Thema: Jo Meier
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Alt 18.06.2011, 18:16   #4
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Hallo wolo,

ich hatte deine Antwort noch gar nicht gesehen.

Klar kann ich dir zeigen, wo es hapert und ich erstelle dir mal eine Metrik-Analyse.
Da ich nicht weiß, wie gut du mit der Materei vertraut bist, gebe ich vorher noch ein paar Erklärungen dazu:

In unserer Sprache wechseln sich betonte und unbetonte Silben ab.
Solange wir "normal" reden, ist der Sprachrhythmus eigentlich egal, weil der "Redefluss" dabei auch so gegeben ist, denn da betonen wir etwas anders.
In der sogenannten gebundenen, also metrischen Lyrik aber, kommt es nicht nur auf die Silbenanzahl und den (End)reim an, sondern es bedarf dort einer gewissen Regelmäßigkeit, also einer klaren Struktur.
Ich weiß, daß da jetzt wieder einige Einwendungen kommen könnten, doch möchte ich zunächst noch gar nicht näher auf die Ausnahmen eingehen, sondern hier und jetzt erst einmal auf die regelmäßigen Grundstrukturen verweisen.
Normalerweise klingt es besser, wenn ein einheitliches Metrum gewählt wird, weil dort eine Regelmäßigkeit der betonten und unbetonten Silben gegeben ist.

Wir unterscheiden 5 Grundformen:

1. der Trochäus beginnt mit einer betonten Silbe, gefolgt von einer unbetonten (hier 4-hebig, also vier betonte und drei oder vier unbetonte im regelmäßigen Wechsel.)

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2. der Jambus beginnt mit einer unbetonten Silbe, gefolgt von einer betonten (hier 4-hebig, also vier oder fünf unbetonte und vier betonte im regelmäßigen Wechsel.)

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xXxXxXxX
xXxXxXxXx

3. der Daktylus beginnt mit einer betonten, auf die zwei unbetonte folgen(hier 4-hebig, also vier betonte und sechs oder sieben unbetonte im regelmäßigen Wechsel.)

XxxXxxXxxX
XxxXxxXxxXx
XxxXxxXxxX
XxxXxxXxxXx

4. der Amphybrachis beginnt mit einer unbetonten Silbe. Hier umschließen zwei unbetonte iene betonte. (hier 4-hebig, also sieben oder acht unbetonte und 4-betonte im regelmäßigen Wechsel.)

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xXxxXxxXxxXx
xXxxXxxXxxX
xXxxXxxXxxXx

5. der Anapäst beginnt mit einer unbetonten. Es folgt auf zwei unbetonte eine betonte. (hier 4-hebig, also acht oder neun unbetonte und 4-betonte im regelmäßigen Wechsel.)

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xxXxxXxxXxxX
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So, und nun schauen wir uns einmal nach diesem Schema dein Gedicht an:

Jo Meier war unser Busschofför,
hat viele Strecken befahren.
Er konnte auch im schlimmsten Malör
noch cool die Ruhe bewahren.

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xXxXxXxxX
xXxXxxXx

Und mancher fragte: „Bald Schichtende, Jo?“
- „Na klar“, grinste der, „ich muss doch aufs Klo!“

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An jenem Abend im Monat März
da fuhr er meine Strecke.
Ich dachte kurz, es wär ein Scherz,
als hinter der Rathausecke

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ein Killerwal geschossen kam
und sich auf die Fahrbahn legte.
Doch bald war klar, dass der infam
Verbrechensabsicht hegte.

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Und mancher nahm sein Handy heraus:
„Hallo, ich komm heut später nach Haus!“

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Das grosse Tier schlug mit dem Schwanz
gebieterisch auf und nieder.
Der Bus erbebte vom klapprigen Tanz
verängstigter Zähne und Glieder.

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Jo Meier trat aufs Bremspedal
und stiess den Fuß in den Boden
bis dass aus allen Scheiben aufs Mal
die Funken zur Seite stoben.

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xXxXxXxxX
xXxxXxXx

Riss reaktionsschnell dann herum
das Steuer des Busses, aber
das Fahrzeug kippte dabei um
und knickte zwei Kandelaber.

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Und: „Jo!“, rief einer. „Halt die Ohren steif!
Für Fischfutter fühl ich mich noch nicht reif!“

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Zwei Räder berührten den Boden nur,
als, ohne die Kurve zu kriegen,
der Bus dem Wal in den Rachen fuhr,
der gähnend da blieb liegen.

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xXxXxXx

Rasch steuerte Jo sein Dieselross
geschickt zurück auf vier Räder,
was mitten im Tran von diesem Koloss
ein Kunststück war, weiß doch jeder.

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Und mancher fragte sich bang: „Was nun?“
Nur einer wusste genau was tun:

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Jo Meier trat aufs Gaspedal
und jagte hoch den Tacho
durch Dünn und Dick, bis wir rektal
verließen den Fisch im Garacho.

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Doch waren wir gerettet kaum
aus allergrößter Not,
da prallte der Bus in einen Baum:
Wir lebten..., doch Jo war tot!

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Die Fama geht, dass anderswo
dem John es ging fast ebenso.

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Nun kannst du selbst sehen, daß hier kein einheitliches Metrum im Sinne der o.a. Grundformen vorliegt.

Da ich ein geübter Leser, kann ich mir das "schön lesen" und entsprechend betonen. Der ungeübte Leser wird immer wieder unweigerlich ein wenig ins Stolpern geraten, wenn er aus dem gleichmäßigen Rhythmus heraus gezwungen wird.

War das die Rückmeldung, die du haben wolltest?
Wenn nicht, frag ruhig noch einmal nach...


Liebe Grüße

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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