätze sind mir eben besonders wichtig.
Alles andere mag ich nicht als Lyrik bezeichnen, eher als mehr oder minder gelungene Strukturprosa. Sie mag inhaltlich und von der Wortfindung, den Sprachbildern und der Aussage wunderbar sein - ohne die zitierte "Singbarkeit" ist es für mich keine Lyrik. Ein Definitionsproblem.
Ich spreche dieser modernen Sprachhabung aber mitnichten ihr Existenzrecht ab, das mich eigentlich gar nicht interessiert, weil ich derlei gar nicht mehr lese (habe ich zur Genüge, um zu wissen, dass ich sie nicht mag!).
Was mich eigentlich so ärgert ist, dass die reimlosen Autoren diesen Begriff, nämlich "Lyrik", ebenfalls für ihr Schaffen in Anspruch nehmen - das steht ihnen nach meiner Auslegung nicht zu! Hätten sie sich von vornherein einen eigenen Sammelbegriff für ihr Sprachschaffen gesucht, gäbe es für mich keinerlei Problem (weil ich dann hier in den Lyrik-Foren nicht ständig drüberstolpern würde!). Aber ihr Werk (mit sehr wenigen Ausnahmen!) allgemein ebenfalls als "lyrisches Schaffen" bezeichnen zu sollen, werde ich (ganz für mich persönlich) niemals hinnehmen!

LG, eKy

wolo von thurland 04.02.2015 21:43

zunächst hallo thomas

danke für deinen beitrag. ich denke, jeder, der (gedichte) schreibt, kennt dieses schnörkelmonster. wenn ich ihm im obigen text an gewissen stellen "erlegen" bin, dann natürlich mit absicht (was nicht ausschliesst, dass ich ihm an anderen stellen unabsichtlich auf den leim gekrochen sein kann). ich glaube aber kaum, dass man da irgendwie speziell den erich kykal erkennen könnte, obwohl ihm möglicherweise auch so ein monster bei gelegenheit über die schulter guckt.

dass ein schreibender meinen text als gerichtet empfindet, kommt sicher daher, dass ich, wenn ich kommentiere, höchst selten in lob ausbreche, sondern meist punkte anführe, welche in meinen augen das vermeintliche kunstwerk ganz schön fleckig machen.
damit komme ich zu:

hallo erich kykal

ich schreibe gedichte. ab und zu lese ich auch welche. was von goethe oder schiller, auch mal was "modernes". und da stosse ich immer wieder auf stellen, wo der schreiber sich nicht auf eine klare aussage festlegt. ich hielt das für zu einem gedichteschreiber passend.
nun aber entschuldige bitte, dass ich so geschwurbelt habe, ich will das gut zu machen versuchen durch einen neuen kommentar, der den ersten ersetzen möge:

kommentar zwei:

gesamteindruck: der form nach flüssig in iamben gesetztes sonett, mit alternierenden m/w-kadenzen. ab der hälfte etwa auch mit ein paar cäsuren rhythmisiert.

stilistisch sehr schillernd, ohne klare linie. teils zuflucht nehmend zu phrasenhafter emphase (bsp. z9) oder syntaktisch wie semantisch „krumm“ gedrehten dingern (bsp. z7/8), teils auch schlicht anfängerhaft mit einem „man“ auf der ersten hebung der zeile (bsp. z10). auch mit krassen ungelenkheiten wie „enttäuscht, wer fürder unter hörern sass“ oder „kleinliche effekte“.

tja, beim ersten mal hatte ich eigentlich nur jene zwei stellen, welche mich bei einem forenlyriker wie mir stören würden, nennen wollen.
beim zweiten mal hinsehen merke ich nun, dass es mit viel kitsch und gestelzten phrasen eine hohe kunst (bsp. rilke, naja, vieles von ihm) der ganzen (!) „Moderne“ gegnüberstellt.
Wobei, wie ich erwähnt habe, nicht klar wird, ob du mit „Moderne“ alles meinst, was seit Rilke geschrieben wurde oder nur die Werke, die man literaturgeschichtlich der „Moderne“ zuordnet, womit dann deine jeremiade (wer? wer? oh, wer?) eigentlich einige dutzend jahre zu spät käme.

sorry, ich wollte viel netter schreiben, aber als ich dein sonett nochmals las, eckte ich an ecken an, die ich beim ersten mal umgangen hatte.

ich wünsche beiden einen schönen abend und uns allen viel kritik, damit wir nicht in einer wohlfühlecke stecken bleiben.
wolo von thurland

Erich Kykal 04.02.2015 23:51

hallo erich kykal

ich schreibe gedichte. ab und zu lese ich auch welche. was von goethe oder schiller, auch mal was "modernes". und da stosse ich immer wieder auf stellen, wo der schreiber sich nicht auf eine klare aussage festlegt. ich hielt das für zu einem gedichteschreiber passend.
nun aber entschuldige bitte, dass ich so geschwurbelt habe, ich will das gut zu machen versuchen durch einen neuen kommentar, der den ersten ersetzen möge:

kommentar zwei:

gesamteindruck: der form nach flüssig in iamben gesetztes sonett, mit alternierenden m/w-kadenzen. ab der hälfte etwa auch mit ein paar cäsuren rhythmisiert.

stilistisch sehr schillernd, ohne klare linie. teils zuflucht nehmend zu phrasenhafter emphase (bsp. z9) oder syntaktisch wie semantisch „krumm“ gedrehten dingern (bsp. z7/8), teils auch schlicht anfängerhaft mit einem „man“ auf der ersten hebung der zeile (bsp. z10). auch mit krassen ungelenkheiten wie „enttäuscht, wer fürder unter hörern sass“ oder „kleinliche effekte“.

