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Alt 19.11.2011, 16:44   #3
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Hallo, Ulrich,

mich freut es ebenfalls, dein erstes Werk hier zu lesen. Darf ich aber zugeben, dass ich zwar glaube, dass es eine Endreim-Übung ist, aber trotzdem "mehr" dahinter steckt?

Für mich ist die "geheimnisvoll durch den Frost schleichende Gestalt" entweder
  • das Alter
  • der Winter
oder
  • der Tod.

Setze ich einen der Drei an die Stelle des "Protagonisten", dann würde ich dieses Gedicht als ironische Betrachtung lesen. (Ironisch, nicht lustig, darauf möchte ich hinweisen; obwohl das "Erstarrte Dastehen" durchaus einen solchen Effekt hat, wenn z. B. der Tod vor sich selbst erschrickt und dadurch "aufgehalten wird".)

Die andere Sichtweise hat Chavali bereits beschreiben, es kann sich auch um einen Mörder oder Räuber, d. h. um einen Menschen handeln, der "nichts Gutes" im Schilde führt oder um ein "Ungeheuer" aus dem "Reich der Fantasie". (Wobei "nichts Gutes im Schilde führen" wohl auch auf die andere "Lesart" zutrifft. )

Wenn ich "ironisch" lese, dann halte ich den gespaltenen Reim in Strophe 2, Vers 1 durchaus für passend; in der anderen Lesart jedoch nicht, da dieser Reim unwillkürlich nicht "ernsthaft" wirkt. (Meine persönliche Meinung, ich würde ihn nur in Humorgedichten verwenden.) Was die von Chavali angesprochene Inversion in Strophe 2, Vers 5 betrifft, sie wäre leicht zu beheben:

Zitat:
Durch der Zweige Dürre bricht er,
zieht entschlossen seine Richtung;
nichts ist, was ihn halten kann.
Doch getroffen, wie vom Bann
steht er starr auf einer Lichtung,
wie vor seinem letzten Richter.
Hier würde mir die Verdoppelung von "steht" im Sinne einer Verstärkung, bzw. Bekräftigung der "Erstarrung" durchaus zusagen. Das ist aber nur ein Vorschlag!

Was Strophe 3, Vers 4 und 5 und die dortige Wortwahl "furchtgezeichnet, schattengleich, grausig, hässlich, totenbleich" betrifft, so kommt es auch hier auf die Interpretation an. In einem "unheimlichen" Gedicht zu viel, in einem ironischen genau richtig, um dem ganzen einen Anstrich von "Absurdität" bzw. "Unglaublichkeit" zu verleihen.

Ich habe dieses Reimschema selbst schon (nicht genau so, aber ähnlich) verwendet, und einen umarmenden Reim einen umarmenden Reim "umarmen" lassen (was für eine Formulierung, ich glaube, die verdichte ich mal irgendwann. )

Gut gefällt mir das Muster der Kadenzen: ww/ww/mm/ww/ww. Durch die männlichen Kadenzen wird der Inhalt in der Mitte bekräftigt und sie verhindern auch, dass es "eintönig" klingt.

Die Vokale in den Endreimen fielen mir ebenfalls auf. Hell, hell, dunkel, dunkel, hell, hell; hell, dunkel, dunkel, dunkel, dunkel, hell; in Strophe 3 durchgehend hell. Was meine Annahme des eher ironischen Inhalts unterstützt. Zuerst das "Erscheinen", dann wird es "dunkel" und am Ende (etwas "erstarrt", wird "gestoppt") wird es "hell". (Wobei das "a" nicht eindeutig ist, es kann als dunkel oder auch als neutral angesehen werden; ich las darüber schon unterschiedliche Meinungen.)

Da ich in diesem Werk etwas mehr als nur eine "Endreimübung" erkenne, würde ich es für ein Gedicht halten; aber der Autor hat (natürlich) das Sagen!

Gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
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