Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 23.04.2017 10:43

Frühling im Alter
 
Der Tag verstreicht. Gedanken ziehen leise
die Zeit entlang, und die geschauten Bilder,
wie wolkengleich auf ihrer grauen Reise,
verlieren sich an fernen Horizonten,
als ignorierten sie die Hinweisschilder
nach Zielen, die sie nie erreichen konnten.

Der Tag verstreicht, und kalte Winde raunen
in zarten Zweigen zag begrünter Bäume.
An welchem Tag verlernte ich das Staunen,
der so wie dieser ins Vergessen kippte,
und welcher Wind verwehte meine Träume,
daraus ich Zuversicht und Wehmut nippte?

Der Tag verstreicht. Wird er der letzte bleiben,
der mich erreicht in jener wunden Mitte,
wo wir bewusst ins Buch des Lebens schreiben?
Der Tag verstreicht und stellt sich keine Fragen,
und welchen Weg ich auch darin beschritte -
die letzte Antwort kann er mir nicht sagen.

Mondmann 23.04.2017 11:43

Hallo eky,
geht es im Werk um Alzheimer?

Schöne Strophen. Schöne Kopfbilder.

Warum hier nicht statt doppelt Wind aussagekräftiger
und welcher Sturm verwehte meine Träume, ?


Der Tag verstreicht und stellt sich keine Fragen,

Mal ehrlich, diese Aussage ist nichts sagend und für mich nur Füllmaterial, in deinen sonst so lesenswerten Zeilen.

Gruß M.

Erich Kykal 23.04.2017 12:06

Hi Mondmann!

Du bist sehr direkt und schnörkellos in deiner Kritik. Das erinnert mich an mich.

Nein, es geht nicht um Alzheimer. Ein alter Mensch resümiert nur über das in seinen Augen sinnlose - oder sinnlos gewordene - Verstreichen der letzten Lebenszeit, bar aller Illusionen und Wünsche, die ihn noch antreiben könnten.

Der "Wind" ist in dieser Strophe bewusst wiederholt, um ihn aus dem reinen Naturbild der ersten Erwähnung in einen metaphorischen Kontext bei der 2. Erwähnung zu übertragen. Der äußere Wind wird zum inneren Wind.

Die von dir monierte "Füllzeile" halte ich durchaus für aussagekräftig - sie erklärt, dass es dem Tag - sprich der Welt - egal ist, wie das lamentierende LyrIch - oder sonstwer - sich darin fühlt. Zeit vergeht einfach, Welt existiert einfach, und nichts ist darin wichtiger als etwas anderes, denn letztlich spielt nichts eine Rolle.
Das Universum IST einfach, und all unsere Träume und Motivationen sind illusionär und selbstbezogen, zu Unrecht personifizierend und Sinn, Bedeutung und bedeutsames Ziel unterstellend. All das sagt diese Zeile aus.

Vielen Dank für deine ehrlich hinterfragenden Zeilen und das Lob. :)

LG, eKy

Eisenvorhang 23.04.2017 12:41

Welch wunderschöne Zeilen, die die letzte Lebenszeit in das Wort tragen.
Entgegensetzt zum Mondmann hatte ich keine Schwierigkeit.
Ich wünschte ich könnte Dir eine gute Kritik schreiben und würde nicht immer derart schmucklos kommentieren. Noch fehlen mir aber die Fähigkeiten!

Aber einwas kann ich beisteuern! Mein liebstes Gedicht von Dir, eky, ist "An eine namenlose Hure". Ich habe noch kein schöneres Gedicht gelesen.

Diese Art von Leidenschaft, das Schockierte und Hoffnungslose, das Respektvolle gegenüber einer "Hure", das Sehen und Wertschätzen des Menschens dahinter, derart perfekt, voller Reue, voller Wehleid durch Worte gezogen.
All diese Eigenschaften fehlen mir hier bei dem Gedicht etwas!
Ich hoffe, Du nimmst mir diese Aussage nicht krumm!

Und dein Thema erinnert mich an ein Gedicht von Rudolf Hagelstange.
Ich poste es.

Lied der Jahre

Wer bin ich und wie halte ich die Jahre,
die glühn, verflackern, sinken wie der Mohn?
Wohin der Duft? Und wer bewahrt den Ton?
Hoch flog der Ball im Aufwind junger Jahre.
Nun fällt er schon...?

Ist dies verloren, ist es je geschehen?
Schlaf unter Sternen; Küsten meerumblaut;
der Ströme Wandern; Städte hochgebaut? -
Ich könnte wieder alte Straßen gehen...
Sie wären nicht vertraut.

Wer bin ich, da mir dies entsunken?
Und wer vor dem, das Zukunft mir gespart?
Und wer, vom Winde wach, vom Weine trunken,
inmitten eines Schwarms und dieser Fahrt
von Seelenvögeln und von Geisterfunken?
Gib Antwort, Gegenwart!

