Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 31.03.2017 15:55

Der Getriebene
 
Endlos gab ihm seiner Pflichten Reigen
jenen Rhythmus vor, der ihn bewegte
durch verwischter Tage Lärm und Schweigen,
und die Stimmen, die sein Tun erregte,

trieben ihn, sich weiter zu beeilen,
wuchsen ihm zu unerhörten Mienen,
die aus jedem schüchternen Verweilen
ihn verscheuchten wie ein Stich von Bienen.

Rastlos ging sein Leben ihm vorüber,
bis ein Vogel zwitscherte im Baume
und er innehielt und sann darüber,
als erwache er aus einem Traume.

Chavali 31.03.2017 16:51

Servus Erich,

schön hast du die Ruhelosigkeit deines Protagonisten verdichtet.
Alles, was ihn aufhielt, räumte er beiseite, immer weiter, immer vorwärts,
bis er eines Tages erkannte - hoffentlich noch nicht zu spät -
das Leben hat noch mehr zu bieten als ständiges Eilen und Hasten.

Sehr gern gelesen!
Lieben Gruß,
Chavali

fee_reloaded 31.03.2017 17:52

Wie schön, dass dein Getriebener doch noch erleben darf, wie gut es sich anfühlen kann, einfach innezuhalten und - in positivem Sinne - stillzustehen, lieber Erich!

Ich kenne solche getriebenen Menschen auch und sehe auch oft, wie sie leiden, ohne zu erkennen woran und warum. Stillstand bedeutet für sie so gut wie immer etwas zu versäumen oder nicht "lebendig" zu sein. Wie schrecklich, nie zur Ruhe kommen zu können, weil man Unproduktivität als Versagen empfindet und regelrechte Panik davor hat - so als bedeutete das Innehalten den Untergang oder das totale Versagen.

Niemand kommt so auf die Welt - man wird zu einer rastlosen Person gemacht, die letztlich immer auf der Flucht vor sich selbst ist. Wer immer betriebsam ist, gerät nie in die Lage sich seinem eigentlichen Ich zu stellen - mit allen Schwächen, Kanten und Ecken.


Dein Gedicht bringt das sehr eindringlich auf den Punkt.

Gerne gelesen!

Lieber Gruß,
fee

Erich Kykal 31.03.2017 22:31

Hi Chavi, Fee!

Vielen Dank für eure Gedanken zur Materie! Jeder kennt wohl solche Getriebene, und in gewissen Lebenssituationen sind wir womöglich selbst so gewesen.

Was immer an Neurosen oder Traumata solch eine innere Flucht nach außen projizierte - irgendwann muss man innehalten ... oder man geht zugrunde!

LG, eKy

Kokochanel 01.04.2017 08:23

Liber Erich,

hier geht es nicht um einen, der sich selbst treibt , sondern der durch Pflichten getrieben wird. das ist besonders hart. Man kennt es z.B.aus "Pflegesituationen".
Da der Prot aber innehielt, also offenbar den Kreisel doch selbst abstellen konnte, geht es hier vielleicht auch um "selbst auferlegte Pflicht", z.B. der Beste, Stärkste, der Unersätzliche sein zu wollen.
Das ist sicherlich ein krank machendes Element im Leben und dennoch, wenn es zur Selbstdefintion gehört, schwer abzustellen.
Auf jeden Fall ein Thema, über das ich gerne nachgedacht habe und deinen Zeilen gefolgt bin.

