Gedichte-Eiland

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Claudi 18.06.2014 22:30

Lesesüchtig
 
Höre ich den Wecker schrillen,
fänd ich leichter aus dem Bett,
wenn ich doch um Himmelswillen
nicht so lang gelesen hätt!

Doch ich kann es halt nicht lassen,
und nach einer solchen Nacht
sind so an die sieben Tassen
Muntermacher angebracht.

Während ich die Stullen schmiere,
höre ich auf Seite drei
schlecht geölte Schrankscharniere
und den ersten Hilfeschrei.

In der einen Hand das Messer,
in der andern den Roman,
fühle ich mich dann schon besser,
doch ich muss zur Straßenbahn.

Und ich hasse diese Wege,
weil es mir den Spaß vermiest,
kommt mir einer ins Gehege,
wenn der Mönch den Papst erschießt.

Wenn ich das Büro erreiche,
bleibt mir wieder nichts erspart,
und ich widme mich der Leiche
erst auf der Nachhausefahrt.

Ausgehungert und entkräftet
greife ich zum Proviant.
Meinen Blick aufs Buch geheftet,
schmeckt der Bleistift nach Krokant.

Schweißgebadet konzentriere
ich mich auf die Obduktion,
und bevor ich’s registriere,
bin ich an der Endstation.

Na, dann folge ich dem Täter
halt zu Fuß und ohne Stopp
einen halben Kilometer
bis zum nächsten Büchershop.

Weil sie mich da gerne sehen,
lassen sie mich auch noch rein.
Ohne Buch ins Bett zu gehen,
fiele mir im Traum nicht ein!

Chavali 19.06.2014 10:35

Liebe Claudi,

da sind ja ordentlich Bonmots drin!
Ich hab mich köstlich amüsiert :D
Meine Lieblinge:
Zitat:

In der einen Hand das Messer,
in der andern den Roman,
fühle ich mich dann schon besser,
doch ich muss zur Straßenbahn.
und
Zitat:

Ausgehungert und entkräftet
greife ich zum Proviant.
Meinen Blick aufs Buch geheftet,
schmeckt der Bleistift nach Krokant.
:o:o:o

Toll gelungen! Sehr gern gelesen!

mitgefiebert und mitgelitten:
Chavi

Lailany 19.06.2014 10:52

Liebe Claudi,
das ist ja köstlich! :D

Du bringst hier einen Schwung rein, bei dem das Nervenkostüm ausfranst. Auch ich hab gezittert und geschwitzt, aber die masochistische Ader in mir hat nach MEHR verlangt. :D

Beide Daumen nach oben für den gelungenen Text und danke für den Lesespaß.
Ich freu mich schon auf die nächsten Gustostückerl aus Deinem Karton. :)

LG von Lai :)

juli 19.06.2014 12:52

Liebe Claudi
 
:D Das ist Lesespaß vom Feinsten !

Ich kann gar nicht sagen welche Strophe meine Lieblingsstrophe ist:rolleyes::D
....


In der einen Hand das Messer,
in der andern den Roman,
fühle ich mich dann schon besser,
doch ich muss zur Straßenbahn.:D

Sehr gerne gelesen:):):)
sy

Falderwald 20.06.2014 03:37

Moin Claudi,

das kann ich alles sehr gut nachvollziehen, denn wir besitzen auch eine riesige Bibliothek, die zum großen Teil noch zu lesen ist.
Wenn ich mich einmal in ein Buch eingelesen habe, dann kenne ich auch kein Erbarmen mehr, dann muss ich das durchziehen bis zum (bitteren) Ende.

Krimis lese ich zwar weniger, aber wenn ich einen guten in die Hand bekomme, bin ich auch nicht mehr zu stoppen.
Neben den üblichen Klassikern, wissenschaftlichen Abhandlungen und der Philosophie bevorzuge ich ein Genre, über das viele Leute nur verächtlich die Nase rümpfen, weil sie es für Literatur minderer Qualität halten: Science Fiction. Ich kann aber garantieren, dass dem nicht so ist, denn es gibt einige wirklich ausgesprochen gute Autoren, die dieses Handwerk hervorragend beherrschen.