tja, beim ersten mal hatte ich eigentlich nur jene zwei stellen, welche mich bei einem forenlyriker wie mir stören würden, nennen wollen.
beim zweiten mal hinsehen merke ich nun, dass es mit viel kitsch und gestelzten phrasen eine hohe kunst (bsp. rilke, naja, vieles von ihm) der ganzen (!) „Moderne“ gegnüberstellt.
Wobei, wie ich erwähnt habe, nicht klar wird, ob du mit „Moderne“ alles meinst, was seit Rilke geschrieben wurde oder nur die Werke, die man literaturgeschichtlich der „Moderne“ zuordnet, womit dann deine jeremiade (wer? wer? oh, wer?) eigentlich einige dutzend jahre zu spät käme.

sorry, ich wollte viel netter schreiben, aber als ich dein sonett nochmals las, eckte ich an ecken an, die ich beim ersten mal umgangen hatte.



Hi, wolo!

Offensichtlich KANNST du nicht sozial verträglich und mit Respekt antworten, selbst wenn du es versuchst!

Kritik (berechtigt oder nicht) zu üben ist das eine - Unhöflichkeit etwas anderes.

So wie du allerdings das eine mit dem anderen verbindest, brauchst du dich nicht zu wundern, wenn man dich bestenfalls als Störfaktor oder Troll wahrnimmt, selbst bei aller fachlichen Kompetenz.

Den Leuten eine subjektiv empfundene Wahrheit (die man gern mit vielen Fachtermini garniert als objektiv hinstellt) wie einen nassen Lappen um die Ohren zu hauen, den man zuvor ins Schmutzwasser herablassender Zynismen getaucht hat, macht sie nicht zu besseren Dichtern, bloß zu erzürnten Opponenten. Diesbezüglich stellt sich die Frage, was ein offensichtlich intelligenter Mensch wie du also eigentlich erreichen will, wenn er solch ätzende und provokativ formulierte Kommis serviert.

Dein Mangel an Einfühlungsvermögen und Sozialkompetenz (nur bei mir?) erschüttert mich und stößt mich ab. Daher ersuche ich dich, meine Werke fürderhin zu ignorieren. Ich werde dir dieselbe Höflichkeit erweisen.

eKy

Eisenvorhang 23.04.2017 23:02

Hallo eKy

Wieder ein sprachgewaltiges Gedicht Deinerseits.
Doch ein paar Worte zum Inhalt.

Ich frage mich, warum viele Dichter einer Sprachkultur nachtrauern, die so alt ist.
Ok - es sind romantische Gründe, klangliche Gründe, der Tonus des Wortes und die Liebe zum Ausdruck. Ich verstehe das blind. Auch ich bin ein Freund davon. Aber ich mag auch die jüngere Lyrik und Prosa sehr.

Fühle Dich bitte nicht angesprochen.

Es ist überdies auch ein Unvermögen, eine Unfähigkeit etwas Neues zu schaffen.
Nun existieren viele Versuche Lyrik zu wandeln.
Ich persönlich halte es für unklug nicht von allen Möglichkeiten zu schöpfen und jemand, der diese Möglichkeiten auch nicht nutzt oder sie gar verurteilt, verweilt in geistiger Unbeweglichkeit und gibt zum Teil auch etwas seiner wundervollen Mündigkeit ab.

Ich sage nichts gegen Geschmack und Subjektivität. Jedem das Seine.
Ich erlebe es im Moment selbst, in einem anderen Forum, wo ich ungereimte, metrikfreie Zeilen schrieb. Ich werde regelrecht persönlich angegriffen von einem User, dessen geistige Langsamkeit oder Unbeweglichkeit, "Neues" und "Abstraktes", sondergleichen nicht nachvollziehen kann. Ich glaube, die schöne Sprache von damals war sehr bezuggebunden und von Deutlichkeit durchzogen. Rilke war ja einer der Ersten, der davon abgewichen ist. In Metrik und in Semantik. Morgenstern versteckte seine Misanthropie hinter Zynismus etc.
Die modernere Lyrik hingegen erfordert rohes Nachdenken, a-prioristisches Wissen und Zugriff auf neues Wissen. Das generiert Reibung und leider auch Verurteilung. Was der Hund nicht kennt, frisst er nicht.
Dass das geschieht ist aber logisch, es ist eine Schlussfolgerung und auch natürlich. Es muss passieren.

Aber derart radikal etwas oder jemanden zu verurteilen oder zu belächeln [Was auch Dein Gedicht macht] sollte man in meinen Augen unterlassen. Es zeugt von Unzulänglichkeit und Radikalität, was ich im Leben streng ablehne.
Sprachrassismus. Und jeder Mensch, der Sprache liebt und das auch lebt, sollte es eigentlich besser wissen.
Wer sich nicht weiterentwickelt, wird auch nichts bewegen. Ganz egal, wie schön und perfekt die Zeilen sind.

vlg

EV

Erich Kykal 23.04.2017 23:50

Hi EV!

Die sog. "moderne Lyrik" hat in meinen Augen viel kaputt gemacht, sie hat dazu beigetragen, dass heute kaum noch jemand Gedichte liest, weil kein Normalverbraucher dieser abgehobenen Hirnwixerei noch folgen konnte oder wollte. Ein ähnliches Schicksal wie die sog. "moderne Klassik" in der Musik ...

