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Alt 23.12.2009, 23:20   #9
Blaugold
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Hallo Leier
Natürlich ist ein ehemaliger SS-Verbrecher durch nichts von der Verantwortung und Konsequenz, sprich Strafe, zu entschuldigen. Und doch wage ich die Frage: Was ist bei der Verfolgung, Ächtung und Bestrafung nicht nur Rache (Revenge)?
Rache ist ein aus dem Gefühl des Schmerzes und Leides für erlittenes Unrecht geborener Machtanspruch (Grössenwahn) über das Leben des Täters. Sogar mit der Überzeugung, das sei im Sinne von Gott oder ähnlichen mystischen Mächten!

Eine Konsequenz aus dem unrechten Handeln des Täters ist seine Verurteilung, weil er juristische oder moralischen Grundsätze überschritten hat, das Gesetz gebrochen hat. Eine Beurteilung dieses Komplexes ist nur ohne den Komplex der Rache, siehe oben, und im möglichsten Maße der Objektivität gerecht.

Ich denke, ich verstehe deine kommentierte Meinung dazu. Reue ist eben aufgrund von Nicht-Einsicht oder durch Verleugnung des Unrechtshandelns in vielen Tätern nicht möglich. Aber nicht nur bei SS-Schergen, auch bei Terroristen z.B. oder anderen Verbrechern.
Wieder frage ich: Was aber haben Opfer von der späten Reue von Tätern? Genugtuung? Ist diese so viel anders, als Rache? Könnte es nicht sein, dass Opfer (oder wir, die wir mit Opfern des 3. Reiches solidarisch sind) Macht über den Täter erringen wollen, zumindest in dem Sinn, dass er tun soll, was wir erwarten, nämlich Reue zeigen?) Ein Mord wird meiner Ansicht nach nicht geringer von Schuld, wenn er bereut wird. Nicht umsonst ist es so, dass Reue immer zu spät kommt. Anstatt Reue wäre meiner Ansicht nach Einsicht in das Handeln vor der Tat eine religiöse Sinnhaftigkeit.
Was kümmern uns die seelischen Verkrüppelungen der Mörder? Kümmern sie uns etwa nicht?

Hier setzt eine Ebene meines Gedichtes ein. Der Enkel ist die Hauptfigur, nicht der alte Nazi! Der Enkel hat den Opa nicht als Mörder erlebt, Im Gegenteil. Der hat dem Enkel als es noch Kind war, wohl das Leben gerettet, als es in den See brach. Der "Alte Nazi" war ein liebevoller Großvater in der Welt seines Enkels.
Eine andere Ebene ist die Sache mit dem Schutzengel. Der Opa hat ihn an den Enkel quasi vermittelt, mit dem Bub um Hilfe gebetet.

Der nun ältere Enkel beginnt die Bedeutung der zwei kleinen Schlangen vermutlich zu verstehen. Er bedauert, dass das, an was der Großvater geglaubt hat, wie er selbst an die schützende Kraft eines Engels, eher ein Anti-Engel war: Ein Glaube an eine grössenwahnsinnige Welt.
Es gab für den Großvater keinen liebenden Großvater, der mit ihm Ängste teilte.
Großvater hat in Altersumnachtung sogar noch grössere Angst als je: Dass der letzte Richter ein Diktator ist. Deshalb salutierte er untertänigst!

Insofern bejahe ich deine Zeile
Zitat:
Dann stehen Gespenster - nicht Enkel! - wieder auf. Schreien unter Marter oder Todesschuß. Da gibts keine Engel.
Jahrelang allein getragne Last?


Jahrelang allein getragene Last, doch.
Und zum dritten mal frage ich unschuldig: Wenn Schutzengel* weder Opfer schützen noch Menschen davor, Täter zu werden, was berechtigt dann der Glaube an sie?

*im übertragenen Sinn


Aber es freut mich, mit dir in dieser Weise ein klein wenig zu philosophieren und zu diskutieren
und dass du mein Gedicht gut formuliert und tiefgehend findest.


Blaugold
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