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wolo von thurland 12.11.2014 21:42

Die Schaukel im Park (Hommage à G.Belli)
 
Die Schaukel dort im Park - wie sehr
erinnert sie an meine alte Liebe
zu einer Welt, die, wenn ich sie beschriebe,
ein bisschen dunkler wär und nicht so leer,

ein bisschen nicht so kalt, voll Mitgefühl
mit jenen, die im Glanze der Maschinen
durchs Leben darben, unter Blechlawinen
verschüttet und im Cyberworld-Gewühl.

Und trotzdem denk ich Wörter ohne Seele,
die zwar bei fremdem Schmerz gefühlvoll weinen,
sobald sie aber auf dem Schirm erscheinen,
ist mir, als ob ein wenig Weichheit fehle,

ein wenig weiche Haut, die Prise Glück,
das Quäntchen Leidenschaft, ein Hüftschwung, Adern,
mit Blut gefüllt... Nun wohl, man soll nicht hadern,
doch schau ich zweifelnd in den Park zurück.

Erich Kykal 12.11.2014 23:13

Hi, wolo!

Ein sehr lyrischer, fließender Stil - gefällt mir sehr gut!

Die Anmerkungen:

S2Z3 - Ein Leben kann man führen, man kann in diesem Leben darben - aber ein Leben darben kann man nicht. Falsch verwendet!
Zudem wird in dieser Zeile von Lawinen gesprochen, die allerdings ohne Zuordnung bleiben, unerklärt bleiben: Lawinen wovon, woher, woraus???

Für eine historische Vergangenheit, an die sich das LyrIch hier erinnert, ist der Begriff "Cyberworld" bestenfalls verwirrend: Wie lang kann das her sein, wenn es schon Computer gab, virtuelle Realität??? Oder: Redet der jetzt von der Wirklichkeit oder einer Szenerie in einem Computerspiel???
Um ehrlich zu sein - genau diese Fragen stelle ich mir auch angesichts dieses Ausdrucks.

S3Z4/S4Z1 - Hier wiederholst du "wenig weich-" fast direkt hintereinander. Absicht?

In der Conclusio schaut das LyrIch "fragend" zurück - warum fragend? Welche Frage wohl mag es sich stellen? Der ganze Text ist beschreibend, nie fragend formuliert, daraus lässt sich also keine Erklärung ableiten. So hängt die Conclusio etwas in der Luft, wie ich finde, wirft eine weitere Frage auf, die nicht mehr beantwortet werden kann.


Dennoch sehr gern gelesen - deine allgemeine Sprachhabung nötigt mir Respekt ab, unter anderem gehst du sehr gekonnt mit dem Konjunktiv um.

LG, eKy

wolo von thurland 13.11.2014 08:11

Hallo Erich Kykal

Danke für deinen genauen Blick auf meine Verse. Ich habe mal einiges geändert, wozu du was angemerkt hast. (s.o.)

Meine Anmerkungen:

ein Leben darben - geändert, obwohl ich sehr gerne der erste wäre, der so was "in dichterischer Freiheit“ neu in die Sprache einbringt, und auch meine, dass das eigentlich zulässig sei. Ob es allerdings hier „passt“, ist eine andere Frage.

Lawinen - dazu teile ich voll deine Meinung. Habe ein wenig daran herum repariert, ein ungutes Gefühl von Reimzwang bleibt aber.

Cyberworld - Blick auf die Gegenwart. Nicht auf die „Schaukel im Park“. G.Bellis Gedicht zeichnet eine Schreibende, welche Vergangenheit und Modernität vergleicht und gegeneinander abwägt (und darin das Bild von der „Ewigkeit der Schaukeln im Park“ verwendet). Ich hoffe, dass dieses Missverständnis nicht an meiner Schreibweise, sondern an deiner Leseweise lag.

wenig weich - Absicht. Um ein wenig Struktur zu schaffen durch die Wiederaufnahme des doppelten „ein bisschen“ beim früheren Strophenübergang.

fragend - vielleicht trifft „zweifelnd“ eher das Gewünschte? Zweifel wurden zwar auch keine beschrieben, aber die „Beschreibung“ ist doch gar keine, da sie im Konjunktiv geschieht.

War mir ein Vergnügen, aufgrund deiner Kritik einmal genauer anzuschauen, was ich da eigentlich geschrieben habe.

Gruss
wolo

Erich Kykal 13.11.2014 09:12

Hi, Wolo!

Die "Blechlawinen" sind eindeutig eine wesentliche Verbesserung!:) Dasselbe gilt für die Änderungen in der Schlußzeile.

S2Z4 würde ich um der Verständlichkeit willen (ein Hilfszeitwort kann nicht schaden) so formulieren: "verschüttet sind im Cyberworldgewühl."

