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Ulrich 19.11.2011 15:31

Das Erschrecken
 
Durch den dunklen Forst geschlichen
und im Schild nichts Gutes führend
kommt der unheilschwangre Gast.
Tritt bedächtig, ohne Hast,
festen Schritts den Grund berührend,
trägt Gewand und Haut verblichen.

Durch der Zweige Dürre bricht er,
zieht entschlossen seine Richtung;
nichts ist, was ihn halten kann.
Doch getroffen, wie vom Bann
steht erstarrt er auf der Lichtung,
wie vor seinem letzten Richter.

Steht, als schnürten ihn Gespenster,
weit die Augen aufgerissen,
furchtgezeichnet, schattengleich,
grausig, hässlich, totenbleich. -
Sieht - sein eignes Bild zerrissen
im zersprungnen Waldhausfenster.


(war zunächst nur als Endreimübung "abccba" gedacht, nun doch noch fast ein Gedicht geworden)

Chavali 19.11.2011 15:54

Hallo Ulrich,

hier zeigst du uns also deinen ersten Text in diesem Forum.
Drei Strophen zu je sechs Zeilen mit dem Reimschema abccba - wie du schon selbst angemerkt hast.
Zitat:

(war zunächst nur als Endreimübung "abccba" gedacht, nun doch noch fast ein Gedicht geworden)
Nun, als Endreimübung würde ich deinen Text nicht bezeichnen, es ist schon ein Gedicht geworden mit etwas dubiosem Inhalt.
Es könnte ein Albtraum bedeuten - aber auch eine Metapher für eine Person, die nix Gutes im Schilde führt.
Etwa ein Räuber, ein Einbrecher oder einfach ein böser Mensch, der seine Mitmenschen erschrecken und ärgern will.
Aber die Strafe folgt ja auf dem Fuße:
Zitat:

Sieht - sein eignes Bild zerrissen
Die Satzverdrehungen in S2 kann man hinwegsehen, das ergibt sich manchmal.
Ich sehe das nicht so streng :D
Zitat:

Durch der Zweige Dürre bricht er,
zieht entschlossen seine Richtung;
nichts ist, was ihn halten kann.
Doch getroffen, wie vom Bann
steht erstarrt er auf der Lichtung,
wie vor seinem letzten Richter.
In Strophe 3 hast du eine Ansammlung von extrem schaurig negativen Worten
Zitat:

furchtgezeichnet, schattengleich,
grausig, hässlich, totenbleich. -
Ich meine, es ist etwas zuviel; aber insgesamt ist es ein ganz netter Text.

Mit Gruß,
Chavali

Stimme der Zeit 19.11.2011 16:44

Hallo, Ulrich,

mich freut es ebenfalls, dein erstes Werk hier zu lesen. Darf ich aber zugeben, dass ich zwar glaube, dass es eine Endreim-Übung ist, aber trotzdem "mehr" dahinter steckt?

Für mich ist die "geheimnisvoll durch den Frost schleichende Gestalt" entweder
  • das Alter
  • der Winter
oder
  • der Tod.

Setze ich einen der Drei an die Stelle des "Protagonisten", dann würde ich dieses Gedicht als ironische Betrachtung lesen. (Ironisch, nicht lustig, darauf möchte ich hinweisen; obwohl das "Erstarrte Dastehen" durchaus einen solchen Effekt hat, wenn z. B. der Tod vor sich selbst erschrickt und dadurch "aufgehalten wird".)

Die andere Sichtweise hat Chavali bereits beschreiben, es kann sich auch um einen Mörder oder Räuber, d. h. um einen Menschen handeln, der "nichts Gutes" im Schilde führt oder um ein "Ungeheuer" aus dem "Reich der Fantasie". (Wobei "nichts Gutes im Schilde führen" wohl auch auf die andere "Lesart" zutrifft. ;))

Wenn ich "ironisch" lese, dann halte ich den gespaltenen Reim in Strophe 2, Vers 1 durchaus für passend; in der anderen Lesart jedoch nicht, da dieser Reim unwillkürlich nicht "ernsthaft" wirkt. (Meine persönliche Meinung, ich würde ihn nur in Humorgedichten verwenden.) Was die von Chavali angesprochene Inversion in Strophe 2, Vers 5 betrifft, sie wäre leicht zu beheben:

Zitat:

Durch der Zweige Dürre bricht er,
zieht entschlossen seine Richtung;
nichts ist, was ihn halten kann.
Doch getroffen, wie vom Bann
steht er starr auf einer Lichtung,
wie vor seinem letzten Richter.
Hier würde mir die Verdoppelung von "steht" im Sinne einer Verstärkung, bzw. Bekräftigung der "Erstarrung" durchaus zusagen. Das ist aber nur ein Vorschlag!

Was Strophe 3, Vers 4 und 5 und die dortige Wortwahl "furchtgezeichnet, schattengleich, grausig, hässlich, totenbleich" betrifft, so kommt es auch hier auf die Interpretation an. In einem "unheimlichen" Gedicht zu viel, in einem ironischen genau richtig, um dem ganzen einen Anstrich von "Absurdität" bzw. "Unglaublichkeit" zu verleihen.

Ich habe dieses Reimschema selbst schon (nicht genau so, aber ähnlich) verwendet, und einen umarmenden Reim einen umarmenden Reim "umarmen" lassen (was für eine Formulierung, ich glaube, die verdichte ich mal irgendwann. :cool:)

Gut gefällt mir das Muster der Kadenzen: ww/ww/mm/ww/ww. Durch die männlichen Kadenzen wird der Inhalt in der Mitte bekräftigt und sie verhindern auch, dass es "eintönig" klingt.

Die Vokale in den Endreimen fielen mir ebenfalls auf. Hell, hell, dunkel, dunkel, hell, hell; hell, dunkel, dunkel, dunkel, dunkel, hell; in Strophe 3 durchgehend hell. Was meine Annahme des eher ironischen Inhalts unterstützt. Zuerst das "Erscheinen", dann wird es "dunkel" und am Ende (etwas "erstarrt", wird "gestoppt") wird es "hell". (Wobei das "a" nicht eindeutig ist, es kann als dunkel oder auch als neutral angesehen werden; ich las darüber schon unterschiedliche Meinungen.)

Da ich in diesem Werk etwas mehr als nur eine "Endreimübung" erkenne, würde ich es für ein Gedicht halten; aber der Autor hat (natürlich) das Sagen! ;)

Gerne gelesen und kommentiert. :)

Liebe Grüße

Stimme http://www.smilies.4-user.de/include..._devil_006.gif

Thomas 20.11.2011 15:40

Hallo Ulrich,

sei gegrüßt auf der Insel. Inhaltlich sind Chavali und Stimme der Zeit ja schon recht ausführlich auf deine 'Übung' (was ich als Understatement auffasse) eingegangen.

Ich sehe in dem Gedicht keine konkrete Person, sondern die Darstellung, wie das Böse gerichtet wird, indem es mit sich selbst konfrontiert wird. Die Reimform würde zu dieser Spiegelung passen.

Schön schaurig ist es auf alle Fälle.

Viele Grüße
Thomas


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