Ja - ich bekenne mich dazu: Was die typische moderne Lyrik betrifft, bin ich eindeutig voreingenommen und intolerant. Aus mehreren Gründen, die alle hier aufzuführen zu lang dauern und mich zudem aufregen würde.

LG, eKy

Eisenvorhang 24.04.2017 00:31

Hallo eKy

Ich verstehe Dich schon und die Gründe warum du so eingestellt bist, kann ich mir halb halb herleiten.
Die Tendenz, dass Menschen dazu neigen generell weniger zu lesen wird immer mehr zum Trend.
Die Handwerklichkeit fällt weg, das saubere und geduldige Einpflegen; man könne fast sagen: die Lyrik der Faulen.

Ich versuche das Phänomen aber zu verstehen. Das sicherlich psychologische Gründe, gesellschaftliche, politische bla bla bla ^^
Abstrakte Worte verhelfen abstrakten Gefühle nach außen zu dringen, wie man sie vermutlich in der formgebundenen Lyrik nicht nach außen tragen kann. Das System normiert und erwartet pausenlos, das raubt Kräfte auf allen Ebenen. Und Arno Schmidt hat bewiesen, dass es auch gute freie Lyrik gibt, neben all den Schmarrn.

Mir geht es nicht darum etwas zu mögen oder nicht.
Sondern freiem Denken Raum zu schaffen, um irgendwann die Qualität der Lyrik vollumfassend zu steigern. Nicht durch mich, ich spreche damit eine innere Haltung an.
Mit elitärem und arrogantem Verhalten schafft man das nicht. Ohne dem, hätte der Mensch schon viele Jahre früher Strom erfunden.
Freigeister werden verurteilt - und ich bin mir sicher, dass du das verstehen kannst wovon ich schreibe.
Ich verstehe beide Seiten.

vlg

EV

Thomas 24.04.2017 08:54

Hallo Eisenvorhang,

du generierst dich hier als Freigeist und bezeichnest jemanden, der Gedichte schreibt, wie Erich es getan hat, als "Sprachrassisten". Jemand, der Lyrik liebt und deshalb mit Sprache ernsthaft umgeht, kannst du nicht sein.

Interessanterweise charakterisierst du korrekt, wenn du schreibst "Die modernere Lyrik hingegen erfordert rohes Nachdenken, a-prioristisches Wissen und Zugriff auf neues Wissen." Wozu es aber nicht reicht ist, dass du erkennst, dass in dieser apriorischen Abstraktheit das Problem für das Sichtum der sogenannten modernen Lyrik liegt. Nicht nur das, du überhebst dich des Nachdenkens, indem du sofort danach Andere herabsetzen, und sagts: "Was der Hund nicht kennt, frisst er nicht."

Ob ein großer Freigeist begreifen kann, dass NEU nicht unbedingt GUT ist? Oder das man mit brennendem Herzen nach gutem Neuen sucht, und das überhebliche Geschwätz über moderne Lyrik schmerzt?

Bevor du dich nicht in aller Form bei Erich entschuldigt hast, bist du für mich kein ernsthafter Gesprächspartner mehr.

Tschüss Thomas

Eisenvorhang 24.04.2017 11:06

Hallo Thomas

Ich entschuldige mich nicht, weil ich Erich nicht angegriffen habe, sondern vor allgemeiner Arroganz gewarnt habe. Der Vermerk, dass diese Zeilen nicht ihm gelten, ist in meinem Post klar und deutlich hervorgehoben.

Ich warne nur vor einer Position, in der man sich begibt und andere belächelt oder gar ausgrenzt. In meinen Augen ist das pathologisch und nicht nur in der Lyrik vorzufinden.
Auch überhebe ich mich nicht - es gibt Tendenzen, die ich wahrnehme und ich persönlich würde, egal was passieren würde, so nicht handeln. Das ist meine Meinung und dazu stehe ich auch. Zu oft habe ich im Leben Mobbing aktiv und passiv miterlebt und aus einer derartigen Haltung wird es geboren.
Auf eKy ist das nicht gemünzt und wurde in keiner Silbe von mir so ausgedrückt. Hier beginnt aber bereits die Aggression und Projektion gegen jemand, der das hinterfragt. Und genau das versuche ich damit zu sagen.

"Ob ein großer Freigeist begreifen kann, dass NEU nicht unbedingt GUT ist?"
Woher soll man das denn wissen, wenn man es verurteilt und dem keine ernste Chance gibt. Dümmer kann man davon nicht werden. Allein meine Neugier treibt mich sowieso zu allem hin.
Ich verstehe eine Vorverurteilung einfach nicht respektive die Position, die das gebiert.

Und ich verstehe auch nicht, Thomas, warum du mich persönlich angreifst. Ich kenne Dich nicht, ich habe kein Problem mit Dir und deine Lyrik finde ich toll.
Wenn Du aber unbedingt gegen mich argumentieren willst, dann muss ich das und Deine Meinung respektieren und werde Dir künftig aus dem Weg gehen.

vlg

EV

Erich Kykal 24.04.2017 11:21

Hi EV, Thomas!

Erst mal - vielen Dank für dein Parteiergreifen, Thomas, aber ich habe mich eigentlich gar nicht gekränkt gefühlt. EV hat mE. nur nach einer Ausdrucksmöglichkeit für sein Argument gesucht, es lag ihm nichts daran, jemanden herabzusetzen, so zumindest habe ich es gelesen.

Ich verstehe EVs Standpunkt und ehrlich gesagt würde ich das "Problem" freie Lyrik auch gern entspannter betrachten können - aber es zieht mir fast jedesmal wieder die Halskabel auf, wenn ich lesen muss, WAS alles diese sog. "Künstler" heutzutage als Lyrik zu bezeichnen wagen!