Zudem noch eine - wie ich finde - sprachlich elegantere Version von S1Z4:
"ein bisschen dunkler wäre, nicht so leer," - so vermeidet man die gemeinsprachlich wirkende Verkürzung.

LG, eKy

PS: Es hülfe dem Leser ungemein, könnte er den Belli-Text, der dich offenbar inspirierte, ebenfalls hier lesen. Ohne den Titel des Gedichtes findet man es ja nicht mal...

wolo von thurland 13.11.2014 15:14

s2z4 ist mit dem "sind" so, wie es ursürunglich war. zusammen mit den blechlawinen geht dies m.e. aber nicht mehr, weil es in der cyberworld keine blechlawinen gibt. höchstens cyberblechlawinen.

wenn ich zugunsten des endungs-e von "wäre" auf das "und" verzichte, setzt das "nicht so leer" dem "ein bisschen dunkler" quasi gleich. ob ich das passend finde, frage ich mich noch. im übrigen habe ich nichts gegen "gemeinsprachliches", so lange es im rahmen von "wär" statt "wäre" bleibt.

das lange gedicht (?) von g.belli. gibt es nicht im internet. nur auf youtube in einer schlecht verständlichen originalfassung, gelesen von belli. sorry.

wolo

Mr. @ 13.11.2014 20:05

Hi Wolo,

schade, dass die Originalversion nicht mehr dort steht.
Die hatte ich mir gestern noch im wahren Sinne des Wortes zu Gemüte geführt.
Einiges von dem, das du nun korrigiert hast, vermisse ich ein wenig.
Dazu zählte z.B. unbedingt „ein Leben darben“ Das fand ich geradezu genial. Das ist die dichterische Steigerung. Für mich heißt das, dieses Leben ist von Anfang bis Ende ein großer Mangel. Für mich das genau dort hin.


Was empfinde ich?

Da sitzt jemand in seinem Büroturm, entscheidet wohlmöglich mit einem Mausklick über Schicksale, wohlmöglich über Schicksale von Menschen, die ebenfalls in Bürotürmen sitzen. Oder von Menschen, z.B. in Industriebetrieben, am Band, die verzweifelt hoffen, dass ihnen ihr Arbeitsplatz nicht als nächstes unter dem Hintern weg rationalisiert wird. Freude an der Arbeit, am Schaffen, im wahren Sinne des Wortes? Schon längst nicht mehr! Alles das geschieht mehr oder weniger anonym. Er blickt in den Park und fragt sich angesichts der Parkidylle: "Bin ich noch in der realen Welt? Will ich das alles noch? Wo bleibt Menschlichkeit? Wo bleibt das persönliche Gegenüber? Wo sind noch echte Emotionen, ehrliche Freude? Aber was solls? Ich mache meinen Job und mir geht es gut damit. Andererseits… ?" Schön finde ich dieses geheuchelte Mitleid:

...Und trotzdem denk ich Wörter ohne Seele,
die zwar bei fremdem Schmerz gefühlvoll weinen...

„Solang es nicht mich trifft; Scheiß drauf!“
So gesehen, hätte auch der fragende Blick in den Park für mich gepasst. „Will ich das so?“
Die Wiederholung „ein bisschen“ stört mich überhaupt nicht. Das ist, im Gegenteil, klug eingesetzt, finde ich. Ein schöner Übergang in die nächste Strophe, die ich nicht als „doppelt gemoppelt“ empfinde.

Aber über Geschmack lässt sich ja bekanntlich trefflich streiten.
Mir hat es jedenfalls gut gefallen, auch wenn es möglicherweise ganz anders empfunden werden sollte

Gern besenft

LG Mr. @

wolo von thurland 14.11.2014 09:15

Hallo Mr.@

Danke sehr für deine Rückmeldung.
Ich habe mein "Original" noch gefunden und stelle es hier ein.
Ich finde es spannend, dass dir genau jene Stellen gefielen, welche Erick Kykal eher unpassend schienen.
Nun bin ich mir unsicher, was wohl besser ist. Aber solche Unsicherheiten mag ich sehr.

Gruss
wolo

Die Ewigkeit der Schaukeln im Park (hommage à G.Belli)

Die Schaukel dort im Park - wie sehr
erinnert sie an meine alte Liebe
zu einer Welt, die, wenn ich sie beschriebe,
ein bisschen dunkler wär und nicht so leer,

ein bisschen nicht so kalt, voll Mitgefühl
mit jenen, die im Glanze der Maschinen
ein Leben darben, unter den Lawinen
verschüttet sind im Cyberworld-Gewühl.

Und trotzdem denk ich Wörter ohne Seele,
die zwar bei fremdem Schmerz gefühlvoll weinen,
sobald sie aber auf dem Schirm erscheinen,
ist mir, als ob ein wenig Weichheit fehle,

ein wenig weiche Haut, die Prise Glück,
ein Quäntchen Leidenschaft, ein Hüftschwung, Adern,
mit Blut gefüllt... Jedoch, man soll nicht hadern,
ich schau nur fragend in den Park zurück.

