Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 28.01.2013 12:42

Die längsten Wege
 
Wie oft wir auch die ganze Welt umarmen,
sie kennt uns nicht in ihrem alten Gange,
wir frieren fest an ihrer harten Wange -
ihr kaltes Lasten weiß uns kein Erbarmen.

Wie oft wir auch einander zärtlich bange
die Seelen zeigen, diese seltsam warmen
Behauptungen von Sinn in einer armen,
entseelten Umwelt - es hilft niemals lange.

Wir gehen immer nur die unbewachten,
die längsten Wege, die dem Licht zu minder
erscheinen, das wir zage dorthin brachten.

Wir bleiben immer die verwaisten Kinder
der toten Götter, die wir uns erdachten.
Wir bleiben immer die verstoßnen Sünder.

fee 29.01.2013 20:39

Philosophisch harter Tobak, lieber Erich!

Ich habs jetzt schon mehrmals gelesen (an verschiedenen Tagen) in der Hoffnung, dieses Gedicht irgendwann so "verkraftbar" lesen zu können, dass mir dazu auch ein Kommentar möglich ist, der mehr sagt als "selten hat mich ein Text trostloser zurückgelassen als dieser". Naja - eigentlich noch nie.

Denn was dein Sonett kann, ist nicht ohne: es tritt im Tonfall selbst völlig unge-und -berührt auf - gleichsam dieser Welt, die im Gedicht da als das enttarnt wird, was sie vermutlich auch ist (was aber kaum jemand gerne so wahrhaben möchte) - seelenlos und bloß durch uns als "Mutter Erde" oder anderweitig beseelt wahrgenommen. Wir sind es, die finden, was wir sehen wollen. Und irgendwo ahnen wir wohl, dass eigentlich wir uns selbst die Götter sind, als deren Kinder wir uns fühlen möchten...weil wir eine Sinn-Leere einer Natur, deren Teil wir - zum Denken und vor allem Hinterfragen verdammt - selbst sind, nicht aushalten - würde sie doch bedeuten, dass wir schutz- und eigentlich bestimmungslos (=ohne übergeordnete Wesenheit, die da waltet, denkt und lenkt) unsere Lebensspanne absitzen, -gehen oder -rennen. Wie Ameisen - bloß will unser Geist sich da etwas zusammenspinnen, das ihm hilft mit der Erkenntnis umzugehen...tja, wärn wir doch bloß im Paradies geblieben, unwissend, unverdorben, aber dafür sorgen-, angst- und pflichten-frei, wenn auch mit Vitaminmangel (von dem wir aber freilich nichts wüssten und um den wir uns auch gar nicht kümmern müssten).

Das ist ein gradezu böses Gedicht, Erich! ;)
Wie kannst du uns das so vorsetzen und dann noch gut schlafen? :D

Aber im Ernst: es ist starker Tobak und das vor allem, weil in exakt dieser Form präsentiert - knochentrocken, vom Tonfall her gleichgültig beinah und "ohne Rücksicht auf Verluste" inhaltlich auf den Punkt gebracht.

"Gern" hab ich das nicht gelesen, aber jedesmal mit Frösteln und daher auf gewisse Weise berührt. Kann also nicht schlecht sein, dein Gedicht.

Liebe Grüße,

fee

Erich Kykal 29.01.2013 22:01

Hi, fee!

Vielen Dank für soviel Lob!

Wie ich gut schlafen kann? Weil ich kein Problem damit habe, ein sinnfreies Leben zu führen, denn ICH weiß, dass es nur den Sinn haben wird, den ihm zu verleihen ich imstande war, bin und noch sein werde.

Ich bin froh, dass ich nicht an höhere Wesen glaube, die mich womöglich beobachten und bewerten - diese Vorstellung verursacht MIR ein sattes Gruseln!
Dieser verständliche, aber unselige Hang der Menschheit nach Trost und Hut - zu welchem Behufe er sich ja all seine Gottgestalten erfindet - hält sie in geistiger und kultureller Unmündigkeit, weil sie sich immerzu von anderen sagen lassen, was sie zu tun, wie sie zu denken und wovor sie Angst zu haben hätten! Auf diese Art Trost und Hut kann ich gut und gern verzichten!:D

Gerade weil das so ist, kann ich derlei Themen unge- und unberührt umreißen, vielleicht mit leiser Trauer, aber als Beobachter, den all das nicht wirklich tangiert. Mit einem unbeseelten Universum muss man umzugehen lernen - es erfordert durchaus ein gewisses Maß an Selbstsicherheit und Abgeklärtheit - aber man wird eben auch viel Ballast los!

