Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 06.08.2018 15:39

Größer im Verzichte
 
Aus leichten Siegen, die wir uns versagen,
den Rosen, welche nie für uns erblühn,
erwachsen Wurzeln tiefer unterm Grün,
die bis ins Herz des Wesentlichen ragen.

Aus allem Streit, auf den wir groß verzichten,
wächst innerlich ein neuer Seelenbaum
und gibt dem Rauschenden der Seele Raum,
woraus wir Brücken zu uns selbst errichten.

Erfüllung macht uns ärmer nur an Leben:
Erfülltes darf sich einzig selbst genügen.
Kein Sehnen mehr, kein innerstes Bestreben

bewegt noch jene, die Vollendung finden,
und alles Weitere wird sie belügen,
bevor sie überreifen und verschwinden.

Chavali 07.08.2018 09:00

Servus Erich,

im letzten Terzett sind die Einsilber in Zeile 1 insofern schlecht zu lesen,
als dass man erstmal heraus finden muss, welcher nun betont werden sollte:
Zitat:

bewegt noch jene, die sie für sich finden,
xXxXxxXxXXx - so hatte ich es erst für mich, aber du willst, dass man es so liest des Metrums wegen:
xXxXxXxXxXx
;):D;)

Ok, davon abgesehen ist das ein sehr schönes aussagekräftiges Sonett.
Es handelt von jenen Menschen, die sich selbst genügen (müssen) und
vielleicht auch mangels Partnern
der Einsamkeit den Vorzug geben und daraus ihre Kraft ziehen.

Ich denke, in dem Text steckt wieder viel Autobiografisches und darum will ich nur sagen,
dass du die Problematik - so man diesen Zustand so nennen darf - in gekonnter Weise verdichtet hast.

Sehr gern gelesen!
LG Chavali

Erich Kykal 07.08.2018 10:55

Hi Chavi!

Danke für den Hinweis auf die rhythmisch indifferente Zeile - mir kam beim Schreiben gar nicht der Gedanke, dass man sie anders betonen könnte, denn im Sonett ist die Heberfolge ja festgelegt: xXxXxXxXxXx

Inhaltlich ist es rein philosophisch bezogen auf Selbstfindung durch Willensstärke zur Selbsterziehung: Das wir daran wachsen, wenn wir verzichten lernen, Selbstbeherrschung üben.
Wer jedem Drang oder Trieb nachgibt, sich alles erfüllt, zergeht konturlos in der Fülle, wird dekadent und antriebslos. Ganze Zivilisationen enden so.
Was uns definiert, sind die scharfen Kanten des eigenen Willens, der bestimmt, worauf wir uns selbst begrenzen.

Vielen Dank für deine Gedanken! :)

LG, eKy

Thomas 07.08.2018 18:51

Lieber Erich,

du hast ja schon das Wesentliche zu deinem schönen Sonett erklärt. Ich kann vielleicht erklären, warum die angesprochene Zeil tatsächlich jambisch ist. Es liegt an den Komma, welches eine kleine Pause erzeugt und dadurch der folgenden Silbe automatisch Ton verleiht.

Das ist nebenbei ein schönes Beispiel dafür, wie sehr die großen Sprachkünstler irren, welche meinen in der Lyrik auf Satzzeichen verzichten zu müssen. Sie merken das Problem wahrscheinlich nur deshalb nicht, weil ihnen das Metrum ohnehin Wurst ist.

Liebe Grüße
Thomas

Erich Kykal 07.08.2018 23:00

Hi Thomas!

Für mich war der Takt klar und kam mir so auch ganz natürlich vor:

bewegt noch jene, die sie für sich finden,

Ehrlich gesagt, ich habe - zumindest hier in den Foren - festgestellt, dass die meisten Poeten, die sich stolzgeschwellt in die avantgardistische Brust ihres Satzzeichenverzichts werfen, meist nur verschämt damit kaschieren wollen, dass sie in deren korrekter Anwendung alles andere als firm sind! ;):rolleyes::Aua

Vielen Dank für deine erheiternden Erwägungen! :D

LG, eKy


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