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Alt 07.08.2011, 10:17   #2
Stimme der Zeit
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Hallo, Walther,

vorab: Da ich nicht weiß, ob du die unglaublich kompetente Textkritik zu diesem Gedicht (in einem anderen Forum) seelisch und moralisch bereits verkraftet hast - Besser?
So, jetzt zum Gedicht.

Die erste Strophe kam mir bekannt vor, ich wusste nur nicht, woher. Jetzt ist mir klar, dass es sich um eine Variation deiner „schwarzen sonne“ handelt.

Allerdings ergibt sich für mich hier auch eine (teilweise) andere Aussage. Dieses Werk ist weitaus „weicher“. Hier ist die Liebe eindeutiger als „Hauptsache“ zu erkennen. Zudem sind die einzelnen Strophen klarer voneinander abgegrenzt, was vor allem durch die Interpunktion erreicht wird.

Zitat:
Es gäb ein Wir, wenn wir uns wendeten
Die Blicke zu des liebenden Gesichts;
Da wär ein Ausweg aus dem kalten Nichts,
In dem die Hoffnungen für immer endeten.
Aus „Ich“ und „Du“ (der/die Andere) kann ein „Wir“ werden, es erfordert nur die gegenseitige Zuwendung. In diesen Versen liegt Hoffnung, denn es ist die Rede von einem möglichen Ausweg, so dass die Hoffnungen bisher vielleicht „für immer endeten“, es aber künftig nicht so bleiben muss.

Zitat:
Die Worte, die vom Strahlen eines Lichts,
Die sich vergeblich schließch selbst verschwendeten,
Verhöhnt und ausgelacht von den Geblendeten:
Sie sinds, an ihnen hungerts und gebrichts!
Das „Licht der Liebe“, die sich „selbst verschwendete“ - im Sinne von „vergeblicher Liebesmüh“. Menschen, die das nicht verstehen, spotten über solche „Gefühlsduselei“. Aber es sind eben diese Worte, die in unserer Welt fehlen …

Zitat:
Wenn du sie sagst, wenn du sie rufst, sie schreist,
Mag es vielleicht die eine Chance geben,
Dass nicht die letzte Bindung auch noch reißt.
Ich halte dieses Terzett für den gefühlsintensivsten Teil des Gedichts. Es ist nicht einfach, in dieser „kalten“ Welt davon zu sprechen. Gerade weil man Gefahr läuft, deshalb verspottet zu werden. Aber wenn wir es trotzdem wagen, treffen wir vielleicht auf andere, auf „Gleichgesinnte“, denen bislang nur der Mut fehlte. Dann haben wir vielleicht eine Chance, dass der Rest an zwischenmenschlicher Bindung nicht endgültig verloren geht.

Zitat:
Wer soll die leere Wüste sonst beleben?
Dann wär die Welt verlassen und verwaist,
Als Ödnis würd sie durch die Zeiten schweben!
Wenn etwas wahr ist, dann ist es egal, wo es geschrieben steht, das macht es nicht weniger wahr (oder richtig): 1. Korinther - Kapitel 13, Das Hohelied der Liebe: Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.

Daran liegt es auch. Es scheint nur „tönende Erze“ und „klingende Schellen“ zu geben. Ganz besonders dort, wo es (nach deren eigenen Aussagen!) doch ganz anders sein soll …

Allmählich scheinen wir uns in funktionierende zweibeinige Maschinen zu verwandeln. Dann wird die Welt öde, denn Gefühle sind ein integraler Bestandteil unseres Selbst. (Wer einmal unter einer wirklich schweren, echten Depression gelitten hat, weiß, wie es ist, nichts fühlen zu können, überhaupt nichts. Diese innere Leere ist tatsächlich kalt.) Nein, ohne Gefühle sind wir nicht fähig zu leben. Diese Gefahr droht nun von „außen“, die Welt „erkaltet“ allmählich, und die Zahl der psychischen Erkrankungen (ganz besonders der depressiven) nimmt ständig zu.

Formal muss ich leider sagen, dass ich von diesem Werk ein bisschen enttäuscht bin. Es besitzt nicht die sprachliche „Eleganz“, die ich ansonsten von dir gewohnt bin.

Zitat:
Sie sinds, an ihnen hungerts und gebrichts!
Dieser Vers sagt mir persönlich gar nicht zu. Drei Elisionen, und das auch noch in einem einzigen Vers, also, das kannst du besser …

Die zweite „Krittelei“ betrifft die Versanfänge. Es, Da, Da, Die, Die, Die …

Dieses Werk von dir ist nicht schlecht, das will ich gar nicht behaupten, aber irgendwie auch nicht gerade gut - das betrifft aber nur den "handwerklichen" Aspekt.
Eventuell nimmst du es dir noch einmal vor?
(Nichts für ungut, hoffe ich. Aber ich bin von deinen Sonetten einfach verwöhnt. )

Gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
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