Dana 21.11.2014 01:00

Hallo Wolo,

es ist nicht mehr so einfach. Ich lese "schiebend" die Erstversion und die im Einzelnen korrigierte.
Doch davon abgesehen. Die Hommage beeindruckt zutiefst und ebenso dein Sprachgefühl. Die Kommentare bestätigen es.
Ich nehme hier die "Urversion", weil "ein Leben darben" sich für mich lyrisch und verständlich anfühlt - ich mag diese Aussage, zumal es um Welten geht, die der Autor in Unterscheidung verdichtet.

Bevor ich meine gedanklichen "Verbesserungen" einbringe, lasse erst mein Lob für ein Gedicht gelten, so wie es da steht. Die Wiederholung von ein bisschen ist sogar notwendig und betont.

Liebe Grüße,
Dana

Die Schaukel dort im Park - wie sehr
erinnert sie an meine alte Liebe
zu einer Welt, die, wenn ich sie beschriebe,
ein bisschen dunkler wär und doch nicht leer.

Ein bisschen nicht so kalt, voll Mitgefühl
mit jenen, die im Glanze der Maschinen
ein Leben darben, unter den Lawinen
verschüttet sind im Cyberworld-Gewühl.

Und trotzdem denk ich Wörter ohne Seele,
die zwar bei fremdem Schmerz gefühlvoll weinen,
sobald sie aber auf dem Schirm erscheinen,
ist mir, als ob darin die Zartheit fehle,

ein wenig weiche Haut, die Prise Glück,
ein Quäntchen Leidenschaft, ein Hüftschwung, Adern
mit Blut gefüllt... Jedoch, man soll nicht hadern,
ich schau erinnernd in den Park zurück.

vedena 21.11.2014 12:43

Hallo Wolo,

das ist eine sehr gefühlvolle - ich möchte fast sagen - Ballade über Vergangenes, über andere Zeiten, die vielleicht nicht besser waren, aber mit mehr Nähe zum Menschen.
Dein Erzähler will nicht klagen, auch nichts verbessern, er stellt nur fest, dass Wörter und Erzähltes am Bildschirm (im Computerzeitalter) an Gewicht und Wärme verlieren.
Der hin- und herschwingende Rhythmus passt vortrefflich zum Bild der Schaukel im Park. Den letzten Vers finde ich wunderbar melancholisch und es bleibt ein eindringliches Bild zurück.

Es gibt sogar Studien, die beweisen, dass alles, was man am Bildschirm liest, weniger in Erinnerung bleibt, als das, was in einem Buch gelesen wird - sozusagen auch haptisch erfahren wird. - Das fiel mir beim Lesen deiner schönen Zeilen ein. Schon irgendwie interessant, weil man in der Straßenbahn kaum noch jemand mit einem Buch sieht, nur noch diese 'e-books'.

Ich hab dein Gedicht wirklich gern gelesen.

LG vEdenA

Claudi 24.11.2014 15:30

Hallo Wolo,

da hast Du was Feines gemalt und den Bildern mit den umarmenden Reimen einen angenehm weichen Rahmen gegeben. "Ein Leben darben" finde ich einfach wunderbar! Darauf würde ich auf keinen Fall verzichten, es sei denn, Du hättest eine noch geeignetere Fassung für dieses kleine Juwel im Auge. Hier finde ich es durchaus passend.

Das Spiel mit den "ein"- Konstruktionen finde ich sehr gelungen, weil es hier gleichermaßen als Strukturgeber und Weichzeichner dient. Es beginnt mit "zu einer Welt" und setzt sich mit

ein bisschen
ein bisschen
ein Leben
ein wenig
ein wenig
ein Quäntchen

fort, was ein weiteres Argument für das Beibehalten von "ein Leben darben" liefert.

Die Blechlawinen sehe ich auch als Verbesserung. Sie geben zusammen mit den Maschinen, dem Schmerz, den Adern und nicht zuletzt dem "Leben darben" einen schönen Kontrast zur Weichheit.

Die einzige Formuliereung, zu der ich Dir nichts Konkretes sagen kann, ist das "Jedoch" in S4V3. Mir scheint sie eine Spur zu hart, und ich würde wie Erich hier einen weicheren Übergang wählen. "Nun wohl" wäre nicht meine Sprache, bei mir liefe es eher auf "nun denn" oder "nun ja" hinaus. Hier würde ich ganz genau schauen, wie Du es sagen willst, denn gerade solche kleinen Schnipsel prägen doch sehr die persönliche Handschrift.

Wie Du siehst, bin ich recht angetan von Deinem Werk und habe mich gerne damit beschäftigt.

Liebe Grüße
Claudi


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