Thema: Augenblicke
Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 18.12.2010, 18:13   #3
Falderwald
Lyrische Emotion
 
Benutzerbild von Falderwald
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 9.910
Standard

Hallo LyTau,

also erst einmal, niemand muss sich für eine Kritik entschuldigen, dafür ist so ein Forum ja da.
Und für Anregungen bin ich immer offen, sofern sie eine tatsächliche Verbesserung darstellen.

Wie ich sehe, hast du dich intensiv mit dem Text beschäftigt, so daß ich jetzt ebenso intensiv auf deine Vorschläge eingehen möchte.

In Strophe 1 habe ich ganz bewusst das Wort "wissen" verwendet, denn das Ahnen ist mir zu wenig.
Der Mensch ist das einzige Wesen auf dieser Welt, welches sich seines Todes bewusst ist.
Schon als Kind wird er mit dem Tode konfrontiert, wenn die älteren Generationen Stück für Stück fortgehen.
Ich selbst kann mich noch genau daran erinnern, als mein erster Opa verstarb.
Da war ich sechs Jahre alt und seit diesem Zeitpunkt habe ich mir schon Gedanken über den Tod gemacht.
Das waren, zugegeben, sehr düstere Gedanken damals, mit denen ich mich nur schwer abfinden konnte. Seitdem hat mich das Thema nicht mehr in Ruhe gelassen.

Deine Anregung zu Strophe 3 hätte den Nachteil, daß dadurch ein vollständiger Satz zerstört würde.
doch einmal kommt die Zeit und alle Klagen von Augenblick zu Augenblick verwehen.
Das kann man so nicht schreiben. Man kann schon, aber es widerspricht meiner Auffassung eines korrekten Satzes.
Auch bin ich für sogenannte Inversionen nicht zu haben.
Man könnte z.B. schreiben:
doch einmal kommt die Zeit und alle Klagen verwehen von Augenblick zu Augenblick.
Das passt dann allerdings wieder nicht in das Reimschema.
Eine Möglichkeit wäre noch:
doch einmal kommt die Zeit, wo alle Klagen von Augenblick zu Augenblick verwehen.
Da gefällt mir das Wörtchen "wo" allerdings überhaupt nicht.
"doch bringt die Zeit auch mit, daß alle Klagen von Augenblick zu Augenblick verwehen." halte ich persönlich für die beste Lösung.
Warum?
Diese Aussage bezieht sich ja auf den vorhergehenden Satz: "denn alles Schöne wird einst untergehen"
Mit dem Wörtchen "einst" wird ja schon der (künftige) Zeitbegriff angedeutet, so daß also mein ursprünglicher Satz eigentlich ganz gut an diese Stelle passt.

In Strophe 3 ist die Rede vom Herzen, dem die Angst nie genommen wurde.
Darauf beziehen sich alle weiteren "es", nämlich auf das Herz.
Warum sollte ich da plötzlich auf ein "man" bzw. ein "uns/wir" ausweichen?
Das ganze Gedicht ist ja ohne ein Lyrisches Ich (Wir) geschrieben und bezieht sich letztendlich auf das Herz.
Also mir würde es demzufolge nicht logisch erscheinen, dann plötzlich umzustellen.
Außerdem gibt es da so eine schöne Regel, die besagt: Nur wer etwas nicht zu benennen weiß, der weicht auf das Wörtchen "man" aus.
Und das tue ich nur im äußersten Notfall.

Und die letzte Zeile ist für mich der größte Abschluss in diesem Text überhaupt.

Ich bin der Meinung, daß die schönsten und größten Gedichte ohne ein Lyrisches Ich/Wir auskommen kann, weil in jenen die Distanz zwischen Dichter und Text erhalten bleibt.

So, ich hoffe, du bist mir jetzt nicht gram, aber meiner persönlichen Meinung nach, stellen deine Anregungen keine Verbesserung für dieses Gedicht dar.
Aber ich habe mich gerne ganz ausführlich mit ihnen auseinandergesetzt und bin dir dankbar dafür, denn ich musste mich noch einmal intensiv mit meinem eigenen Text beschäftigen.

Womit ich allerdings noch "kämpfe" ist das "es" in Strophe 4 / Zeile 4.
Dort könnte man, wenn man sich auf "niemand" in Zeile 3 bezieht, auch "er" setzen.


Auf jeden Fall danke ich dir für deine konstruktiven Gedanken und den damit einhergehenden Kommentar, ich habe mich sehr darüber gefreut...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



Falderwald ist offline   Mit Zitat antworten