Bei der Umsetzung bin ich nicht so überzeugt wie oft bei den typischen KyKals:). Scheint mir etwas flüchtig.
Schau mal als Denkanstoß:

Endlos gab ihm seiner Pflichten Reigen
jenen Rhythmus vor, der ihn bewegte
durch verwischter Tage Lärm und Schweigen,
und die Stimmen, die sein Tun erregte,

"erregen" im Sinn von "motivieren, initiieren" kenne ich nicht. Mag aber im österreichischen Sprachgebrauch anders sein.:).
Die Stimmen: entweder Befehle oder als Befehle, Pflicht Empfundenes von außen an den Prot herangetragen . Auch da wäre mir Stimme zu schwach.
oder die innere Stimme. das wäre dann aber nur eine...

trieben ihn, sich weiter zu beeilen,
"beeilen" finde ich hier zu schwach, da müsste was von gehetzt hin

wuchsen ihm zu unerhörten Mienen,
die " Mienen" hm...

die aus jedem schüchternen Verweilen
ihn vertrieben wie ein Stich von Bienen.
hm : vertreibt einen ein Stich von Bienen? Vertreibt einen nicht eher die Angst vor dem Stich?
Der Aspekt, dass einem die Ausseneinwirkung einen "inneren Stich" gibt, fände ich besser.
Und warum sind die Mienen unerhört, alos kritisch, denke ich mal? Zu dem Zeitpunkt funktioniert er doch noch...

Rastlos ging sein Leben ihm vorüber,
bis ein Vogel zwitscherte im Baume
und er innehielt und sann darüber,
als erwachte er aus einem Traume.


Ich hoffe, du nimmst mir die Kritik nicht übel, aber von dir erwartet man halt "mehr":).

Schmunzeln von Kogo:)
__________________

Erich Kykal 01.04.2017 10:34

Hi "Kogo" (zumindest hast du dich so unterschrieben ... ;))!

Nein, ich nehme keine Kritik übel, es sei denn es wäre ersichtlich, dass sie nur geschrieben würde, um herabzusetzen oder zu verletzen. Beides ist hier nicht der Fall! :)

Auch kann nicht jedes Gedicht immer jedem gleichermaßen gefallen.

Die Stimmen, die sein Tun erregt - das können innere Stimmen sein, die ihn weitertreiben wollen, zB ein soziales Gewissen, die Angst davor, dass andere schlecht von einem denken usw... Ein zu "gut erzogener" Mensch mit schwachem oder durch Indoktrination oder Angst minimiertem Selbstwertgrfühl will gesellschaftlich "perfekt funktionieren". Übersteigerte Arbeitsethik ist ein typisches Symptom - Flucht in Ablenkung, um sich selbst weiter vergessen zu können.
Es können aber auch äußere Stimmen sein, die ihn treiben, um ihn weite ausnutzen zu können - Familienmitglieder, denen man sich verpflichtet fühlt, ein Chef mit Ellbogen usw... Wer sich als übersozial hilfsbereit erweist, wird gern ausgenutzt und für anderer Ziele eingespannt!

Bei deiner Deutung könnten sogar beide Faktoren zusammentreffen: Innere und äußere Stimmen mahnen ihn, sich um jemanden zu kümmern. Wenn der Pflegling das verdient hat, mag es gut gehen, aber in einer Situation von berechnender Ausnutzung und Manipulation von außen und minderwertigkeitskomplexgesteuerter Selbstverleugnung von innen mag es durchaus irgendwann eskalieren.

Mit der Zeit werden die Gesichter derer, denen er sich verpflichtet fühlt wie auch die eigenen übersteigerten ethischen Werte zu Fratzen in Alpträumen, die den Getriebenen plagen und jagen, ein letzter innerer Hilfeschrei der überforderten Seele.

Das Bienenstichbild sollte als solches ein Vergleich sein ("wie"). Ob es nun der - metaphorische - Stich selbst ist oder die Furcht davor, ist irrelevant. Bedeutsam ist die Konsequenz.


LG, eKy

juli 06.04.2017 11:46

Moin Moin eKy
 
Wie leben in einer Gesellschaft in der sich immer mehr Menschen dem schnellen Puls des Arbeitslebens folgen. Oder sie meinten die familienwelt aus den Angeln hebeln zu müssen.:cool:

Ich will nicht Klugschnacken ich kenne auch solche Anwandlungen von mir:rolleyes:, aber ich habe immer noch die Kurve bekommen.:)

Für Viele wird es zur Selbstverständlichkeit Allzeit bereit zu sein.