Ich will nicht abstreiten, dass manch gute Sachen darunter sind, aber ich kann einfach nicht begreifen, warum dieses ständige Erneuern Müssen und Neue-Wege-Suchen überhaupt sein muss!

Die Lyrik zu Rilke's Zeit war schon ein perfektes sprachliches Ausdrucksmedium -warum das um jeden Preis (auch den der sprachlichen Schönheit und Eleganz) "weiterentwickeln"?
So sind denn auch die meisten dieser Versuche schrecklich, angefangen mit den onomatopoetischen Ergüssen eines Jandl bis hin zum "frei Abgetropften" aus dem Unterbewussten, das wild und beliebig abgeteilt hingeschmiert als der Lyrik letzter Schluss und Schrei verkauft wird!

Dieses jämmerliche Gestammel überhaupt als Lyrik zu bezeichnen, halte ich schon für eine veritable Frechheit! "Strukturierte Prosa" oder "Sprachexperiment" wäre angemessen. Aber Lyrik ist für mich etwas anderes!

Ich denke, dass Lyrik heute so ein Stiefkind der Literatur ist und kaum mehr Leser findet, liegt einerseits sicher an der Prosaisierung der Welt durch die harten Zeiten des 20. Jhdts, die Weltkriege und Wirtschaftskrisen, den wiederaufbau usw - die Leute hatten schlicht andere Probleme.
Später gab es neue Medien, Radio, Fernsehen, Kino, Internet - die neue Ablenkung und Freizeitbeschäftigung boten. Gedichte brauchte einfach keiner mehr.

Andererseits liegt es - so denke ich - auch sehr an der abgehobenen experimentalen Hirnwichserei der Poeten selbst, die auf der verkrampften Suche nach ewig "Neuem" die Leserschaft schließlich vergraulten.
Lyrik ist Schönheit und Innigkeit der Sprache, aber wenn diese Sprachspielerei zum Selbstzweck wird und einfach NICHT mehr schön ist, wenden sich viele davon ab. Genau das merkt man seit den 30er-Jahren des letzten Jhdts.

Meine Ablehnung der Moderne ist also nicht "elitär" motiviert, sondern hat triftige Gründe. Und das moderne Zeux gefällt mir schlicht und einfach auch gar nicht. Ich bevorzuge Sprachmelodie und Gleichklang. Ich höre lieber Bach und Händl als so einen "modernen" Devianztöner, der atonalen Fabrikhallenlärm produziert und das "moderne Klassik" nennt! Ich betrachte lieber einen Da Vinci oder einen Impressionisten als ein "modernes" Schüttbild, bei dem mir ein Text daneben erklären muss, wie das der "Künstler" überhaupt gemeint hat!

Und probiert habe ich alles: Ich habe sogar früher mal eine Weile abstrakt gemalt! Ich habe mir "moderne Klassik" reingezogen und versuchte objektiv zu bleiben. Ich habe moderne Lyrik gelesen. Umsonst - für mich ist das meiste davon nun mal MÜLL!


Also bitte bloß kein böses Blut meinetwegen!

LG, eKy

Eisenvorhang 24.04.2017 11:37

Danke eKy, so war es auch nicht gemeint.
Kein Wort gegen Dich oder gegen Deine Lyrik.

Um kurz einen Professor zu rezitieren, den ich kenne:

Auf Deine Frage:

"-warum das um jeden Preis (auch den der sprachlichen Schönheit und Eleganz) "weiterentwickeln"?

Weil es in der Natur des Menschen liegt, nie zufrieden zu sein und immer Entwicklung zu ersehnen. Alles andere ist Profilneurose.

vlg

EV

Thomas 24.04.2017 13:05

Lieber Eisenvorhang,

ich habe mich sehr geärgert, weil ich es so verstanden habe. Ich habe es nochmals gelesen und finde den Begriff "Sprachrassist" immer noch nicht toll. Es ist gut, dass nun eindeutig gesagt ist, dass es nicht gegen Erich gemeint war. Wenn ich im Ton etwas zu scharf war, dann bitte ich es zu entschuldige, ich war zornig.

Erich weiß, dass ich seine Position nicht ganz teile, aber ich bin froh, dass er diese seine Meinung hat und vertritt. Für mich ist das sehr wertvoll, gerade weil ich nach Neuem suche, aber nach Neuem, das wirklich eine Weiterentwicklung ist. Und man kann sehr wohl beurteilen, was nur neu ist und was eine Weiterentwicklung ist. Dafür muss man sich jedoch um ein immer tieferes Verständnis der "Alten" bemühen, und sie nicht einfach für obsolet erklären.

Liebe Grüße
Thomas


P.S.: mir ist aufgefallen, dass "Alles andere ist Profilneurose." eine in diese unbegründeten Form unzulässige Verallgemeinerung ist. Ich stimme mit dir völlig überein, dass "es in der Natur des Menschen liegt, nie zufrieden zu sein und immer Entwicklung zu ersehnen." Es gibt jedoch nicht nur einen Grund dafür, wenn jemand das nicht so sieht.

Eisenvorhang 24.04.2017 13:37

Hallo Thomas

"Sprachrassist" trifft auf bestimmte Menschen zu, die im Eiland hier nicht verkehren und möglicherweise auch im jeden anderen Forum auf Lebenszeit gebannt wurden wären.

