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Alt 15.07.2011, 22:14   #2
Dana
Slawische Seele
 
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Registriert seit: 07.02.2009
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Lieber Galapapa,

bevor ich weiter schreibe, will ich dir meinen ersten Impuls verraten:

Mir fiel das Sprichwort ein: "Aus der Not eine Tugend machen."

So spontan ausgerufen, hört es sich vielleicht oberflächlich oder gar ironisch an.
Je länger ich darüber nachdenke, kann eine solche "Umkehrung" eine sehr kluge und mutige Entscheidung sein.

Ich habe so viele Gedanken dazu, dass es mir kaum gelingen wird, sie geordnet zu schreiben ohne den Rahmen zu sprengen. Zugleich jedoch werden sich viele, sehr viele in deinen Versen selbst erkennen. Es ist ein Großteil der Lebensrealität, wenn man ehrlich mit sich selbst umgeht.


Schon lang hab ich meinem Schicksal verziehen,
ich hab mich gefügt, hab den Streber gemacht.
Es gab keinen Weg mehr, um weiter zu fliehen.
saß weinend am Fenster so manch kalte Nacht.

Das lyr. Ich betrachtet sein Leben rückwärts. Es erkennt das "brave Kind", dass dem begonnenen Weg gefolgt ist, zugleich bemüht, die Bedingungen auf dem Weg zu erfüllen, gut zu erfüllen. Der eingeschlagene Weg bot wenig an, ohne es zugleich "Abwege" zu nennen - das tut man also nicht.
Die Trauer darüber findet unausgesprochen und in Einsamkeit statt.

Eine feine lyrische Strophe.



Wer hat meine Sehnsüchte jemals verstanden?
Die Träume erstickten in Realität.
Am Schluss waren Zwänge es, die uns verbanden;
die Zwangsjacke war aus Verpflichtung genäht.

Hier wird das Ausmaß der unterdrückten Träume klar ausgesprochen. Die Gründe dafür sind vorgegeben: Zwänge (Zwangsjacke) aus Verpflichtung genäht.
Es kommt keine pure Traurigkeit zur Sprache. Wer Verantwortung übernimmt, wer Versprechen einhält, denkt nicht immer zuerst an sich.


Doch habe ich nun meine Lücke gefunden,
bin einsam an meiner Verzweiflung erstarkt,
hab Angst vor dem eigenen Mut überwunden
und rückwärts mein Leben dort still eingeparkt.

Die gefundene "Lücke" kann man fast mit dem Glück auf einem überfüllten Parkplatz vergleichen, wenn auch nicht ausschließlich.
Für mich kommt hier die zur Tugend gewordene Not zum Tragen. Diese kann man nicht einfach machen, es gehören Erfahrung, Ehrlichkeit und Mut dazu. Mut, sich das einzugestehen und Mut, gerade darum, das Beste daraus zu machen. Für mich liegt darin etwas Tröstendes. Wer weiß schon von sich, wenn er sich den "Zwängen" nicht ergeben hätte, wenn er seinen Träumen nachgegangen wäre, ob danach nicht ein noch viel nachdenklicheres Gedicht entstanden wäre.


Ein wunderbares Gedicht, das lange nachwirkt und vor allem nachdenken lässt.

Liebe Grüße
Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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