Hier beschreibst einen Getriebenen. Die Worte klingen und der Sinn ist sofort klar, besonders gut finde ich das hoffnungsvolle Ende!:Kuss

Es ist immer gut, mal zwischendurch Innezuhalten um den Klang der Natur zu folgen.:Blume:

Auch hier ein wunderschönes Gedicht, ganz auf meiner Welle.:Blume:


Liebe Grüße sy

:Blume::Blume::Blume:

Erich Kykal 08.04.2017 16:24

Hi Sy!

Vielen Dank für deine Gedanken und die lieben Worte des Lobes! :):Blume:

Zum Glück war ich nie auf solche Art getrieben - es wäre mir nie eingefallen, Selbstbestätigung aus sozialer oder finanzieller Anerkennung zu ziehen: zu früh hatte ich gelernt, wie subjektiv oberflächlich und grausam ungerecht das Urteil der Menschen ist - ein gemobbtes Kind, auch wenn es selbst eine Teilschuld trägt, lernt derlei rasch und gründlich!

LG, eKy

Eisenvorhang 09.04.2017 15:07

Hallo eky

Das Gedicht empfinde ich sehr rund, von einer sehr versierten Hand geschrieben.

Nun versuche ich mich der Kritik!

Das Einzige, was mir nicht gefällt ist

trieben ihn, sich weiter zu beeilen,
wuchsen ihm zu unerhörten Mienen,
die aus jedem schüchternen Verweilen
ihn verscheuchten wie ein Stich von Bienen.

Mir fällt leider kein adäquater Lösungsvorschlag ein, allein aus dem Grund, weil Du darüberhinaus viel versierter bist als ich.
Ich würde das für anmaßend halten.

Aber: vielleicht irgendwas mit "entgleisen" und "Schienen".
oder:
"ihn verscheuchten wie viele Stiche von Bienen"

"viele" würde das Gefühl der Getriebenheit noch steigern.

Vielleichts bringt es was oder hilft Dir.


vlg

EV

Erich Kykal 09.04.2017 15:52

Hi EV!

Das Gedicht hat fünfhebige Zeilen mit betontem Auftakt und weiblicher Kadenz.

Schau mal, die Zeilen takten so:

ihn verscheuchten wie ein Stich von Bienen.

Auf jede Hebung (fett) folgt eine Senkung im Gleichtakt.

Dein Vorschlag:

ihn verscheuchten wie viele Stiche von Bienen.

Zum einen wären das sechs Heber statt der fünf, welche alle anderen Zeilen haben. Ein rhythmischer Bruch.
Zum anderen müssten, um im Takt zu bleiben, die Worte "viele" und "Stiche" auf der 2. Silbe betont werden (Unterstreichung), was völlig unnatürlich wäre, da beide Worte immer erstsilbig betont sind.

Mit richtiger Betonung der einzelnen Worte läse sich die Zeile aber so:

ihn verscheuchten wie viele Stiche von Bienen.

Wir hätten also einen Hebungsprall (1. Unterstreichung) und einen Senkungsprall (2. Unterstreichung), beides inakzeptable Rhythmusbrüche.

Dein Vorschlag passt also nicht ins Rhythmusschema der Zeile.


Interessanterweise bist du nicht der einzige, der etwas gegen diese Formulierung zu haben scheint, wiewohl sie mir sicher nicht hervorragend, aber auch nicht völlig ungelungen zu sein scheint. Schließlich ist ein möglicher Bienenstich nichts, was einen im Verweilen ruhen ließe, oder?

Nun, ich habe selbst aufgrund der Pepliken über Alternativen nachgedacht, aber ich müsste wohl die ganze Strophe umschreiben, und das ist es mir im Moment nicht wert, nicht zuletzt deshalb, weil mir die betreffende Zeile selbst nicht missfällt.

Jedenfalls danke für deine Gedanken und die positive Resonanz! :)

LG, eKy


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