Ich wagte ein Experiment und die Folge war Hetze in jeden meiner Fäden. Und persönliche Angriffe. Ich sei "Poetiker", mein Deutsch sei von Grund auf grotten schlecht und katastrophal, es sei eine Zumutung für die lyrische Welt. Jetzt verrate mir was das soll? :]

Das verbinde ich mit Sprachrassismus, wenn Kritik nicht mehr im Mittelpunkt steht, sondern das eigene selbstverliebte Dünkel.
Und das schöne Gedicht von Erich, was ich zufällig fand, war ein Grund meiner Zeilen.

Meine Absicht war jedoch nicht, dass zu erreichen was du empfindest oder wie es ankam, wie es andere empfänden könnten.

Die unzulässige Verallgemeinerung; damit liegst Du richtig, wenngleich das Ziel dieser Verallgemeinerung war Faules aufzudecken. Der Professor wollte damit provozieren.

Die für mich wahren Gründe, warum so viel verkommt, obliegen in der Psychologie einerseits und in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts andererseits und das Lyrik vermiest wird, beginnt oft in der Schule, trotzdem besteht der Drang sich der Schrift zu bedienen, weil das Schreiben als Solches eine Linderung seelischer Belastungen darstellt. Und nicht jeder ist so schlau, dass er 98% der Bevölkerung intellektuell hinter sich lassen kann. Das Glück haben nicht viele und die, die es haben, haben wieder ganz andere Probleme.

Kurz und oberflächlich zusammgefasst, nehme ich wie folgt wahr:
- eine bestimmte Anzahl der Lehrer lassen das Zuckrige der Lyrik versauern durch Analyse und qualvolle Interpretationen mit Rahmenbedingungen und eine Bewertung von Interpretation (was ich nach wie vor bescheuert finde).
Für interessierte und womöglich begabte Autoren ist das bittere Kost, weil es Mündigkeit mindert und für Desinteressierte, Desinteresse steigert.

Dabei wird das Schöne im Wort und das Schöne um dem Wort vergessen. Das Spiel, nämlich der Baukasten und das Dichten, geraten in den Hintergrund. Eine wohlklingende Sprache, die allerunser Herzen vibrieren lässt, wird nicht herausgelöst, sondern verhapselt, abgetan und wissenschaftlich abgehandelt. Kinder und Jugendliche.

- Die Gesellschaft wird zunehmend zu einer Ellenbogengesellschaft, dass Schreiben dient zunehmend als abstraktes Mittel Schmerzen zu lindern(der heutigen generation, wahres interesse verblasst), völlig entleibt von Form, Wissen und Handwerk - trotzdem dient es als Ventil. Ausleben durch Individualismus. Und Individualismus meint freie Entfaltung.

Das Dichten ist, ich schreibe ja selbst erst seit Anbeginn April, mit viel Lernerei verbunden.
Wer sich entfalten möchte, aber nicht lernen will, aus welchen Gründen auch immer, der bedient sich halt dem Expressionismus und der Abstraktion.

Hier entsteht nun ein Defizit, in dem man überlegen könnte etwas zu verändern. Und wenn ich nicht völlig falsch liege, waren Gedichte schon weit vor Rilke nicht form-, wohl aber melodiegebunden, frei von Reimen und Metrik.
Es hat sich weiterentwickelt und wurde zu dem was viele Sprachliebhaber so mögen. Und es entwickelt sich immer weiter. Die Frage ist nur wohin?
Mir fehlen die fähigen Vermittler. In der Schule hasste ich Lyrik und das Gesülze vom Lehrer mit seinen geforderten Analysen. Jetzt bin ich 14 Jahre aus der Schule und urplötzlich liebe ich das Wort und das Einzige was in mir hallend keimt, ist die zähe Erinnerung längst vergangener Tage.

Und: kein Thema Thomas - Schnee von gestern!

vlg

EV

Thomas 24.04.2017 14:08

Lieber Eisenvorhang,

was Professoren und Lehrer sagen, ist halt oft nicht das Gelbe vom Ei. Auch mir hat man in der Schule die Poesie fast versaut. Ich hasse Gedicht-Interpretationen, was mir übrigens bis heut beim Kommentieren im Forum Probleme bereitet. Zum Glück habe ich im zarten Alter von 9 Jahren wirkliche Poesie durch einen damals fast 80 Jahre alten Lehrer kennen gelernt, der einfach, frei von der Leber weg, wunderschön Gedichte rezitierte, ohne Erklärung und Drumherum, einfach so. Es war eine Süßigkeit besser als Schokolade. Das haben sie mir später nicht mehr nehmen können.

Es freut mich, dass du auf diesem Weg bist. Es ist nicht einfach, wir leben in sehr "unlyrischen" Zeiten. Aber das war früher auch schon so ähnlich, ich vermute, dir wird Rainer Maria Rilkes "Kleine Schrift" mit dem Titel "Über den Dichter" gefallen, vielleicht holt sie Erich ja für dich herbeit. ;)

Vergessen wir den Zoff. Es tut mir auch leid, dass dir in einem anderen Forum übel mitgespielt wurde, aber das konnte ich ja nicht wissen.

Liebe Grüße
Thomas

fee_reloaded 24.04.2017 14:53

Zitat:

Zitat von Eisenvorhang (Beitrag 102676)
Weil es in der Natur des Menschen liegt, nie zufrieden zu sein und immer Entwicklung zu ersehnen.

Ich verstehe nicht, warum bei solchen Themen immer nur von dieser Warte der absoluten "Biernernstigkeit" und im Zusammenhang mit Kunst auch noch von Unzufriedenheit ausgegangen wird.
Ich vermittle meinen Kunstschülern immer sehr eindringlich und bewusst, dass Künstler in erster Linie "kreativ" sind (wodurch sie sich ja von den Kunsthandwerkern in gewisser Weise unterscheiden) - und das hat vor allem und in erster Linie etwas mit Erschaffen zu tun.