Ich bin, ich atme - eines: Mund und Flöte.
Ich spiele mir ein Lied; ich bin das Lied.
Ich bin der Hauch, der durch die Höhlung zieht,
der Spieler und das Spiel, der Leib der Flöte,
der Flöte Lied.

Was frag ich nach dem Lied verschollner Jahre...
Ich bin. Ich atme. Hör ich nicht den Ton?
Hell schwebt die Wolke. Leuchtend brennt der Mohn.
Die Flöte harrt. Laß singen deine Jahre.
Ich hör sie schon.

vlg

EV

Erich Kykal 23.04.2017 13:09

Hi EV!

Ich kannte weder Hagelstange noch das Gedicht, aber es gefällt mir sehr. Es beschreibt die Lage besser und intensiver als meine Zeilen, dieses Verlustiggehen des Staunens, Wunderns, Empfindens und der bewussten Wahrnehmung der Zeit. Vielen Dank für dieses Zuckerl! :)

Zur "Hure" - übrigens das einzige Werk, das ich je auf YouTube gestellt habe (als Auszug aus meiner Doppel-CD mit Gedichten aus dem ersten Buch):
Man ist natürlich nicht immer gleich gut drauf, und man gewichtet Gefühle auch nicht immer gleich - und man ist lyrisch auch nicht immer gleich gut bestrahlt.
Dieser Text hier oben hat einen nüchterneren Angang, einen quasi kopflastigeren, der eher in Sprache schwelgt als verdichtet, lieber ausspricht statt anzudeuten, eher ohne Metaebenen auskommt.

Sei bedankt für deinen ausführlichen und interessanten Kommi!

LG, eKy

Dana 23.04.2017 17:37

Lieber eKy,

mir gefällt das Gedicht sehr, weil es aufzeigt, dass irgendwann die euphorische Freude über den Frühling gar kippen kann.
Man geht den Tag nicht mehr so energiegeladen wie einst an, man dosiert die Unternehmungen und spricht den einst unverstandenen Satz der Großeltern nun selber aus: "Kinder, wie die Zeit vergeht.";)

Die zweite Strophe ist für mich die intensivste.

Noch freue ich mich über jede kleine Blüte, habe schon kleine Waldmeisterduftsträuße in der Wohnung verteilt - und fühle mich doch ausgebremster.
Die Zeit geht und schert sich nicht um Fragen und Antworten - wie wahr.:Blume:

Sehr gern gelesen.
Liebe Grüße
Dana

Erich Kykal 23.04.2017 19:19

Hi Dana!

Wie wahr! Ich kann jetzt leider gar nicht sagen: Wir Älteren müssen zusammenhalten, denn Damen werden ja nicht älter - nur weiser! ;)
Wofür du ein gutes Beispiel sein musst, wie deine Kommis beweisen! :Kuss:Blume:

LG, eKy

Thomas 23.04.2017 21:14

Lieber Erich,

ich habe dein schönes Gedicht erst jetzt entdeckt. Das einzige was mir einfällt ist, dass man in der letzten Zeile statt "die letzte Antwort kann er mir nicht sagen." (6 einsiblige Worte am Schluss) die drittletzte Zeile aufgreifend sagen könnte: "er wird auch keine letzte Antwort sagen." oder ähnlich. Man müsste dann wahrscheinlich das "auch" in der vorletzten Zeile wegbringen, vielleicht duch "heut" der "jetzt" oder...

Liebe Grüße
Thomas

Erich Kykal 23.04.2017 21:51

Hi Thomas!

Ich habe schon selbst über die letzte Zeile nachgegrübelt, aber eine inhaltlich wie klanglich haltbarere Alternative ist mir noch nicht eingefallen.

LG, eKy

juli 24.04.2017 10:03

Hey Eky,

Dieses Gedicht habe ich schon mehrfach gelesen. Ganz spontan fiel mir ein: Du hast den Titel „ Frühling im Leben“. Das beinhaltet für mich auch, dass es noch den Sommer, Herbst und Winter gibt. Aber ich habe schon weitergedacht ohne weiterzulesen. Jede S. nur ein Satz und jede S. beginnt gleich. Das macht nachdenklich und erdet.

Ja, wenn man älter wird, ändert sich der Pulsschlag mit dem wir durchs Leben gehen. Ich beobachte mich dabei, das ich mich mehr freuen und wundern kann, weil ich einfach langsamer geworden bin. Die Horizonte haben sich im Leben mehrfach verändert und dennoch bleiben noch genügend Fragen für den Rest des Lebens übrig.

Die zweite S. finde ich so schön, weil sie in Naturbildern eingefangen ist. :Blume:

Die letzte Antwort weiß wohl niemand. Die Welt fließt einfach weiter.... ob mit einem oder ohne....

Sehr gerne gelesen sy:Blume::)


:Blume::Blume::Blume:


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