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Alt 14.08.2017, 14:07   #3
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Walther!

Es ist ein Wortspiel: "Sich selber lernen" in dem Sinne, dass man sich, das eigene Wesen, seine Tiefen und Untiefen, seine Pluspunkte wie seine Mängel auslotet und sich dabei kennen"lernt".

So gesehen "lernen" wir uns das ganze Leben ... (Du musst es auf "uns" betonen, dann verstehst du, wie es gemeint ist).

In dem Gedicht verarbeite ich einerseits durchaus Autobiographisches, andererseits soll es zeigen, dass auch die leiden, die im Vergleich zu jenen, denen es offenkundig schlechter geht bis hin zu bitterer Armut, durchaus nicht glücklicher und lebensfroher sein müssen!
Solche äußeren Parameter definieren "Glück" in keinster Weise - es sei denn für extrem oberflächliche und dumme Menschen, bzw. solche, die die Kehrseite dieser Medaille nie kennengelernt haben.
Es stimmt, ich wurde gemästet, behütet und verwöhnt, hatte viele "Sachen" - aber ich hatte zu funktionieren, schrieb in meinen Ferien hauptsächlich Hefte aus mit dem Lernpensum meines ehrgeizigen Vaters, der mich nicht mal anfassen konnte, obwohl er mich liebte, und fand kaum echte Freunde. Viele Kinder nutzten meinen "Wohlstand" aus, kamen nur zum Spielen, weil ich viel und das beste Spielzeug hatte, und waren plötzlich immer unabkömmlich, wenn ich sie mal gebraucht hätte. So lernte ich, ohne Gewissensbisse zu manipulieren: Wenn man mich ausnutzte, dann konnte ich das auch!
Da meine Eltern völlig unsportlich und schon im Pensionsalter waren, als ich heranwuchs (bzw. berufstätig und viel beschäftigt waren, als ich klein war), konnten sie auch kaum etwas mit mir unternehmen, was mich interessiert hätte. Pilzesuchen ist nicht jugendfüllend ...
Also lernte ich von kleinauf, mit mir selbst auszukommen und emotionale Unabhängigkeit anzustreben. Ich mache meinen Altvorderen keinen Vorwurf: Sie wollten mein Bestes und haben sich "für mich" abgerackert, damit ich später eine solide Lebensbasis haben würde. Dass ich als Kind lieber mehr Zeit mit ihnen verbracht hätte, war ihnen nicht bewusst, und ich konnte mich zuerst nicht artikulieren, und später habe ich es einfach hingenommen, wie es war. Dennoch glaubten sie selbstlos, sie würden das Bestmögliche für mich tun. Eltern-Kind-Psychologie war damals noch kein Thema, und der Krieg hatte beide mittellos zurückgelassen. Beide waren als ehemalige Nazis ein Jahr im Gefängnis gewesen, und mein Vater hatte eigentlich lebenslanges Berufsverbot als Lehrer bekommen, aber in den späten Fünfzigern nahmen sie ihn wegen Lehrermangels dann doch wieder. Er musste allerdings bei Null anfangen - die Vorkriegsdienstjahre wurden ihm nie angerechnet!
Meine Mutter war ungebildet, aber eine praktische Frau. Sie liebte mich, aber ihre Erziehungsmethoden waren noch in der Naziära verwurzelt. Der Teppichklopfer schwebte sozusagen stets über mir, als ich im Vorschulalter war, und die Backpfeifen waren Legion ...
Als ich das erste Mal aufstampfte und bitzelte, stelle sie mich kurzerhand samt Kleidung in die Badewanne, hielt die Brause über mich und drehte das eiskalte Wasser auf ... - So lernt man, Phlegmatiker zu werden ...

Vielen Dank für die freundlichen Worte!

LG, eKy
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Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
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