Sobald also etwas (technisch wie inhaltlich) perfektioniert und beherrscht ist, findet aus kreativer Sicht kein Erschaffen mehr statt, sondern Reproduzieren (von der Warte der Entwicklung aus betrachtet). Das ist jetzt nicht per se schlecht oder negativ - denn auch das will handwerklich gekonnt sein und bringt viel Schönes und Erbauliches hervor und auch hier bringen es nur wenige zu meisterlichem Niveau. Aber im Erschaffen (also dem Kreieren, wie es das Wörtchen "kreativ" nun mal andeutet) liegt nun mal vor allem das spielerische Hervorbringen von Neuem, Neuartigem. Dass dies nicht aus Unzufriedenheit geschieht, sondern aus dem Drang, Grenzen zu überschreiten, im Neuerschaffen auch sich selbst neu zu finden und erfinden, und aus spielerischem Antrieb, scheint mir bei solchen Ausführungen immer völlig in Vergessenheit zu geraten.
Der Mensch ist das einzige Tier, das auch noch im Erwachsenenalter "spielt" - und Kunst - egal in welcher Form - ist Ausdruck dieses Spielens.

Ja - Künstler experimentieren, nehmen aktuelle Einflüsse ihrer Umwelt auf, verbinden alte Traditionen mit neuen Impulsen ihrer Zeit, testen Grenzen aus, wollen sehen "was alles geht" (und auch, was nicht) - und oft ist das Ergebnis gar nicht so wichtig, sondern das Tun. Und oft gibt es so etwas wie ein "gelungenes Werk" im herkömmlichen Sinne gar nicht mehr. Sondern ein "Ergebnis" eines Versuchs.
Diese Ergebnisse sind dann Zeugnisse dieser spielerischen Prozesse und der Einflüsse ihrer Epoche und deren Wurzeln, verstehen sich selbst aber oft eben gar nicht mehr als Kunstwerke im herkömmlichen (und vielleicht auch inzwischen schon überholten) Sinne. Mit dem alten akademischen Maßstäben darf man an zeitgenössische Kunst einfach nicht mehr herangehen.

Das möchte ich hier doch zu bedenken geben. Meine 10 bis 14 jährigen SchülerInnen waren diesbezüglich übrigens immer am aufgeschlossensten und haben rasch verstanden, einen entspannten Umgang mit moderner Kunst zu finden. Und der war weit entfernt von jeglicher Bierernstigkeit. Immerhin geht es doch bei Kunst um Genuss und Freude. Aber auch das wird heute gerne vergessen. Unter anderem auch, dass man das Recht hat zu sagen "gefällt mir persönlich gut/nicht" (solange man sich mit einer unsachlichen Wertung zurückhält).

Abgesehen davon lese ich allüberall mindestens genau so viel gereimten Mist wie versfreien. Bei beidem sind schlichtweg Unvermögen und Oberflächlichkeit die Ursache für das Übel. Die gewählte Form ist es m.E. nicht.

Gruß,
fee

Eisenvorhang 24.04.2017 16:40

Hallo Fee

Ich denke, das liegt daran, dass gewisse Gruppen von Menschen abstumpfen und den Wert von Mühe und Resultat nicht mehr erkennen.
Was viele einfach verschlucken ist, dass kein Meister vom Himmel fällt.
Mir geht das ebenso. Rein nachdem Motto:

"Was ich heute nicht kann, werde ich morgen nicht lernen".

Mit den Worten von Jonathan Wendel: "practise, practise, practise".

Dein Bericht freut mich allerdings, wenn Du als Lehrerin zugewandte und interessierte Schüler hast! Ich war als Schüler eine Herausoforderung für jeden Lehrer. ^^ :Aua:Blume:

@Thomas
Hätte ich auch gern wie Du erfahren. Hatte das Glück leider nicht.

vlg

EV

fee_reloaded 24.04.2017 17:01

Zitat:

Zitat von Eisenvorhang (Beitrag 102680)
Wer sich entfalten möchte, aber nicht lernen will, aus welchen Gründen auch immer, der bedient sich halt dem Expressionismus und der Abstraktion.


Ich hoffe, das war ironisch gemeint, EV.

Nur wer wirklich WIRKLICH dumm ist, glaubt, dass er im Bereich der Abstraktion und des Expressionismus keinerlei Regeln zu beachten oder Basisvoraussetzungen (wie Fachwissen zum Beispiel) zu bringen hätte. Aber gottlob gibt es ja auch genug Dumme, die darauf hereinfallen, weil sie selbst zu doof sind, die Gehalts- und Inhaltslosigkeit solcher Machwerke zu erkennen.

:cool:


PS: nachträglich dazueditiert: habe gerade gesehen, das wir zeitgleich gepostet haben...also hab ich deine Antwort auf meinen letzten Kommi erst jetzt gelesen. Dass du ein harter Brocken warst als Schüler, glaub ich dir gerne. LOL

Eisenvorhang 24.04.2017 18:01

Warum glaubst Du das gerne? Bin ich so ein Widerling? :]
Ich möchte eigentlich überhaupt nicht anecken, sondern nur lernen, Gedichte zu schreiben.

