Lieber Thomas,
da geflügelte Worte, Redewendungen und Sprichworte eine Art "Hobby" von mir sind (wenn ich sie auch nur "im Kopf" sammle), habe ich mir mal ein, zwei Stunden Zeit genommen und mich durch einige von Schillers Gedichten "hindurch gearbeitet". Und es ist tatsächlich erstaunlich, wie oft wir diesen Dichter sozusagen "im Mund haben". Wobei zu berücksichtigen ist, dass der "Volksmund" manches "umgeformt" hat. Ich würde deine Liste gerne noch um ein paar sehr bekannte Aussprüche ergänzen:
Hast du etwas, so gib es her und ich zahle, was recht ist,
Bist du etwas, o dann tauschen die Seelen wir aus. (Volksmund: Hast du was, bist du was)
Das Werte und Würdige
Ich hab getan, was ich nicht lassen konnte. (Volksmund: Tu, was du nicht lassen kannst)
Friedrich Schiller, Wilhelm Tell
Sünden und böse Geister scheuen das Licht. (Volksmund: Lichtscheue Gestalten)
Friedrich Schiller, Kabale und Liebe
Drum prüfe, wer sich ewig bindet, / Ob sich das Herz zum Herzen findet! (Das hattest du bereits, aber der Volksmund ist interessant: Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht noch was Bessres findet!)
Das Lied von Der Glocke
Von der Stirne heiß / Rinnen muß der Schweiß ...
Das Lied von der Glocke
Denn das Auge des Gesetzes wacht.
Das Lied von der Glocke
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
Das Lied von der Glocke
Gefährlich ist's, den Leu zu wecken, (Volksmund: Schlafende Löwen soll man nicht wecken)
Das Lied von der Glocke
Freude, schöner Götterfunken
Ode an die Freude
Seid umschlungen, Millionen! / Diesen Kuß der ganzen Welt! (Volksmund: Meist nur der 1. Teil: Seid umschlungen, Millionen! - eher "geldbezogen" gemeint)
An die Freude
Wie kommt ein solcher Glanz in meine Hütte? (Volksmund: Welch seltener Glanz in meiner (bescheidenen) Hütte)
Die Jungfrau von Orelan
Wer nichts waget, der darf nichts hoffen. (Volksmund: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt)
Wallensteins Lager, Siebenter Auftritt
Die Sterne lügen nicht ...
Wallensteins Tod, 3. Aufzug, 9. Auftritt
Was ist der langen Rede kurzer Sinn? (Volksmund: Lange Rede, kurzer Sinn)
Die Piccolomini, 1. Aufzug, 2. Auftritt
Es löst der Mensch nicht, was der Himmel bindet.
Die Braut von Messina, 2. Aufzug, 5. Auftritt
Hier wendet sich der Gast mit Grausen ...
Der Ring des Polykrates
Raum für alle hat die Erde.
Der Alpenjäger - 1804
Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, (Volksmund: Die Bretter, die die Welt bedeuten)
An die Freunde
Reich' ihm, wenn er sie mag, freundlich die helfende Hand. (Volksmund: Sich eine "helfende Hand reichen")
An einen Weltverbesserer
Aber schaudernd, mit Entsetzen
Wendet sie sich weg und spricht: (Volksmund: Sich mit Schaudern (von etwas) abwenden)
Das Eleusische Fest
Füget sich der Stein zum Stein. (Volksmund: Stein für Stein fügt es sich zusammen)
Das Eleusische Fest
Verbirg in deiner grünen Hülle
Die Liebenden dem Aug der Welt! (Volksmund: Sich vor dem Auge der Welt verbergen)
Das Geheimniß
Hier ist für dich und mich genug.
