Gedichte-Eiland

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Sidgrani 03.01.2016 08:07

Jahresringen
 
Da das greise Jahr gegangen,
fang ich frisch von vorne an.
Fort sind alle Würgeschlangen,
ich bin frei wie Peter Pan.

Alte Fehler werd ich meiden,
neue kommen früh genug.
Will nicht klagen, will nicht leiden,
noch bin ich auf Höhenflug.

Ich will stets zu Höh’rem streben,
Ikarus würd mich verstehn.
Gläser hoch und Vollgas geben,
nie mehr bang nach hinten sehn.

Ist auch dieses Jahr entschwunden,
bin ich hoffentlich noch hier,
lecke wieder meine Wunden;
das geht so, bis ich krepier.

Erich Kykal 03.01.2016 11:39

Hi, Sid!

Dem protzenden Optimismus deiner Zeilen ist eine gewisse Hintersinnigkeit nicht abzusprechen: Eine stille Kritik an dieser Einstellung, die nie nach hinten blickt, somit kaum fähig scheint, aus Fehlern zu lernen, sich blind einem Aktionismus und Fortschrittsglauben verspricht, nur um die Defizite im eigenen Handeln nicht wahrnehmen zu müssen.
Liege ich richtig?

Sehr gern gelesen!:)

LG ,eKy

Chavali 03.01.2016 11:57

Lieber Sid,

ich lese aus deinem Gedicht eher ein ironisches Zurschaustellen der guten Wünsche zum neuen Jahr, die man allenthalben
für die Öffentlichkeit propagiert, um nicht zugeben zu müssen, dass es in jedem neuen Jahr so weitergeht wie bisher,
ohne dass sich was (das meiste jedenfalls) ändert :D

Die Aufgabe der Sommervögelgruppe war dieses Mal die Suleikaform im Kreuzreimschema abab.

Gelungen,
meint mit lieben Grüßen
Chavali

Bodo Neumann 03.01.2016 12:53

Hallo Sidgrani,

über die Form müssen wir wohl nicht groß reden, die ist ja nun nicht so kompliziert, als dass ein erfahrener Fuchs wie du darüber stolpern könnte. Aber es kommt darauf an, was man daraus macht. Und deine Idee finde vor allem wegen der lapidaren Pointe sehr gelungen.:D

Interessant sind die unterschiedlichen Lesarten der bisherigen Kommentatoren, die ich beide verstehen kann. Dennoch höre ich eine andere Stimme. Deinem LI ist vollkommen klar, dass es nicht alles erreichen wird, was es sich vornimmt und es gaukelt auch keinem anderen etwas vor. Sein Ziel ist es, auch dem nächsten Jahr ein Schnäppchen zu schlagen (indem es noch da ist, während das Jahr gehen muss!). Und es weiß, dass ihm das nur gelingen wird, wenn es optimistisch in die Hände spuckt und einfach loslegt. "Neues Jahr - neues Glück", "was kümmern mich die Talsohlen vom letzten Jahr?!" - Mir gefällt diese Haltung.:) Ist sie nicht letztlich diejenige, die inneres Glück hervorruft?

Natürlich, Erich, schaut der Weise zurück, reflektiert eigenes Handeln, lernt aus Fehlern (aber Achtung: in S2V1 tut Sids LI das auch!) und wird sich dadurch objektiv (für alle sichtbar) immer weiter verbessern. Aber Glück muss damit nicht zwangsläufig einhergehen.

Vielen Dank für diesen hoffnungsvollen Ausblick

Bodo

Nachteule 03.01.2016 14:01

Hallo Sidgrani,

mich stört etwas, dass du, bis auf in der letzten Strophe, immer dem Schema V1,V2. V3, V4. folgst. Das hackt ab und nimmt jede Überraschung. So wird das Reimschema auch die Vorgabe für den Satzbau und direkt danach ist aus. Zwar beginnt auch beim Jahr immer alles von Vorne, aber das dauert länger. ;)

Den ersten Vers würde ich anders schreiben, weil mir die Ellipse nicht gefällt. Wenn du "Ist das greise Jahr gegangen" schreibst, dann ist das keine Ellipse mehr und allgemeingültiger, weil es sich auf alle Jahre bezieht.
Der zweite Doppelvers gefällt mir auch nicht wirklich, aber da fällt mir keine Verbesserung ein. :D

Zitat:

Will nicht klagen, will nicht leiden,
noch bin ich auf Höhenflug.
Müsste es nicht "im Höhenflug" heißen?

Zitat:

Alte Fehler werd ich meiden,
Das hier genügt mir auch, um dem lyrischen Ich zu unterstellen, dass es reflektiert und zurückschaut, sonst könnte es die Fehler nicht vermeiden.

nächtlicher Gruß, gutes nächtle und carpe noctem
Nachteule

Lailany 06.01.2016 10:41

Lieber Sid,
fröhliches, keckes Textlein nach dem Motto: Frisch gewagt ist halb gewonnen (oder so ähnlich).
Bei der Interpretation gehe ich mit Bodo konform. Zudem ist es genau die, die auch mich durchs neue Jahr begleiten wird. Und im nächsten.... so lange, naja, bis eben der dürre Schnitter vor mir steht.

Der Inhalt passt gut zur Suleikastrophe - und umgekehrt. Rundum gelungen.

Sehr gern gelesen und besenft. :)

LG von Lai:Blume:


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