Dein Text hat mir auf jeden Fall gut gefallen, er ist witzig und gut durchdacht, erzählt er doch eine Geschichte, die einen "normalen" Tag im Leben einer Lesesüchtigen beschreibt. Das fängt mit dem Wecker an und höt mit dem Gang ins Bett auf.

Sehr schön.


Gerne gelesen, gelacht und kommentiert...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

Narvik 24.06.2014 14:55

Hallo Claudi,

dieser Sucht fröne ich auch, obwohl es mich heute sehr anstrengt, da meine Augen nicht mehr so wollen wie ich. Ich glaube, wenn ich die Bücher, die ich in meinem Leben verschlungen habe, übereinanderstapeln würde, ergäbe das einen ganz schönen Turm. Deinen Zeilen kann ich nur zustimmen, denn auch ich habe bei einem guten und spannenden Buch nicht mit dem Lesen aufhören können und bis tief in die Nacht hinein geschmökert.
Sehr zum Leidwesen meiner Mitmenschen teilweise, muss ich zugeben, weil ich mich nicht davon lösen konnte. Insofern kann ich mich sehr gut in deinem Gedicht wiederfinden. Das hast du anschaulich und mit viel Selbsthumor beschrieben.

Herzliche Inselgrüße

Narvik

Claudi 24.06.2014 16:37

Vielen Dank für Eure netten Kommentare, Ihr Lieben! :)

Chavi, Eva, Sy, Faldi, Narvik,

seid mir bitte nicht böse, wenn ich Euch hier in einem Rutsch antworte. Ich habe mich wirklich sehr über Euer Gefallen an diesem Oldie, der nun schon fast 20 Jahre auf dem Buckel hat, gefreut!

Liebe Grüße
Claudi

Dana 27.06.2014 17:24

Hallo Claudi,

Lesevergnügen pur - und so gar nicht schlafraubend.:D

Mir gefällt der Schwung darin besonders gut und mir kam eine Kindheitserinnerung hoch. Vielleicht kennt ihr "jungen Dinger" das nicht mehr und wenn, dann aus Romanen:;)

In meiner Kindheit musste Strom gespart werden und nicht selten galt Lesen als pure Zeitverschwendung.:eek: (Es war nicht in Deutschland, nur so zu meinem Schutz. Bin noch nicht über 100 :D)
So hat man unter dem "Zudeck" gelesen - und jetzt haltet euch fest. Nicht mit Taschenlampe ausgerüstet, nein mit einer Kerze. Das geht, wenn alle schlafen. Die Kerze stand am Boden und dort lag auch das Buch. Das Zudeck deckte nur den Kerzenschein im Zimmer ab, gekonnt übergeworfen.

Heute kann ich nur sitzend lesen. Im Bett wirkt jedes Buch wie eine Schlaftablette. Nach höchstens fünf Seiten bin ich weg. (Sicher liegt es daran, dass ich im Bett nicht mehr wie gewohnt "kopfüber" lese.:D

Dein Gedicht hat mir große Freude bereitet.

Liebe Grüße
Dana

Claudi 17.07.2014 04:48

Liebe Dana,

auch Dir vielen Dank für Deinen netten Kommentar und Deine Kindheitserinnerungen. Tut mir leid, dass ich erst heute antworte. Ich hatte es mir vorgenommen und mir dann eingebildet, es schon getan zu haben. Dich kopfüber lesen zu sehen, hat einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen und dass Dir das olle Ding gefallen hat, freut mich sehr. :)

Liebe Grüße
Claudi

Sidgrani 03.08.2014 07:44

Liebe Claudi,

aus deinem frühen Werk spricht die große Freude am Lesen. Auch ich habe früher diverse Bücher in einer Nacht verschlungen, Müdigkeit kannte ich damals noch nicht. Heute schaffe ich im Bett noch nicht einmal zwei Seiten und ertappe mich regelmäßig dabei, dass ich überhaupt nicht mehr weiß, was ich da gerade gelesen habe. Vielleicht sollte ich es einmal mit "Shades of Grey" versuchen, vielleicht hält mich dieses Buch wach. :D

Dein locker zu lesendes Gedicht hat mich stark an "Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett" erinnert. Es sprüht zudem über von all den kleinen "Missgeschicken", die die "Außenwelt" bereit hält, um die Leseratte zu ärgern.

Prima, das habe ich sehr gerne gelesen und mir vorgestellt. :)

Liebe Grüße
Sid


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