Hi Koko!
Ein schönes, tiefgründiges Werk, bei dem dir Sprachfluss und Sprachbilder wichtiger scheinen als Heberzahlen. In diesem Falle bin ich sogar geneigt, dem zuzustimmen, soweit es die letzte Strophe betrifft. Ich werde dennoch Alternativen anbieten ... ich kann nicht anders.
Die überlange Zeile in S1Z2 könnte man leicht ins Maß zurückholen, indem man das "unterkühlte" durch "kalte" ersetzt.
Wusstest du übrigens, dass ich glaube mich erinnern zu können, genau diese Phrase "der Regen klopft an unterkühlte Fensterscheiben" selbst vor Jahren in einem Gedicht verwendet zu haben? Es kommt mir jedenfalls sehr bekannt vor.
Vorschlag für S1Z4 - Mach aus dem "stille" ein "stiller", das erspart die Verkürzung und wirkt zudem stärker, wie ich finde.
Der Wechsel des Kadenzenmusters zwischen der ersten Str. und den beiden folgenden (wwww - mwwm - mwwm) fällt auf, vor allem auch, weil die Phrase "Sternkleid glanzlos liegt" sprachmelodisch eher kantig daherkommt.
Die 2. überlange Zeile (S3Z1) ließe sich leicht wieder einfangen, wenn man das "lebenslang" durch "stets" ersetzt.
Die Folgezeile ist ebenfalls sechshebig. Eine passende Alternative wäre: "auf seine Schultern legten sie das Schweigen".
In S3Z3 stört mich der Zeitenwechsel, denn dort erwartet der Leser ein "neigten". Natürlich ist deine Version nicht unkorrekt, denn die in der Vergangenheit aufgeladene Belastung wirkt ja bis in die Gegenwart fort, aber man stutzt als Leser einfach erst mal, weil es sich nicht richtig "anhört".
In S3Z4 weiß ich nicht, was oder wer mit "ein jedes" gemeint sein könnte. Wären es die Schultern, müsste es "eine jede" heißen.
Das Kind kann nicht gemeint sein, denn das ist Singular, während "ein jedes" eindeutig Plural ist. Sind mehrere Kinder gemeint, so müsste dies irgendwo platziert werden, denn wenn zuvor im Gedicht immer nur vom "Kind" die Rede war, ist "ein jedes" für den Leser zu wenig, um dem Gedankengang zu folgen.
Klären ließe sich die Stelle so:
die sich darunter wie die Weiden neigen,
und jede stumm, im Nebeldunst allein.
Statt "jede" könnte man auch "beide" sagen, um den Bezug zu den Schultern zu bekräftigen.
Inhaltlich wird hier eine schwere Gewissenslast auf ein Kind geladen. Man denkt - sensibilisiert - sofort an Missbrauch, aber es kann vieles sein, was ein Kind be- oder überlastet. Die Lebenssituation der Eltern (Vater schlägt Mutter, das Kind soll darüber Stillschweigen bewahren), das Fehlen der Eltern (Das Kind hat keinen Ansprechpartner, es schweigt alles in sich hinein, weil sich niemand kümmert), das zu frühe Sich-kümmern-Müssen um kleinere Geschwister (zu früh aufgezwungene Reife und Lebensernst), oder es wurde Zeuge einer Gewalttat eines Nahestehenden und wurde inständig gebeten, darüber zu schweigen ... (das würde auch gut in den Nebel passen) - es gibt unzählige mögliche Szenarios, aber die sind in dem Gedicht eigentlich außen vor - es geht nur um den Mechanismus der Belastung, und was das für das Kind bedeutet, wenn es plötzlich, jäh, roh und unvermittelt aus der "heilen Welt" seiner Kindervorstellungen voller Urvertrauen und dem Glauben an den Sieg der Gerechtigkeit usw. (klare Schwarz-weiß-Trennung!) in die gedanken- und gewissenlose "nebulöse" Welt (Alles Graustufen!) der Wirklichkeit gestoßen wird!
Die meisten kennen solche Momente aus der eigenen Kindheit, mehr oder minder intensiv.
Sehr gern gelesen!
LG, eKy