Die Kunst und Repräsentation von Kunst in unserer Kultur, interessiert mich, bis auf wenige Ausnahmen, überhaupt nicht.

vlg

EV

fee_reloaded 24.04.2017 18:16

Zitat:

Zitat von Eisenvorhang (Beitrag 102688)
Warum glaubst Du das gerne? Bin ich so ein Widerling? :]
Ich möchte eigentlich überhaupt nicht anecken, sondern nur lernen, Gedichte zu schreiben.

Die Kunst und Repräsentation von Kunst in unserer Kultur, interessiert mich, bis auf wenige Ausnahmen, überhaupt nicht.

vlg

EV

Wie kommst du auf Widerling, lieber Eisenvorhang? :eek:
Nein, so war das definitiv nicht gemeint.

Ich stelle mir dich als einen Schüler vor, der gern viel ausdiskutiert und nicht leicht von seiner Meinung abzubringen ist. So zumindest hab ich dein
Zitat:

"Herausforderung für die Lehrer"
interpretiert. Und das erscheint mir auch stimmig zu dem, wie ich dich hier lese. :D

War also absolut nicht böse gemeint. :Blume:


Zeitgenössische Lyrik ist aber auch Kunst in unserer Kultur. :cool: Bloß, dass die Bilder mit Worten gemalt werden. Und ich sehe eben auch in ihrer Präsentation oder wie sie sich heute wahrgenommen sehen möchte, viele Parallelen zur bildnerischen Kunst und der Szene darum herum (deren Freund ich übrigens auch nicht bin).

Eisenvorhang 24.04.2017 18:41

Ja, ich bin ein sogenannter Minderleister, der das damals in der Schule auf ungesunde Weise kompensiert hat. Die Lehrer kamen damit nicht klar und ich widerrum damit nicht.

All die Briefe von Lehrern an meine Eltern, worin geschrieben stand, was für ein hoffnungsloser Fall ich sei, habe ich mir allesamt aufgehoben :D:cool:.

"Lyrik sei Kitsch" dachte ich viele Jahre. Was für die "Schwachen" und "Emotionalen". Wie unglaublich dumm ich war.
Und jetzt wühle ich mich durch die Bücher, die ich gekauft habe und führe Diskussionen in einem Lyrikforum.

So kann's kommen.
Ich sah, du führst einen Blogg? Gibt es eine URL?

vlg

EV

fee_reloaded 24.04.2017 18:54

Zitat:

Zitat von Eisenvorhang (Beitrag 102691)
Ja, ich bin ein sogenannter Minderleister, der das damals in der Schule auf ungesunde Weise kompensiert hat. Die Lehrer kamen damit nicht klar und ich widerrum damit nicht.

All die Briefe von Lehrern an meine Eltern, worin geschrieben stand, was für ein hoffnungsloser Fall ich sei, habe ich mir allesamt aufgehoben :D:cool:.

"Lyrik sei Kitsch" dachte ich viele Jahre. Was für die "Schwachen" und "Emotionalen". Wie unglaublich dumm ich war.
Und jetzt wühle ich mich durch die Bücher, die ich gekauft habe und führe Diskussionen in einem Lyrikforum.

So kann's kommen.
Ich sah, du führst einen Blogg? Gibt es eine URL?

vlg

EV


Ich denke so oder ähnlich ging/geht es vielen, die sich plötzlich Gedichte liebend und schreibend wiederfinden, lieber EV. ;)

Die Schule scheint nicht der rechte Ort zu sein, um die Liebe für Gedichte zu entfachen (außer sie wird so gelebt und vorgelebt wie von dem Lehrer, den Thomas erwähnte). Der Lehrplan sieht nun mal die Wissensvermittlung der technischen Hintergründe vor - die Liebe zu einer Sache muss wohl eher im Elternhaus geprägt werden. Ich hatte das Glück, dass meine Großmutter mir viel und oft Gedichte vorgelesen hat und wir die auch gerne beim Wandern auswendig laut rezitierten und uns an deren Klang, Rhythmus und Melodie erfreuten.

Und das tue ich auch heute noch. :)

Aber ich glaube auch, dass es erst einer gewissen Reife bedarf, um sich Lyrik ohne diese Furcht vor Gefühlsduselei zu nähern. Und es ist doch schön, wenn die Schule es nicht immer schafft, dauerhaft Dinge zu vermiesen, oder?

Ja, ich hab einen Blog. Du solltest zum Link dorthin gelangen, wenn du in meinem Profil auf die Kontaktinformationen gehst.

Erich Kykal 24.04.2017 19:16

Auch mein Weg zur Lyrik war steinig:

Mit 12 las ich zum ersten Mal ein echtes Gedicht für Erwachsene: Rilke's Panther, der damals noch im österr. Schullesebuch präsent war. Ich musste weinen, weil mir der Panther so leid tat, und das hatten diese wenigen Worte erreicht :(. Welch eine Macht! Das wollte ich auch können, traute mich damals aber noch nicht, hatte auch noch gar nicht das nötige Vokabular.
Der zweite prägende Eindruck war die Schallplattensammlung meine Vaters, wo ich mit etwa 14 oder 15, versteckt unter jeder Menge Marschmusik, ein Hörspiel mit Goethe's Faust fand, mit Erich Ponto als Mephisto, dem Nachfolger von Gründgens.
Nach wenigen Wochen konnte ich fast den ganzen ersten Teil auswendig! :Aua
So begann ich danach endlich selbst zu schreiben, was sich - entsprechend meinem damaligen recht arroganten Naturell - ziemlich schulmeisternd, belehrend und herablassend anhörte, vom jugendlichen Pathos ganz zu schweigen. Ich schrieb, bis ich ca. 22 war, immer wieder mal etwas und nervte meine ganze Umgebung mit den Ergüssen! Dann sagte mir jemand, dass gereimte Lyrik keinen mehr interessiere. Ich versuchte eine zeitlang, "modern" zu dichten, aber das erfüllte mich überhaupt nicht. Also hörte ich ganz auf - fast 25 Jahre!

