Gedichte-Eiland

Gedichte-Eiland (http://www.gedichte-eiland.de/index.php)
-   Finstere Nacht (http://www.gedichte-eiland.de/forumdisplay.php?f=18)
-   -   Schicksalsfrage (http://www.gedichte-eiland.de/showthread.php?t=7099)

Erich Kykal 13.06.2011 12:56

Schicksalsfrage
 
Am Wollen ausgekühlt verliere ich im Schatten
ein Weilchen Zeit und suche nach Gedanken,
die nur bedeuteten, solang sie Leben hatten
aus meinem welken Sein, das sie umranken.

Ein sanftgemutes Ahnen ungetrübter Tage
klingt durch die nackten Stunden mir herauf,
und wie ein Sang aus Märchenwelt und Sage
zwingt es die Eisentüren meiner Seele auf.

Was bin ich, dass ich nichts mehr gelten lasse,
das nicht wie ich so seltsam willenlos und kalt
und leer beschreibt, was ich am Leben hasse?
Was bin ich, blindes Schicksal, wenn nicht alt!?

Stimme der Zeit 15.06.2011 16:34

Hallo, Erich:),

dieses Gedicht überträgt für mich eine "spürbare" Düsternis, in diesem Fall würde ich es nicht als "traurig" bezeichnen. Beinahe ein wenig, wie soll ich sagen, "trostlos".(?)

Zitat:

Am Wollen ausgekühlt verliere ich im Schatten
ein Weilchen Zeit und suche nach Gedanken,
die nur bedeuteten, solang sie Leben hatten
aus meinem welken Sein, das sie umranken.
Ich interpretiere diese Zeilen als Audruck des Verlustes von "Antriebsenergie". Das LyrIch scheint sowohl sein "Wollen" als auch die Zeit und, im Sinne der "Energie" die Wärme zu verlieren. Ein "Schattendasein", zu viele Pläne gehegt, die Erfüllung zu vieler Wünsche erhofft, die sich nicht erfüllten. So stellt es sich für mich dar. So wie eine Pflanze verwelkt, welkt auch das "Sein" des LyrIchs dahin, da ihm das "Sonnenlicht" fehlt.

Zitat:

Ein sanftgemutes Ahnen ungetrübter Tage
klingt durch die nackten Stunden mir herauf,
und wie ein Sang aus Märchenwelt und Sage
zwingt es die Eisentüren meiner Seele auf.
Hier wird aus der Erinnerung heraus gesprochen, die sich in die Gegenwart nicht "einfügen" lässt. Es gab doch ungetrübte Tage, es gab sie doch, bevor sie im Nebel der Zeit verschwanden ...
Ein verschwommenes Ahnen, märchengleich, im Nachhinein fast nicht mehr real erscheinend. Denoch öffnet es die Seele, selbst wenn sie durch Eisentore verschlossen sind.

Zitat:

Was bin ich, dass ich nichts mehr gelten lasse,
das nicht wie ich so seltsam willenlos und kalt
und leer beschreibt, was ich am Leben hasse?
Was bin ich, blindes Schicksal, wenn nicht alt!?
"Was bin ich?" - und nicht, "Wer bin ich?". Eine Selbstreflektion, noch verstärkt durch die Wiederholung. Die Empfindung der inneren, kalten Leere und des Verlustes der Willenskraft führt zur Ablehnung des Daseins. Ein solches Leben ist dem LyrIch "verhasst", es fühlt sich (ur)alt. "Blindes Schicksal", eine Mischung aus Ergebung in Machtlosigkeit und Vorwurf: Wurde das LyrIch vom Schicksal einfach "übersehen"?

Die letzte Strophe beschreibt für mich den Tiefpunkt einer Depression. Viele meinen, depressive Menschen wären ständig traurig und/oder am Weinen - dem ist nicht so. Es gibt nur eine (wirklich kalte) Leere, selbst die Fähigkeit zur Trauer würde, so sonderbar das klingen mag, beinahe "glücklich" machen, denn eine Depression bedeutet, den "Zugang" zu dein eigenen Gefühlen zu verlieren. Jedes Gefühl wäre willkommen, egal welches. Wobei es dem Betroffenen bewusst ist, dass er eigentlich etwas fühlten müsste - nur kann er das nicht. Die Tür zu den Gefühlen ist aus Eisen, und "versperrt" den Weg.

Deshalb kann ich nur meine Hochachtung für die Eindringlichkeit dieser Darstellung aussprechen.

Etwas, das ich zum besseren Verständnis verdeutlichen möchte:

xXxXxXxXxXxXx - 13w - 6 Hebungen
xXxXxXxXxXx - 11w - 5 Hebungen
xXxXxXxXxXxXx - 13w - 6 Hebungen
xXxXxXxXxXx - 11w - 5 Hebungen

xXxXxXxXxXxXx - 13w - 6 Hebungen
xXxXxXxXxX - 10m - 5 Hebungen
xXxXxXxXxXx - 11w - 5 Hebungen
xXxXxXxXxXxX - 12m - 6 Hebungen

xXxXxXxXxXx - 11w - 5 Hebungen
xXxXxXxXxXxX - 12m - 6 Hebungen
xXxXxXxXxXx - 11w - 5 Hebungen
xXxXxXxXxX - 10m - 5 Hebungen

Ich stelle fest, dass mich die unterschiedliche Silbenzahl in diesem Werk überhaupt nicht stört, da die "Melodie" trotzdem vorhanden ist, was daran liegt, dass es dennoch beständig 5 oder 6 Hebungen sind. Dadurch und durch die gleichbleibend unbetonten Versanfänge ist ein "Rhythmus" gegeben. Es "klingt" gut! (Das ist zur Verdeutlichung, nicht weil ich das Gedicht ixen wollte, sondern, wie ich gerade gelernt habe: Die Hebungen sind wesentlich wichtiger als die Silbenzahl. Dieses Gedicht ist dafür das beste Beispiel, deshalb wollte ich das darstellen.)

"sanftgemutes" ist sicher eine bewusste "Neuschöpfung", da du meines Erachtens nach das "sanft" haben wolltest, denn eigentlich gibt es dieses Wort nicht. "wohlgemutes" und "sanftmütiges" waren die "Ursprünge", die du miteinander "verwoben" hast, um einen ganz bestimmten Ausdruck zu "erschaffen". Gefällt mir! :)

Sehr gerne gelesen. Ich finde es sehr gelungen, sowohl von der Aussage her als auch vom "Klang". :)

Liebe Grüße

Stimme

Erich Kykal 16.06.2011 12:02

Hi, Stimme!

Wow, da hast du dir aber richtig ausführlich was angetan! Vielen Dank für solch eine exakte Analye - und Dank für den Lorbeer!
Ich hab da eigentlich nix mehr anzufügen: Du hast das Gedicht inhaltlich erschöpfend behandelt (Ich hoffe doch, du warst nicht ZU erschöpft hinterher...;)).
Und du hast erkannt, was mir beim Dichten wichtig ist: Der Klang! Wenn es sich ans Ohr schmiegt und im Sprachrhythmus bleibt, spielen die Silben eigentlich keine Rolle. Ein Gedicht soll WIRKEN, und nicht irgendeiner beschlossenen Art von Perfektion genügen. Die ist oft genug ohnehin langweilig.


LG, eKy


Alle Zeitangaben in WEZ +1. Es ist jetzt 02:35 Uhr.

Powered by vBulletin® (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2025, Jelsoft Enterprises Ltd.

http://www.gedichte-eiland.de

Dana und Falderwald

Impressum: Ralf Dewald, Möllner Str. 14, 23909 Ratzeburg