Thema: Depression
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Alt 06.03.2011, 14:03   #7
Justin
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Hallo Faldi,

über Deinen Beitrag in dieser Rubrik war ich nicht so recht glücklich, habe aber trotzdem Verständnis für Deine Sichtweise. Wer nämlich in einem schnellebigen Alltag vom Thema Depression nur gestreift wird, ist viel anfälliger für eindruckschindenden Wortsalat, in den sich die Öffentlichkeit gern flüchtet. Dieser wird aber von den Betroffenen, mehr als Du glaubst, mit großem Mißfallen registriert. Außerdem gehen all die schönen Empfehlungen nicht tief genug und betrachten die artspezifischen Gegebenheiten oft überhaupt nicht. Weil Depressionen so ungemein vielschichtig und kompliziert sind, kann nicht einfach das Signal für ein Wohlverhalten ausgehen, um sie um jeden Preis abzustreifen. Die Wirklichkeit ist sehr viel anders.

Du beschreibst nun etwas, als müßtest Du den Sermon eines Psychofritzen oder einer Psychomieze aufwärmen. Einer Psychomieze, die vielleicht gerade erst aus dem Seminar entlassen wurde. Alles, was sie über Depressionen weiß, wurde ihr anerzählt oder sie hat es sich angelesen. Es ist eine ungeheure Zumutung, wenn von dieser Seite nun Ratschläge erfolgen. Denn das, was mit Depressionen zusammenhängt, kann vom Betroffenen aus erlebter Praxis viel besser eingeschätzt werden. Es ist falsch, inneres Zurückziehen als Egotrip zu bezeichnen, da das Schwereausmaß eines Fallbeispiels in seiner Komplexität diese Richtung viel eher vorgibt. Wir dürfen nicht leichtfertig die Schuld bei Menschen suchen, die nur in den wenigsten Fällen egoistische Ziele verfolgen. Vielmehr kann das geschmähte Zurückziehen zu einer Lebensbewältigung werden, die sich so noch am besten verwirklichen läßt. Zuvor ist häufig das Bemühen vorausgegangen, Anschluß zu finden, der nicht gelungen ist. Wir kennen schließlich solche Situationen, die von Verlegenheit und betretenem Schweigen geprägt sind, weil man mit der Andersartigkeit nicht klar kam. Eines Tages hatte man keine Kraft und keine Lust mehr dazu...

Menschen, die sich in der Masse nicht wohlfühlen, haben schon ihre Gründe dazu. Nun liegt es nahe, anzunehmen, man könne durch Vereinsmeierei der Depression vorbeugen - einfach mit Gleichgesinnten glücklich sein. Das ist so eine theoretische Überlegung - mehr aber nicht. Es heißt ja so schön, daß der Deutsche seinen Verein so sehr liebt. Trotzdem ist das aber nicht sein primäres Leben. Davor kommt noch das ungezwungene Zusammensein mit Freunden aus dem Alltag heraus. Das ist in erster Linie wichtig und steht über der Vereinsmeierei. Wer nun ständig auf Vereine verwiesen wird, empfindet Druck und Unbehagen, weil es ein Zeichen ist, nur dort gut aufgehoben zu sein, ansonsten aber nichts zu erwarten braucht. Die Vorstellung, im Verein oder in der Selbsthilfegruppe sein Glück zu finden, kann sich als naiv erweisen. Was heißt eigentlich "gleichgesinnt"? Das ist ein grober Massenbegriff, der viele Schwarz-Weiß-Bereiche offenläßt. Ich versuche es mal, am Beispiel einer Behinderung verständlich zu machen. Derjenige, der eine Veranstaltung besucht, kann "Gleichgesinnte" erleben, denen neben einer gewissen Grundbehinderung mehr geblieben ist und die dadurch näher dran sind an der Normalität. Oder auch das ganze Gegenteil, weil sich das Elend bei anderen in noch stärkerer Ausprägung zeigt. Wir kennen alle den Spruch: "Der hellste Neger hat die besten Chancen". Genau das trifft hier zu. Man geht zu dieser Veranstaltung, um sich zu erbauen, verläßt sie aber mit einem Gefühl der noch größeren Depression. Und zieht daraus seine Konsequenzen...

Mit meinem Schriebs habe ich versucht, Dinge verständlich zu machen, die sonst so nicht angesprochen werden, weil es die Sicht durch die roarote Brille nicht zuläßt. Dafür sind im großen Maße die Psychologen verantwortlich.

Liebe Grüße

Justin
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