Mit Mitte 40 fand ich beim Aufräumen zufällig die Mappe mit den alten Jungendsünden. Ich wollte mir mit dem Computer in der Schule (damals hatte ich noch keinen eigenen) ein kleines Büchlein - nur für mich - fertigen, eine Art Reminiszenz an die alten Zeiten. Durch das Abtippen der besseren Texte bekam ich wieder Lust zu dichten, und ich stellte rasch fest, dass mein Stil sich dank Lebenserfahrung und Reife sehr gewandelt hatte. Andere fanden es plötzlich gut!
Jetzt erst erinnerte ich mich meiner ersten Begegnung mit der Lyrik und kaufte Rilke's Gesamtwerk und verschlang es mehrfach (ich musste erneut weinen, meist schon nach wenigen Seiten, diesmal allein der Schönheit seiner Sprache wegen. Kein anderer Dichter hat das jemals bei mir geschafft!). Danach folgten praktisch alle anderen namhaften Reimdichter. Ich lernte viel dazu (ich war früher reiner Autodidakt und Gefühlsrhythmiker gewesen), auch in den Foren, wo ich mich seit 2008 herumtrieb.
Allerdings lernte ich immer nur soviel wie ich gerade brauchte. Die Fachausdrücke beherrsche ich zum Teil bis heute nicht! :Aua:rolleyes:

Heute bin ich kreativ, ohne um jeden Preis nach Neuem zu streben. Ich tue, was mir Spass macht, und Punkt. Perfektionieren kann man sich ohnehin nur bis zu einem gewissen Grad, weil das Talent dann einfach nicht mehr zulässt. So weiß ich längst, dass ich Rilke nie erreichen werde. Aber ich tue mein Bestes, mich seinem Sprachgenie möglichst anzunähern. Darin sehe ich meine primäre Herausforderung. Ich betrachte das beileibe nicht als Reproduktion.

Ich sehe es so: Auf einer Leiter (wenn man es so sehen möchte) kann man zwei Dinge tun: Man kann versuchen, immer weiter zu klettern, jede Sprosse nur so lang benutzend, wie sie einem zum Höhergelangen dient.
Oder man kann sich an eine bestimmte Sprosse stellen, die einen irgendwie besonders anspricht, und sie studieren, sie verfeinern, verbessern, sich ganz in sie vertiefen und an ihr schnitzen, bis sie möglichst schön und perfekt ist. Denn jede Leiter endet irgendwann doch, und was soll ich dort oben ... - man kann tief stürzen, und oben stellt man meist fest, dass die Aussicht die Mühe nicht wert war. Leiterstürmer oder Sprossenschnitzer - ich bin auf jeden Fall letzteres ...

LG, eKy

Eisenvorhang 24.04.2017 19:18

Ja es ist schön, sich nicht so viel vermiesen zu lassen. Leider zieht sich die Verweigerungshaltung und das Hinterfragen, welches durch die Schule generiert wurde, etwas[hartnäckig] durch meine Person und mündet in narzisstischen Zügen. (Dominanz)

Aber die Zeit heilt viele Wunden und mit dem Reifen hält der Verstand dann doch Einzug. Ich bin optimistisch und lieber ein Trottel :P.

Wenn ich es jetzt noch schaffe gut dichten zu lernen, bin ich vollumfänglich happy.

Danke für Deine Bloggs - jetzt hab ich was zum Schmöckern.

vlg

EV

Hallo eKy

Unsere Zeilen haben sich überschnitten. Ich find Deine "namenlose Hure" um einiges besser als so manches Rilke Gedicht.

"entsprechend meinem damaligen recht arroganten Naturell - ziemlich schulmeisternd, belehrend und herablassend anhörte"
Das geht mir jetzt noch so, was ich aber nicht bemerke, aber als Feedback erhalte. Innerlich bin ich weich wie ein Reh.

Und wegen Deines Alters Gedichtes, so schreibe ich gerade an einem Mix aus Kykal, dem Rudolf und mir, dass poste ich Dir dann in dein Thread.
Was Du dort als Letztes schriebst, stimmte mich äußerst traurig.

vlg

Erich Kykal 19.07.2017 15:36

Hi EV!

Geschmäcker sind verschieden - du darfst meine Gedichte gern besser finden als manche von Rilke, auch er schrieb ja nicht immer gleich gut und genial! Es gibt Werke von ihm, da juckt es mich in den Fingern, sie zu "verbessern"! :rolleyes::Aua Ich hätte da auch keine Berührungsängste ...

Wesentlich für mich aber ist der Umstand, dass ich selbst es so empfinde, dass er zumeist besser schrieb als ich es wahrscheinlich je können werde. Vielleicht erkenne ich aus meiner selbst nicht unbegabten Warte mehr in seinen Zeilen, in seiner Sprachmelodie und Wortbaukunst als so manche andere, die sich kopfschüttelnd fragen, was ich an den verstaubten Konstrukten denn so toll finde ...

Wie auch immer, wir sind den eigenen Überzeugungen ausgeliefert (auch wenn wir uns selbst jederzeit von ihnen distanzieren könnten - aber was bliebe dann noch von uns ...?), auch wenn wir die eine oder andere im Laufe eines Lebens austauschen oder erweitern mögen - aber das ist meistens ein langer und dorniger Prozess!

LG, eKy


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