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Alt 13.02.2018, 17:39   #2
Sufnus
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Ein Gedicht, dessen Titel mich erst einmal stutzen ließ: Ilse, ein ehemals sehr beliebter, heute altmodischer, vielleicht auch etwas provinziell anmutender Name in Verbindung mit hochgetönten Liebesbekundungen. Das ließ mich Spaßlyrik vermuten. Ein zweites Stutzen dann, weil ich dieses Gedicht nicht, wie angesichts des Titels zunächst vermutet, in der Sparte der Liebes- oder der Scherzlyrik vorfinde sondern in der Kategorie der Naturbeschreibungen. Ein interessanter Fall also.

Beim Lesen verstärken sich die Irritationen (auf eine gute Weise, ein Aufbrechen von Erwartungshaltungen): Keine konventionellen Endreime, dafür Assonanzen und Klangannäherungen und dazu eine formstreng gebundene Sprache in Serbischen Trochäen, einem alten Balladen-Metrum. Ein hoher Ton erfüllt das Gedicht, man fühlt sich an klassische Übersetzungen lateinischer Lyrik erinnert, und deutlich bestimmen erotische Bilder das Geschehen... Naturlyrik!?

Da ich in der Geographie des Harzes nicht bewandert bin, musste ich mich des mächtigen Internets bedienen und da zeigte sich, dass wir es hier auf der primären Ebene durchaus mit Naturlyrik zu tun haben: Besungen wird die Vereinigung der Flüsse Oker und Ilse. Erstere wurde erstmals unter den Namen Ovacra oder Ovakara erwähnt ("Ovakara, Prinz von eignen Gnaden"), letztere in Märchen und Sagen als kleine Prinzessin ("schöne Principessa") besungen. Dabei lässt sich Ilse auf den Vornamen Elisabeth (hebr. Elisheva) beziehen, daher also die Zeilen "Elischeva, folge meinem Winke".

Mit diesem Wissen liest sich das Gedicht - wie eine Kippfigur - mal als reine Naturbeschreibung (Bett = Flussbett usw.), mal als erotischer Hymnus. Ein Naturgedicht im Gewand eines Hochzeitsgesangs und umgekehrt.

Geändert von Sufnus (13.02.2018 um 17:58 Uhr)
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