So, und jetzt hör ich auf, so selbstgefällig und arrogant zu schwätzen, sonst hört das Gelächter NIE wieder auf, wenn ich lebenstechnisch das nächste Mal so richtig auf die Schnauze falle!!!;):D

LG, eKy

Dana 04.02.2013 21:01

Lieber eKy,
wenn Erfahrung, Eigenstudium, Nachdenken und gewonnene Überzeugung zu dieser Erkenntnis führen, dann lohnen und belohnen "Die längsten Wege".
Sie befreien von Höllenqualen danach und machen freier für das Sein im Hier und Jetzt.
Fast wunderbar, wenn der Übergang nicht wieder qualvoll wäre.
Weil eben jene, die es wissen, wie o.g. und so, wie es dein prächtiges Sonett besingt, der Masse nicht gönnen wollen. Sie nutzen die "bewährten Phrasen" für ihr eigenes paradiesisches Erdensein. Dazu brauchen sie die Masse, das von fee benannte Ameisenvolk.
Ein wahrhaft herrlich böses Gedicht - wahrhaft unglaublich. ;)

Dein Sonett befreit auch von der Angst, ob es gut wäre, so befreit zu leben. Es spricht ja so viel dagegen. Was???? Diese Erfahrung hat die Menschheit noch nie gemacht. Sie wäre es wert, um aus diesem prophezeitem Chaos das Beste zu machen. Wir haben ja alle Zeit der Welt. ;)

Wieder ganz groß.

Liebe Grüße
Dana

marzipania 05.02.2013 16:37

Hallo Erich,
wenn ich das lese, kann ich kaum glauben, dass es eine Menge glücklicher Menschen gibt. Gerade auch jenseits von Deutschland, der Gegend zweifelnder Verkannter und amourös Verschmähter. Damit meine ich jetzt natürlich nicht dich, auch nicht LyrI, sondern eine Grundhaltung, die mir in bodenständiger Lyrik häufig auffällt.
Aber es gibt auch andere, wilde, ungezähmte Kunst, Maler und Dichter, die kraftvoll Ausdruck suchen, die (auch) im Lachen leben und zwar in einem lauten. -
An der Kunstfertigkeit deines Sonetts ändert dies nicht. - In meinen Augen ein todtrauriges, aber gelungenes Werk.
LG, M.

Erich Kykal 05.02.2013 19:01

Hi, Dana, Marcy!

Vielen Dank für eure Gedanken. Ich wollte hier auf folgendes hinweisen:

Wir Menschen als solche machen es uns immer unnötig schwer: Das Leben könnte so reich und bereichernd sein, wir aber erfinden Religionen und töten einander im Namen der ultimativen Wahrheit - je nach Standpunkt.

Wir könnten einander lieben und achten, aber stattdessen gibt es Ehrenmorde (Geschwister, sprich Brüder, töten auf Geheiß des Vaters wegen behaupteter Unehre die eigene Schwester - so als hätten sie ein Recht dazu!) und jede Menge anderer Nettigkeiten wie Rassenhass, Vergewaltigung, Erniedrigung, Mord... die Liste ist lang!

Und das sind wiederum nur 2 von vielen Beispielen!

Dabei bedürfte es fast überall nur einer kleinen Verschiebung im eigenen Oberstübchen, und alle die sog. Gründe für all das wären obsolet - denn man nimmt nur wichtig, was man sich selbst wichtig macht!

Die Liebe (das "Einander die Seelen Zeigen", deren Existenz hier ebenfalls hinterfragt wird), ändert nichts daran, dass es diese "dunkle Seite der Macht" immer in uns geben wird. Selbst ein Hitler hat - auf seine soziopathische Art - vielleicht wirklich tiefer für Fräulein Braun empfunden, vielleicht tatsächlich so etwas wie Liebe. Das macht ihn aber keinesfalls zu einem besseren Menschen!
Deshalb funktioniert die geläufige Gegenüberstellung von Gut und Böse, von Hass und Liebe so auch nicht - außer in Filmen, weil wir es gern so sehen wollen und dafür Geld bezahlen...:rolleyes:

Wir gehen eben immer die unbewachten, die längsten Wege zu Einsicht, Erfahrung und Weisheit. Die Schuld, die wir dort auf uns laden, wird dadurch, dass wir sie möglicherweise zu erhabenen Zielen hin beschreiten, aber nicht kleiner.

LG, eKy


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