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Erich Kykal 31.01.2014 19:27

Der Sandmann erzählt
 
Gewiss, ich weiß, wovon die Menschen träumen,
begreife wohl ihr Wünschen und Erflehen,
kann tief in ihre Seufzerseelen sehen
und Bilder dort, die sie bei Tag versäumen.

Ich weiß die Nacht, in die sie alles räumen,
was sie nicht fassen oder kaum verstehen,
davor sie scheuen mit dem Blick von Rehen,
die sich vor Wolfsgebissen wehrlos bäumen.

Doch niemand fragte je, was ich empfände,
dem ewig sie ihr Sehnen anvertrauten,
das aus dem Käfig ihrer klammen Hände

ihr wahres Wesen, das sie niemals schauten,
mir blindlings hingab bis an jedes Ende
und alle Morgen, die dem Leben grauten.

Chavali 01.02.2014 09:50

Hi Erich,

ein schönes Gedicht, ein wieder klassisches Sonett, über die imaginären Gedanken und Befindlichkeiten
eines fiktiven Träumebringers.
Im übertragenen Sinne gültig auch für Menschen, die sich um andere kümmern,
ohne an sich zu denken und ausgenutzt werden.
Vergleichsweise mit dem Clown, der eine lachende Miene zeigt und keiner weiß,
wie es hinter der Maske aussieht...

Die von dir gewählten Worte wirken ein wenig hoffnungslos für den Sandmann.
So sollte es wohl auch sein.

Sehr gern gelesen und darüber nachgedacht hat mit lieben Grüßen
Chavali

Erich Kykal 01.02.2014 12:08

Hi, Chavi!

Es ist eines von jenen Gedichten, die ich einfach irgendwie beginne, bloß mit einer wohlklingenden Zeile, einer interessanten Einstiegsphrase. Da habe ich noch keine Ahnung, wo die Reise hingeht. Während des Weiterdichtens kristallisiert sich dann erst eine vage Idee, sodann ein immer ausgefeilterer roter Faden heraus, an dem ich mich durch die Zeilen hangele. Die Idee mit dem Sandmann kam mir hier erst am Ende des 2. Quartetts. Davor hatte ich vage daran gedacht, die Sache autobiografisch zu gestalten, oder jemanden sprechen zu lassen, der mit den Träumen und Wünschen der Menschen Geschäfte macht und/oder sie übel ausbeutet. Keine Ahnung also, was mein Hirn da beim Dichten so macht, aber so funktioniert das bei mir.;)

Ich dachte mir, so ein Sandmann - wenn es ihn denn gäbe - wäre ja dann nicht nur für unschuldige Kinderträume zuständig, sondern auch für die wesentlich "saftigeren" Traumfantasien der Erwachsenen. Dabei kann man sich allerdings rasch mal wie ein Abfalleimer für seltsame bis abartige menschliche Seelenbedürfnisse fühlen - wie ein Polizeipsychologe oder Profiler, der im Zuge der Ermittlungen einmal zu oft versucht, sich in die Gedankenwelt eines Kindermörders oder eines sadistischen Vergewaltigers zu versetzen!
Und dann fragt man sich eben: Und wer betreut den Betreuer?

Vielen Dank für deine lieben Worte!

LG, eKy

Falderwald 02.02.2014 06:35

Servus Erich,

nun, ich kann mir vorstellen, dass der Sandmann in einer Zwickmühle sitzt.
Auf der einen Seite streut er den Menschen Sand in die Augen, auf der anderen ist er bei all ihren Träumen und verdrängten Gedanken in der Nacht zugegen.
Und wenn ich mir vorstelle, was da auf den armen Kerl so alles einströmt, dann könnte er einem wirklich nur leid tun, denn die ganzen Psychosen, Neurosen, Phobien etc. quasi mit zu erleben, das wird ihn wohl ziemlich mitnehmen, denn er ist ja ein Telepath und kann sich vor diesen Dingen kaum abschirmen.
Da kann ich mir schon denken, dass er in diesem Trauma gefangen ist.

So kann es freilich auch sensiblen Menschen ergehen, die all das Leid um sich herum auf dieser Welt kaum noch ertragen können und an der Dummheit der Menschheit langsam aber sicher verzweifeln.

Wie man also sieht, ist der Sandmann nicht nur das liebe Sandmännchen, welches den Kindern süße Träume einstreut, sondern ein ziemlich geplagtes Wesen, das sich ständig im Unterbewusstsein der Menschen wieder findet.

Das musste er mal in einem einwandfreien klassischen Sonett aussprechen.


In diesem Sinne gerne gelesen und kommentiert...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

Erich Kykal 02.02.2014 09:38

Hi, Faldi!

Du hast den Kern der Sache wohl durchleuchtet! Auch dein Extrapolieren auf sensible Gemüter, die an der Verrohtheit, Dummheit, Intoleranz, Kleingeitigkeit und Gier der Menschen, also dem banalen alltäglichen Bösen aus niederen Motiven, krümelweise zerbrechen, geht ins Schwarze. Ein wahrlich bereichernder Aspekt. Touché!

LG, eKy


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