Das Glück und die Weisheit
Balsam fürs zerrißne Herz. (Volksmund: Balsam für das Herz, Balsam für die Seele)
Das Siegesfest
Zwar leicht, doch zentnerschwer für dein Gewissen. (Volksmund: (Etwas)lastet zentnerschwer auf dem Gewissen/auf der Seele)
Das verschleierte Bild zu Sais
Ich finde auch die "Veränderungen" sehr interessant, die Schillers tatsächliche Worte manchmal auch völlig "sinnentfremden" - man siehe das berühmte Platon-Zitat. Im "Volksmund" lautet es: "Ich weiß nur, dass ich nichts weiß." Wobei das völlig aus dem Zusammenhang gerissen ist, und im "Ursprung" eine ganz andere Bedeutung hat. Er entstammt der
Apologie des Sokrates, und dieser "weltberühmte Spruch" kommt so nie vor. (Wobei mir, o weh, mal ein Bekannter sagte, dieser "Spruch" käme von Diogenes in der Tonne ... (doch, wirklich)


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Der Orakelspruch von der Weisheit des Sokrates
Vielleicht nun möchte jemand von euch einwenden: Aber, Sokrates, was ist denn also dein Geschäft? Woher sind diese Verleumdungen dir entstanden? Denn gewiss, wenn du nichts Besonderes betriebest vor andern, es würde nicht solcher Ruf und Gerede entstanden sein, wenn du nicht ganz etwas anderes tätest als andere Leute. So sage uns doch, was es ist, damit wir uns nicht aufs Geratewohl unsere eignen Gedanken machen über dich. Dies dünkt mich mit Recht zu sagen, wer es sagt, und ich will versuchen, euch zu zeigen, was dasjenige ist, was mir den Namen und den üblen Ruf gemacht hat. Hört also, und vielleicht wird manchen von euch bedünken, ich scherzte: glaubt indes sicher, dass ich die reine Wahrheit rede.
Ich habe nämlich, ihr Athener, durch nichts anderes als durch eine gewisse Weisheit diesen Namen erlangt. Durch was für eine Weisheit aber? Die eben vielleicht die menschliche Weisheit ist. Denn ich mag in der Tat wohl in dieser weise sein; jene aber, deren ich eben erwähnt, sind vielleicht weise in einer Weisheit, die nicht dem Menschen angemessen ist; oder ich weiß nicht, was ich sagen soll, denn ich verstehe sie nicht, sondern wer das sagt, der lügt es und sagt es mir zur Verleumdung.
Und ich bitte euch, ihr Athener, erregt mir kein Getümmel, selbst wenn ich euch etwas vorlaut zu reden dünken sollte. Denn nicht meine Rede ist es, die ich vorbringe; sondern auf einen ganz glaubwürdigen Urheber will ich sie euch zurückführen.
Über meine Weisheit nämlich, ob sie wohl eine ist und was für eine, will ich euch zum Zeugen stellen den Gott in Delphoi. Den Chairephon kennt ihr doch. Dieser war mein Freund von Jugend auf, und auch euer, des Volkes, Freund war er und ist bei dieser letzten Flucht mit geflohen und mit euch auch zurückgekehrt. Und ihr wisst doch, wie Chairephon war, wie heftig in allem, was er auch beginnen mochte. So auch, als er einst nach Delphoi gegangen war, erkühnte er sich, hierüber ein Orakel zu begehren; nur, wie ich sage, kein Getümmel, ihr Männer.
Er fragte also, ob wohl jemand weiser wäre als ich. Da leugnete nun die Pythia, dass jemand weiser wäre. Und hierüber kann euch dieser sein Bruder hier Zeugnis ablegen, da jener bereits verstorben ist.
So ergeben sich Veränderungen, und der "Ursprung" bzw. der tatsächliche Sinn gerät in Vergessenheit.
(Und sie ihm auch.) Das ist der Lauf der Welt.

(Goethe, Faust I, Garten, Mephistopheles)
Ich muss sicher nicht erwähnen, wie viele Sprüche, Redewendungen u. Ä. allein aus Goethes Faust stammen. Im Grunde lässt sich sagen: Wir "tragen" dauernd Goethe oder Schiller im Mund. Nur weiß das (leider) kaum jemand mehr.
Liebe Grüße
Stimme